Dicke Luft im russischen VW-Werk
Kaluga feiert den 500. Container-Zug aus Tschechien, doch die Stimmung unter den Arbeitern ist schlecht(n-ost) – Auf dem Gelände des russischen VW-Werks in Kaluga, 160 Kilometer südlich von Moskau, wurde ein erstes Jubiläum gefeiert. Eine Blaskapelle spielte Marsch-Musik, der russisch-orthodoxe Metropolit Kliment hob seine Hand zum Segen, Glitter-Girlanden wurden in die Luft geschossen. Und dann rumpelte der 500. Containerzug aus dem tschechischen Skoda-Werk Mlada Boleslav mit Karosserien und Achsen auf das Werksgelände, wo seit 2007 VW- und Skoda-Modelle montiert werden.Täglich schrauben russische Arbeiter in dem modernen, 570 Millionen Euro teuren Autowerk 20 VW- und Skoda-Modelle zusammen, darunter Passat, Touareg und Octavia. Im nächsten Jahr soll im russischen VW-Werk der komplette Produktionszyklus laufen, mit Schweiß-Halle und Lackiererei. Geplant ist eine Jahresproduktion von 150.000 Autos.Zur Feier des 500. Containerzuges kamen VW-Manager, Logistik-Experten der Deutschen Bahn, der russische Eisenbahnchef Wladimir Jakunin und der Gouverneur des Kaluga-Gebiets, Anatoli Artamonow. Die Finanzkrise war in den Festreden kein Thema. Dass der Markt für Neuwagen in Russland im ersten Halbjahr um 49 Prozent eingebrochen ist, wurde nur am Rande erwähnt. Die russischen und deutschen Bahn-Logistiker waren guter Dinge und stolz darauf, dass sie den Containerzug in vier, statt wie bisher in zwölf Tagen über die 2000 Kilometer lange Strecke brachten. Bis auf die immer noch zeitaufwendige Zoll-Abfertigung funktioniert die Verbindung zwischen den Autowerken in Tschechien und Kaluga jetzt reibungslos.
Zur Feier im russischen VW-Werk erschien Kliment (Bildmitte), rechts von ihm Anatoli Artamonow, links von ihm Wladimir Jakunin und Dietmar Korzekwa. Foto: Ulrich HeydenVoller Produktionszyklus ab 2010Auf die Frage, welche Auswirkungen es auf die Arbeitsplätze in Deutschland habe, wenn in Kaluga nicht nur endmontiert, sondern komplett produziert werde, sagte der Chef der Volkswagen Group Rus, Dietmar Korzekwa, der russische Automarkt habe zur Zeit zwar „eine Delle“, langfristig gehe man aber von einem kräftigen Wachstum aus. Auch bei einer Vollfertigung von Autos in Russland brauche man weiter Zulieferteile und sichere damit Arbeitsplätze in Deutschland.Die Hallen der russischen VW-Fabrik machen einen hellen und freundlichen Eindruck. In feststehenden Gerüsten schrauben Arbeiter in weißen Jacken Karosserien mit den Auto-Achsen zusammen. Doch der soziale Dialog im Werk lässt noch zu wünschen übrig, meinte IG Metall-Chef Berthold Huber, der das Werk am Mittwoch besuchte und mit Gewerkschaftern und dem Management sprach.Ein Zeichen dafür, dass im VW-Werk etwas nicht stimmt, war eine Arbeitsniederlegung Mitte Juni. Die Temperaturen in den Fertigungshallen waren auf 29 Grad angestiegen. 100 Arbeiter in der Endmontage hatte die Arbeit niedergelegt und sich schriftlich über die Verletzung des Arbeitsgesetzes beschwert, wonach die Temperatur in den Fertigungshallen nicht über 28 Grad liegen darf. Unmut über niedrige LöhneUnmut gab es in der Belegschaft auch wegen der Streichung der Prämien, die ein Drittel des Lohnes ausmachen, berichtet die Vorsitzende der unabhängigen Gewerkschaft MPRA bei VW, Kalerija Schmarjowa. In der unabhängigen Gewerkschaft, die zu den Partnern der IG Metall in Russland gehört, sind nach Angaben von Schmarjowa bereits 400 der insgesamt 1.600 VW-Arbeiter organisiert.Kalerija Schmarjowa, die seit eineinhalb Jahren in der Auto-Endmontage arbeitet, hatte bisher bei einer 40-Stunden-Woche 8.000 Rubel Brutto (181 Euro) im Monat verdient. Als alleinerziehende Mutter könne sie sich mit diesem Geld nicht normal ernähren, sagt die 27-Jährige. Die Betriebsleitung dagegen argumentiert, bei VW würden im Vergleich zu anderen Betrieben in der Region überdurchschnittliche Löhne gezahlt.Auf die Arbeitsniederlegung habe die Unternehmensleitung mit Einschüchterungsversuchen reagiert, berichtet die Gewerkschafterin. „Mal sehen, wie Du jetzt nach Hause kommst“, habe der Leiter des Werkschutzes zu Schmarjowa gesagt. Die Gewerkschafterin erstattete Anzeige.Die Arbeitsniederlegung hatte aber auch positive Folgen. So habe die Betriebsleitung versprochen, bei großer Hitze in Zukunft eine fünfminütige Pause zu gewähren und den Stundenlohn ab Juli um 15 Prozent von 1,6 auf 1,9 Euro zu erhöhen. Schmarjowa, die seit eineinhalb Jahren bei VW in der Endmontage arbeitet, erwartet bei einer 40 Stunden-Woche nun einen Monatslohn von 15.500 Rubel (352 Euro).Auf einer Pressekonferenz in Moskau begrüßte IG Metall-Chef Huber die Gründung deutscher Autowerke im Ausland, forderte aber die Einhaltung sozialer Standards, wie sie auch in den mit Hilfe der Gewerkschaften abgeschlossenen Rahmen-Vereinbarungen der transnationalen Konzerne festgeschrieben sind. Huber erklärte, man werde sich jetzt noch stärker mit den russischen Gewerkschaftern vernetzen, damit bei Betriebsneugründungen wie in Kaluga, „nicht nur die Interessen der Investoren durchschlagen“. Ein Lohn- und Rechts-Dumping dürfe es nicht geben. „Wir wollen, dass in Russland die gleichen Rechte für Arbeiter gelten, wie in Deutschland.“Putin verspricht HilfeBei einem Treffen des IG Metall-Chefs mit Ministerpräsident Putin am Dienstag sprach Huber das Problem der Übergriffe auf Gewerkschafter an. In den Autowerken von General Motors, Ford und Hyundai in den Regionen St. Petersburg und im südrussischen Rostow waren Gewerkschaftsaktivisten tätlich angegriffen worden. Der Vorsitzende der unabhängigen MPRA-Gewerkschaft im russischen Ford-Werk, Aleksej Etmanow, wurde im vergangenen Jahr dreimal vor seiner Wohnung von Unbekannten überfallen. Einmal kamen die Angreifer sogar mit Eisenstangen. Etmanow erstattete Strafanzeigen, doch die Ermittlungen brachten bisher keine Ergebnisse. Putin versprach dem deutschen Gewerkschaftschef, die Vorfälle würden untersucht.
Ulrich Heyden
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