Bulgarien

Neue Regierung gebildet

Der designierte bulgarische Premierminister und Vorsitzender der Volkspartei Gerb, Bojko Borissov, hat im Auftrag von Präsident Georgi Parvanov die Zusammensetzung der neuen bulgarischen Regierung verkündet. Gerb wurde bei der Parlamentswahl am 5. Juli die mit Abstand stärkste Kraft und erreichte 116 der 240 Mandate. Der bisherige Sofioter Bürgermeister Borissov will eine Minderheitsregierung führen, für deren Unterstützung er bisher nur die nationalistische Partei "Ataka" ("Attacke") gewonnen hat. Bei der Zusammenstellung der Regierung hielt sich Borissov an das Prinzip, hauptsächlich Experten zu nominieren, die bisher keine Ministersessel bekleidet haben. Als zweites wichtiges Kriterium bei der Auswahl galt das gute Image der Kandidaten vor europäischen Institutionen. Dies trifft etwa auf Margarita Popova zu, die designierte Justizministerin, die bis dahin das Spezial-Ressort der Staatsanwaltschaft für die Ermittlungen zur Veruntreuung von EU-Geldern leitete und der Brüssel sehr gute Arbeit attestierte. Borissov hatte die Wählergunst hauptsächlich mit dem Versprechen gewonnen, das durch die Misswirtschaft mit EU-Geldern erschütterte Vertrauen Europas in Bulgarien zurückzugewinnen.

Ebenfalls als positives Zeichen an das Ausland kann die Nominierung des neuen Finanzministers und Vizepremiers gewertet werden: Der 38-jährige Weltbank-Ökonom Simeon Djankov ist einer der Autoren des wirtschaftspolitischen Programms von Gerb. Seine guten Kontakte zu internationalen Institutionen dürfen sich in Anbetracht der sich verstärkenden Finanzkrise und des abnehmenden Investitionsinteresses in Bulgarien positiv auswirken.

Das problematische Ressort der Innenpolitik und das zweite Vizepremieramt übernimmt Zvetan Zvetanov, der Parteichef von Gerb und die rechte Hand von Borissov. Er verkündete gestern, Priorität seiner Arbeit sei die Koordination der Tätigkeit von Innenministerium, Staatsanwaltschaft und dem bulgarischen FBI, der Behörde DANS. Zudem seien der Kampf gegen Schmuggel und den Missbrauch von Budgetmitteln wichtig. Diese Zusammenarbeit fordert auch die  EU-Kommission im Kampf mit der organisierten Kriminalität und Korruption. Der Erfolg von Zvetanov wird auch davon abhängen, ob er unpopuläre Maßnahmen in der Personal- und strukturellen Reform des in Verruf geratenen Innenministeriums einleiten wird.

Skandale vor Amtsantritt

Bei den Kandidaturen kam es zu zwei großen Skandalen, noch bevor die Regierung im Amt ist. So wurde Bogidar Dimitrov, ein ehemaliger Geheimdienstarbeiter, zum Minister ohne Portfolio ernannt, der sich um die Bulgaren im Ausland kümmern soll. Dimitrov, der vor den Wahlen auch Mitglied der Sozialistischen Partei war, war zunächst von Gerb als Leiter der parlamentarischen Kommission für Kultur eingeplant. Nachdem jedoch das Parlament Regelungen zur Lustration verabschiedet hatte, konnte Dimitrov diesen Posten nicht übernehmen. Dass jetzt extra für ihn einen Ministersessel gesichert wurde, gilt in Sofia als schlechtes Zeichen für den angehenden Premier. Umso mehr, als sich Borissov für strukturelle Reformen ausgesprochen hat: Mit dem Argument, die Arbeit der Regierung zu verbessern, strich er zwei Ministerien und den Posten des Europaministers. Auch das Amt des Vizepremiers für die Kontrolle der Verwaltung der EU-Fonds wurde gestrichen, was Diplomaten in Brüssel nicht unbedingt begrüßten.


DIE NEUE JUSTIZMINISTERIN MARGARITA POPOVA

Margarita Popova wurde am 15. Mai 1956 geboren. Sie studierte in Bulgaristik und Jura in Sofia und begann ihre Karriere als Staatsanwältin 1990 in der kleinen Stadt Pirdop in Zentralbulgarien. 1991 wurde sie Bezirksstaatsanwältin in Svoge, einer Stadt 33 Kilometer nördlich von Sofia. Anschließend übernahm sie die Leitung der Staatsanwaltschaft des Sofioter Gebiets. Der für politische Manipulationen berüchtige ehemalige Generalstaatsanwalt Nikola Filtschev kündigte ihr 2004 und sie verlor diesen Posten. Popova wurde Dozentin am Nationalinstitut für Justiz. Am 21. September 2006 ernannte Generalstaatsanwalt Boris Veltschev sie zu seiner Sprecherin und stellte sie zugleich als Staatsanwältin in der Hohen Kassationsstaatsanwaltschaft ein. Nachdem das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung Olaf 2008 einen äußerst kritischen Bericht zur Betrugsbekämpfung in Bulgarien erstellt hatte, übernahm sie dort das einschlägige Ressort. Aufgrund der guten Ergebnisse ihrer damaligen Arbeit begrüßt die EU dem designierten Premier Bojko Borissov ihre Nominierung als Justizministerin.


Am Mittwoch wurde zudem publik, dass die als Landwirtschaftsministerin nominierte Dessisslava Taneva auf ihren Ministerposten verzichtet. Taneva ist Vorstandsvorsitzende der Holding "Mel invest", die 61 landwirtschaftliche Unternehmen vereint und einer der ganz großen Spieler im bulgarischen Agrarsektor, weshalb Medien ihr Interessenskonflikte vorwarfen. Sie ist berühmt für ihre steile Karriere. Schon mit 23 Jahren startete Taneva bei "Mel invest", zwei Jahre später war sie Geschäftsführerin. Die Holding investiert in landwirtschaftliche Güter, Korndepots, Tourismus und Brauereien. 1998 wurde Taneva zur "Unternehmerin des Jahres" gekürt. Beobachter verbinden ihren Namen mit der Unternehmensgruppe von Ex-Angehörigen der militärischen Spezialeinheit TIM, der kriminelle Machenschaften nachgesagt werden. TIM ist ebenfalls im Agrarsektor tätig, und zwar in der als "Kornkammer Bulgariens" bekannten Region Dobrudscha im Nordosten des Landes.

Diese Änderungen im letzten Moment zeigen, dass Borissov bei der Besetzung des Kabinetts flexibel ist und dabei immer seine Ziele im Auge behält. Für Flexibilität hat er sich auch mit Blick auf die parlamentarische Unterstützung entschieden – er wollte sich nicht an einen Koalitionspartner binden und wird nun der jeweiligen Situation entsprechend Loyalität von den verschiedenen Parteien erwarten.


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