Russland

Westerwelle kein Traumpartner

(n-ost) – Fast einen ganzen Tag brauchte Kreml-Chef Dmitri Medwedew, bis er Angela Merkel sein Glückwunschtelegramm geschickt hatte. Die Glückwünsche aus Washington, London und Paris waren indes schon bald nach Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses der Bundestagswahl im Kanzleramt eingegangen. Die Verzögerung bei der Gratulation führte sofort zu Spekulationen, dass es im Kreml möglicherweise unterschiedliche Meinungen über die Bewertung einer möglichen schwarz-gelben Koalition gibt. Zu Außenminister Franz-Walter Steinmeier pflegte Moskau bisher einen sehr guten Draht. Mit Steinmeiers Konzept einer Modernisierungspartnerschaft – das heißt Vertiefung der Beziehungen bei gleichzeitiger partnerschaftlicher Kritik – konnte der Kreml gut leben. Was der Jurist und wahrscheinlich künftige Außenminister Guido Westerwelle in die deutsch-russischen Beziehungen einbringen könnte, ist bisher unklar. Der Parteichef der deutschen Liberalen hat bisher kein russlandpolitisches Konzept vorgelegt.Russische Experten wollen nicht ausschließen, dass Westerwelle sich stärker als sein Vorgänger Steinmeier zu Menschenrechtsfragen in Russland äußert. „Antirussische Ausfälle“ brauche man von Westerwelle jedoch nicht zu erwarten, schreibt die Kreml-nahe Tageszeitung Iswestija. Das Blatt verweist auch darauf, dass Westerwelle in der europäischen Sicherheitspolitik einige Positionen vertreten hat, mit denen Moskau gut leben kann. So sei er gegen den amerikanischen Raketenabwehrschirm in Polen und Tschechien aufgetreten und habe während des russisch-georgischen Krieges im August vergangenen Jahres ausdrücklich für eine Fortführung des deutsch-russischen Dialogs plädiert.Der wirtschaftsliberale „Kommersant“ verweist jedoch darauf, dass Westerwelle einer der ersten war, der kritisierte, dass Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder den Posten eines Ostseepipeline-Lobbyisten übernahm. Außerdem sei die FDP bekannt für ihre kritische Position zu den Menschenrechten in Russland. Allerdings habe sich Westerwelle bei seinem ersten Besuch in Moskau im April dieses Jahres, „sehr ausweichend“ zu Menschenrechtsfragen in Russland geäußert, bemerkt das Blatt. Deshalb hoffe man offenbar in Moskau, „dass mit Guido Westerwelle Deutschland der wichtigste Lobbyist für russisches Gas in Europa bleibt“.„Russland und Deutschland haben so enge und komplexe Beziehungen, dass persönliche Beziehungen eine zweitrangige Rolle spielen“, sagte der stellvertretende Leiter der Presseabteilung des russischen Außenministeriums, Igor Ljakin-Frolow. Da die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen das wichtigste Glied seien, würden diese durch einen FDP-Außenminister möglicherweise noch besser abgesichert, schreibt die Iswestija.Westerwelle gilt unter russischen Experten als „pro-amerikanisch“, wobei nicht genau klar ist, was das heute eigentlich heißt, da Obama einen freundlichen Ton gegenüber Moskau anschlägt. Würde Westerwelle eine stärkere Partnerschaft mit Washington suchen, könnte das für Moskau auf jeden Fall unangenehm werden, denn es gibt noch viele konfliktbeladene Themen. Dazu gehört der Versuch des Westens, das faktische Monopol Russlands über Gas-Exporte nach Europa über neue Pipelines, die Russland umgehen, auszuhebeln. Auch die Frage, wie es mit Georgien und seinen abtrünnigen – nur von Russland anerkannten – Provinzen Abchasien und Südossetien weitergeht, könnte noch für Konfliktstoff sorgen. Da Westerwelle als Politiker für die russischen Medien noch ein unbeschriebenes Blatt ist, wechselten sie schnell auf ein anderes Terrain. Der Fernsehkanal NTW zeigte Westerwelle mit seinem Lebenspartner Michael Mronz bei einer Feier. Für die russische Fernsehwelt war das eine kleine Sensation, zumal man auf Sticheleien verzichtete. Denn ein großer Teil der Russen hätte Probleme mit einem homosexuellen Minister, glaubt der russische Deutschland-Experte Wladislaw Below. Soviel steht zumindest fest: Ein deutscher Außenminister mit einem „Boyfriend“, schreibt die Iswestija, sei für die konservativ gestimmte russische Gesellschaft gewöhnungsbedürftig. Ulrich Heyden
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