Sozialisten in Wahlumfragen vorn
Im Gegensatz zur Lage der deutschen und europäischen Sozialdemokratie scheint für die griechischen Sozialisten zurzeit die Sonne. Nach fast sechs Jahren in der Opposition könnten sie bei den vorzeitigen Wahlen am kommenden Sonntag wieder die Macht ergreifen. Giorgos Papandreou, Vorsitzender der Panhellenischen Sozialistischen Partei (PASOK), führt bei den letzten Umfragen mit sechs Prozent gegenüber Kostas Karamanlis, dem konservativen Premierminister und Führer der Nea Demokratia.
Mehr als drei Jahrzehnte nach der Rückkehr der Demokratie in Griechenland prägen drei Familiendynastien das politische Leben. Karamanlis ist der Neffe des gleichnamigen einstigen Minister- und Staatspräsidenten. Giorgos Papandreou repräsentiert die dritte Generation der Papandreou-Dynastie. Der 57-jährige Politiker ist der Sohn des verstorbenen Gründers der PASOK, Andreas Papandreou, und jetziger Vorsitzender der Sozialistischen Internationale. Nun will er Griechenland eine neue Vision und Transparenz geben. Er sagte, er wolle „bis aufs Blut“ gegen die Korruption kämpfen.
„Giorgakis“ – wie er von Freunden und Feinden genannt wird – hat angekündigt, dass er nach einem möglichen Wahlsieg am 4. Oktober die Wirtschaft mit einem 100-Tage-Notprogramm ankurbele. Er versprach eine neue und faire Umverteilung des Reichtums, die Schaffung von Wachstum durch „grüne Entwicklung“, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sowie eine öffentliche, kostenlose und hochwertige Bildung. Bei den letzten Umfragen konnte PASOK im Vergleich zu den Parlamentswahlen von 2007 vier Prozent zulegen und erzielt ca. 42 Prozent der Stimmen, die knapp für eine Mehrheit reichen.
Dennoch wird geschätzt, dass ein Viertel der Griechen sich noch nicht festgelegt hat. Eine von ihnen ist die 33-jährige Eleni, Beamtin im öffentlichen Dienst. Sie war PASOK-Anhängerin, seit sie angefangen hat zu wählen. Es war Familientradition, diese Partei zu wählen. Diesmal überlegt sie aber zweimal, wenn sie ihre Stimme abgibt. „Ich werde am Tag der Wahl entscheiden. Die Sozialisten hatten wir schon mal an der Macht, und die haben auch nichts getan. Diesmal gebe ich meine Stimme vielleicht einer kleinen Partei“, so Eleni.
Politische Beobachter gehen davon aus, dass dieser Wahlgang – genauso wie in anderen europäischen Ländern – die Schwächung des Zwei-Parteien-Systems auslösen könnte. „Es ist sehr gut möglich, dass diese Wahlen ein Ende der Regeln des politischen Wettbewerbs und seiner Strategie bedeuten, so wie sie in Griechenland die letzten 35 Jahre galten“, schätzt der Politikwissenschaftler Giorgos Seferzis.
Nach dem griechischen Wahlrecht stehen der stärksten Partei 40 Bonusmandate im 300-Sitze-Parlament zu. Wenn die Sozialisten keine Mehrheit erreichen, müssen sie Koalitionsverhandlungen mit dem linken Bündnis Syriza anfangen, das mit vier Prozent in den Umfragen die Dreiprozent-Hürde schaffen würde, oder mit den Grünen, deren Eintritt in das Parlament nicht sicher ist. Drittstärkste Partei sind laut Umfragen die Kommunisten, mit Werten über sieben Prozent. Die nationalistisch-religiöse Völkische Orthodoxe Gesamtbewegung (LAOS) hofft auf die enttäuschten Wähler der Nea Demokratia und punktet in den Umfragen mit mehr als fünf Prozent.
Eine Niederlage von Karamanlis würde das vorläufige Ende des Karamanlis-Clans und das Wiederbeleben des Familiendynastie Mitsotakis bedeuten. Dora Bakogianni, die jetzige Außenministerin und Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten Konstantinos Mitsotakis, wird als seine Nachfolgerin an der Parteispitze der Nea Demokratia angesehen. Die ehrgeizige Politikerin macht keinen Hehl daraus, dass sie die erste weibliche Ministerpräsidentin Griechenlands sein will.
Die reguläre Amtzeit von Karamanlis läuft bis 2011. Seine Entscheidung, vorzeitige Wahlen zu verkünden, wird von der Mehrheit der Analytiker als politischer Selbstmord bezeichnet. Karamanlis hat angekündigt, dass er durch Neuwahlen ein „frisches Mandat“ sichern will, um Reformen für die Bewältigung der Wirtschaftskrise durchzusetzen.
Eine Reihe von Affären, in die Regierungsmitglieder verwickelt waren, hat in den vergangenen Monaten den Zorn des Volkes geschürt. Das erste ernste Signal waren die Krawalle im vorigen Dezember im Zentrum von Athen, die ausbrachen, nachdem ein 15-jähriger Schüler von einem Polizisten niedergeschossen wurde. Seitdem finden immer wieder Anschläge statt, die den Linksextremisten zugerechnet werden.
Die verheerenden Waldbrände Ende August sind wahrscheinlich der Dolchstoß für die konservative Regierung von Karamanlis. Seine Partei befindet sich in einer sehr schwierigen Position, und innen brodelt es heftig. Bei den letzten Umfragen bekommt Nea Demokratia fünf Prozent weniger als in den vorigen Parlamentswahlen und schrumpft auf 36 Prozent Zustimmung.
Karamanlis setzt auf eine besonders antipopulistische Wahlkampagne und wirft den Sozialisten hartnäckig vor, dass sie ihre Wahlversprechen auf Lügen aufbauen und nicht einhalten können werden. Die Ankündigung seines Sparplanes, der unter anderem einen einjährigen Einstellungstopp im öffentlichen Sektor, ein Einfrieren von Löhnen und Pensionen und die Bekämpfung der Steuerhinterziehung vorsieht, wird kaum an Popularität bei der Bevölkerung gewinnen.
Griechenland hat zurzeit einen der niedrigsten Löhne europaweit, und die Arbeitslosigkeit liegt über neun Prozent. Die Jugendlichen suchen verzweifelt nach einem festen Arbeitsplatz. Tausende von Haushalten sind durch Darlehen und Kreditkarten verschuldet. Das Haushaltsdefizit liegt bei fast sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts, und das Land steht unter massivem Druck der EU-Kommission, weil es den EU-Stabilitätspakt massiv verletzt. Die Staatskassen sind leer. Finanzexperten schätzen die Schulden Griechenlands auf 260 bis 280 Milliarden Euro.