FEUERWEHRMANN PUTIN
Vor zehn Jahren ernannte Boris Jelzin den unbekannten Geheimdienstchef Wladimir Putin zum Ministerpräsidenten(n-ost) – Im Westen jagt Wladimir Putin den Menschen mit seinen oft lax dahingesagten Sätzen immer wieder Kälteschauer über den Rücken. Was mit dem Atom-U-Boot Kursk passiert sei, wollte CNN-Moderator Larry King seinerzeit wissen. „Sie ist untergegangen“, antwortete Putin schnodderig. Über die ermordete Journalistin Anna Politkowskaja sagte Putin, ihr Tod schade Russland mehr als ihre Artikel. Und auf der Wehrkundetagung in München drohte er wortgewaltig mit Gegenmaßnahmen im Falle einer weiteren Nato-Ostausdehnung.Doch das ist nicht der ganze Putin. Es gibt da noch einen Putin für den Hausgebrauch. Das ist der Feuerwehrmann, der überall dort in Russland auftaucht, wo es scheinbar unlösbare Probleme gibt. Putin fliegt auf dem Copiloten-Sitz eines Kampfflugzeuges nach Grosny (März 2000) womit er demonstriert, dass Moskau Tschetschenien niemals hergeben wird. In stundenlangen Fernsehsendungen beantwortet er als Präsident Fragen von Bürgern aus dem ganzen Land und verspricht Babuschka Mascha persönlich, sich um ihre schlechten Wohnverhältnisse zu kümmern. Oder er mischt sich, direkt von der Olympiade in Peking kommend, unter ossetische Flüchtlinge, die aus dem Kriegsgebiet in Georgien fliehen (August 2008).„Retter der Nation“Am 10. August 1999 berief der schwer herzkranke russische Präsident Boris Jelzin den damals völlig unbekannten Direktor des Inlandgeheimdienstes FSB, Wladimir Putin, zum Ministerpräsidenten. Russland befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer schweren Staatskrise. Innerhalb von 17 Monaten hatte Jelzin drei Ministerpräsidenten verschlissen (Sergej Kirijenko, Jewgeni Primakow, Sergej Stepaschin). Das Land durchlebte eine schwere Finanzkrise. Der Rubel verlor gegenüber dem Dollar ein Drittel seines Wertes.Doch damit nicht genug. Am 7. August 1999 fiel eine Gruppe bis an die Zähne bewaffneter islamistischer Extremisten von Tschetschenien kommend im nordkaukasischen Dagestan ein – mit dem erklärten Ziel im ganzen Nordkaukasus ein Kalifat errichten zu wollen. In Moskau kam es zu Explosionen in mehrgeschossigen Wohnhäusern. Mehrere Hundert Menschen starben. Offiziell wurden Attentäter aus dem Kaukasus für den Bombenterror verantwortlich gemacht. Kreml-Kritiker wie Aleksandr Litwinenko dagegen meinen, der Geheimdienst habe seine Finger dabei im Spiel gehabt. Am 1. Oktober befahl Putin den Einmarsch russischer Truppen nach Tschetschenien. Der Auftrag lautete, die Kaukasusrepublik, die seit 1997 in der Hand von Separatisten war, militärisch zurückzuerobern.Betrunken ein Orchester dirigiert1998 und 1999 waren Jahre, welche die Russen als Katastrophen-Zeit in Erinnerung haben. Das Volk war bereit, jedem seine Stimme zu geben, der das Land aus dieser Lage befreien würde. Für Jelzin, der in Deutschland in betrunkenem Zustand ein Militärorchester dirigierte, schämten sich die Russen, weil er ein schwaches Land repräsentierte. Da kam der Geheimdienstmann Putin, den die Medien als Retter der Nation aufbauten, gerade richtig. Angesichts von Finanzkrise, Bombenterror und Kaukasus-Krieg wagten auch unter den russischen Liberalen nur wenige offenen Widerspruch gegen die Ernennung eines Geheimdienstmannes zum Ministerpräsidenten.Der Tschetschenien-Krieg wurde zum Opfergang nicht nur für russische Soldaten, sondern vor allem auch für die tschetschenische Zivilbevölkerung. Die Zahl der Toten ging in die Zehntausende. Erst 2003 konnte Putin das Ende des Krieges bekannt geben. Er setzte Achmed Kadyrow, einen ehemaligen Mufti, als Verwalter und später als Präsidenten ein. Nach einem tödlichen Bombenanschlag folgte diesem sein Sohn Ramsan Kadyrow auf dem Präsidentenposten. Er errichtete eine Willkürherrschaft, in der Entführung, Folter und Mord zum Alltag gehören. Die letzte Menschenrechtsorganisation hat gerade ihr Büro in Grosny geschlossen. Der Nordkaukasus bleibt mit seiner sozialen Not, Korruption und islamistischen Untergrundbewegungen die Achilles-Verse Russlands.Billiges Gas nur noch bei GegenleistungenAußenpolitisch vertrat Putin einen selbstbewussten Kurs gegenüber dem Westen. Ein weiteres Heranrücken der Nato an die Grenzen Russland sollte unbedingt verhindert werden. Also wurden gegenüber Nachbarstaaten wie der Ukraine, die eine Aufnahme in die Nato anstrebten, die Gaspreise deutlich heraufgesetzt.Innenpolitisch setzte Putin auf eine straffe Zentralisierung. Er entmachtete Oligarchen, die sich seinem streng zentralistischen Kurs nicht anpassen wollte. Einige flüchteten ins Ausland, wie die Medien-Zaren Boris Beresowski und Wladimir Gusinski. Den einst reichsten Mann Russlands, Yukos-Chef Michail Chodorkowski, ließ Putin wegen Betrugs und Steuerhinterziehung 2005 nach Sibirien verbannen, wo er eine achtjährige Haftstrafe absitzt. An Chodorkowski, der Oppositionsparteien finanzierte und dem Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt wurden, statierte Putin ein Exempel. Und tatsächlich halten sich russische Oligarchen seit seiner Verurteilung aus der Politik heraus.Unter Putin entstand in Russland eine „gelenkte Demokratie“. Parteien, Medien und Nichtregierungsorganisationen dürfen existieren, sollen aber nach der Pfeife des Kreml tanzen. Bürgerrechtsaktivisten, die eng mit westlichen Stiftungen zusammenarbeiten, denunzierte Kreml-Chef Putin als „Schakale, die um westliche Botschaften schleichen“.Unter Putins Präsidentschaft stiegen die Einkommen der Russen. Gewinne aus dem Öl- und Gasgeschäft belebten die Wirtschaft. In den großen Städten entwickelte sich ein moderner Mittelstand. Viele Menschen in den Großstädten konnten sich zumindest bis zur Finanzkrise gute Wohnungen und Urlaubsreisen ins Ausland leisten.Feuerwehrmann an BrennpunktenPutin verdankt seine ungebrochene Popularität aber nicht nur den Öl- und Gas-Milliarden und dem höheren Lebensstandard. Insbesondere seit dem Beginn der Finanzkrise vermittelt der Ministerpräsident den Eindruck, dass er sich unermüdlich um die Sorgen seiner Bürger kümmert. Immer wieder eilt er an soziale Brennpunkte, wie Anfang Juni in die nordrussische Provinzstadt Pikaljowo, wo mehrere Hundert Einwohner wegen Betriebsschließungen, Lohnschulden und dem Abstellen der zentralen Heißwasserversorgung das Bürgermeisteramt gestürmt und eine Fernstraße besetzt hatten. Vor laufenden Fernsehkameras verdonnerte Putin den Oligarchen und Besitzer einer Zementfabrik, Oleg Deripaska, unverzüglich ausstehende Löhne zu zahlen und die Produktion wieder anzufahren. Die öffentliche Zurechtweisung des Oligarchen hatte Symbol-Charakter für das ganze Land. Es war ein Signal an die Unternehmer, Massenentlassungen und die Zurückhaltung von Löhnen auf jeden Fall zu vermeiden, denn soziale Proteste und damit politische Instabilität seien die unweigerliche Folge.In gewisser Weise entspricht der Regierungsstil Putins, der nach Meinungsumfragen immer noch der starke Mann in Russland ist und eine ungebrochen hohe Popularität genießt, den Alltags-Erfahrungen der einfachen Menschen. In Russland wird traditionell viel improvisiert, denn langfristige Pläne lassen sich wegen häufiger Krisen, eines unterentwickelten Rechtssystems und einer korrupter oder untätigen Polizei nur schwer umsetzen. So kommt es, dass dort, wo die Kraft des Kreml scheinbar nicht hinreicht, plötzlich Feuerwehrmann Putin auftaucht und Ordnung schafft, bis es woanders brennt.Ulrich HeydenENDE
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