Lettland

Fremdsprachenboom in der Wirtschaftskrise

Die Flure des deutschen Kultur- und Sprachinstituts in Riga sind voller Menschen. Ständig schauen Interessierte an Aushänge und informieren sich an der Rezeption. Dort werden sie mit einem freundlichen Lächeln von Ieva Meistare, einer Deutschlehrerin am Goethe Institut, begrüßt. Sie fragt sie nach ihren Deutschkenntnissen. Etwas in Verlegenheit gebracht, bemüht sich eine junge Interessentin nach ihrem schnellen „ja“, die richtigen Worte zu finden. Schließlich sagt sie auf Lettisch, dass sie in der Schule Deutschunterricht habe, aber mit einem Intensivkurs ihre Deutschkenntnisse aufbessern möchte.

Der Andrang bei den diesjährigen Intensivkursen sei größer als in den vergangenen Jahren, sagt Dr. Rainer Buhtz, Leiter der Spracharbeit am Goethe Institut Riga. Natürlich sei er erfreut, wenn sich so viele für Fremdsprachen interessieren. Dahinter verberge sich aber ein handfestes Interesse: so schnell wie möglich eine Beschäftigung im Ausland zu finden. Bereits in früheren Krisen habe man festgestellt, dass das Interesse an Fremdsprachen zunimmt. Liga Putnina, stellvertretende Geschäftsführerin einer Kaffeehausfiliale, kommt gerade aus Spanien zurück, wo sie zwei Wochen lang intensiv Spanisch gelernt hat. Sie ist begeistert. Die Arbeits- und Lebensbedingungen in Spanien, sagt sie, seien trotz der Krise immer noch besser als in Lettland. Man würde wenigstens über die Runden kommen, etwas, was heute in Lettland keine Selbstverständlichkeit ist. Sprachkenntnisse seien jetzt, gerade während der Wirtschaftskrise, Gold wert, ist sie überzeugt.

Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in Lettland wollen immer mehr Letten ihr Glück im Ausland versuchen. Ministerpräsident Valdis Dombrovskis warnte bereits vor kurzem davor, dass die Wirtschaftskrise zu einer neuen Welle der Migration führen könnte. Lettlands bisher größte Migrationswelle seit Wiedererlangen der Unabhängigkeit fand Mitte der neunziger Jahre statt, als das Land in einer ähnlichen wirtschaftlichen Situation steckte wie heute. Auf der Suche nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen machten sich offiziellen Statistiken zufolge 1995 über 16.500 Personen auf den Weg ins Ausland. Ein Trend, der auch in den nachfolgenden Jahren anhielt.

Mit dem in Aussicht gestellten Beitritt Lettlands zur Europäischen Union änderte sich die Migrationssituation. Fördergelder der EU, bessere Rahmenbedingungen für Kredite und eine attraktive Steuerpolitik verwandelten Lettland in eine Oase für Investoren. Die offizielle Zahl der Emigranten sank auf durchschnittlich 2500 in den Jahren 2003 bis 2005, während sich die Zahl der Immigranten in den Boomjahren und nach dem EU-Beitritt (2005 bis 2008) auf 3500 Personen verdoppelte. 2008 kam dann der Wendepunkt. Laut den Migrationsstatistiken des lettischen Statistikamtes hat sich die offizielle Zahl der Auswanderer 2008 gegenüber 2005 fast verdreifacht.

In einem Stadtpark unweit des Regierungssitzes verteilen zwei junge Mädchen Info-Blätter. Sie versprechen eine sichere Arbeitsstelle im Vereinten Königreich mit guter Entlohnung, komfortable Unterbringung nicht weit von der Arbeitsstelle und soziale Sicherheit. Die Beschaffung der benötigten Dokumente regelt die vermittelnde Firma. Dafür verlangen die privaten Vermittlungsfirmen oft erhebliche Gebühren. Häufig jedoch endet die Arbeitsvermittlung in einer regelrechten Odyssee für die Arbeitsuchenden. So sind beispielsweise bereits elf Fälle bekannt, bei denen lettischen Bauarbeitern eine gut bezahlte Beschäftigung auf einer deutschen Baustelle versprochen wurde. In Deutschland angekommen, fehlte nicht nur die Unterkunft, sondern oft auch die Arbeitspapiere. Nach wenigen Wochen Arbeit sind die Bauarbeiter ohne Lohnauszahlung entlassen worden. Vielen fehlen dann aber die finanziellen Mittel für die Heimreise.

Doch von solchen Berichten lassen sich die Letten, die kurz vor der Ausreise stehen, nicht abschrecken. Denn es gibt auch viele positive Erfahrungsberichte. Eva Blumberga studiert am Baltisch-Russischen Institut und arbeitet seit Jahren den Sommer über in einer Dubliner Bar. Zane Kukaine hat Lettland vor zwei Jahren verlassen und ist, nachdem sie ihre Schule absolvierte, zu ihren Eltern in Manchester gezogen. Schlechte Erfahrungen haben beide nicht gemacht. Liga Putnina stimmt dem. Sie hofft, dass ihre spanischen Fremdsprachkenntnisse sie besser für eine Arbeit im Ausland qualifizieren.


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