Roulette jetzt nur noch im Internet
Rund 15 Jahre lang drehten sich am Neuen Arbat, der Vergnügungs- und Einkaufsmeile im Zentrum von Moskau, die Roulette-Tische. Nachts blinkte dort üppige Leuchtreklame. Langbeinige Schönheiten entstiegen schwarzen Limousinen, um ihren Gönnern im Imperia, Golden Palace oder Metelitsa (Schneesturm) über die Schulter zu gucken. Nun hängt vor den Glaspalästen – den stummen Zeugen des wilden Kapitalismus der 1990er Jahre – das Schild „Sakryto“ (Geschlossen). In der Nacht auf Mittwoch trat ein von der Duma beschlossenes Gesetz in Kraft, das Kasinos und Spielhallen aus den russischen Städten in vier Sonderzonen in der Provinz verbannt.500.000 Croupiers, Barmixer, Hostessen und Wachleute sind jetzt arbeitslos. Sie müssen sehen, wo sie unterkommen.
Oleg Medwedew, ein junger Mann, der zusammen Kollegen auf dem Puschkin-Platz im Zentrum von Moskau feiert, hofft, im Ausland Arbeit zu finden. „Ich glaube die Sprachkenntnis und die Erfahrungen die ich erhalten habe, werden mir helfen.“ Olegs Kollegin, Mari Schilzowa, hofft auf einen Job im Tourismus-Gewerbe.Die geschäftstüchtigen Spielhallen-Besitzer geben jedoch nicht einfach auf. Viele widmen ihre Einrichtungen um in Poker-, Lotterie- oder Internet-Klubs. „Sport-Poker“ ohne Geld, Pferdewetten, Lotterie und auch das Roulette per Internet sind weiterhin erlaubt. Viele russische Glücksspielunternehmen planen außerdem ins Ausland zu gehen, vor allem nach Weißrussland, Armenien, Georgien und die baltischen Republiken. Dort erwartet man schon jetzt die betuchteren russischen Gäste.Die Fahrt ins Ausland hat Tradition. Eine der bekanntesten Erzählungen des Schriftstellers Dostojewski, „Der Spieler“, veröffentlicht 1866, handelt von dem Russen Aleksej Iwanowitsch.
Der verliert nach einem Riesen-Gewinn an einem Roulettetisch in Deutschland das Interesse an Polina, seiner großen Liebe, und geht völlig in seiner Spielsucht auf, die ihn letztlich in die Armut stürzt.Von den vier versprochenen russischen Sonderzonen nach dem Vorbild von Las Vegas existiert bisher keine einzige. Weder in der Ostsee-Exklave Kaliningrad, dem südrussischen Krasnodar-Gebiet, im Altai-Gebirge noch im fernöstlichen Primorje stehen die versprochenen Zocker-Tempel, Hotels und Wellness-Zentren. Das Einzige, was bisher zu sehen ist, sind ein paar Stahlträger der zukünftigen Spielerstadt „Asow-City“ im südrussischen Krasnodar.Der größte Teil der Spieler wird nach Meinung der Experten jetzt zum Glücksspiel im Internet oder in dunkle Keller abwandern, wo man, wie zu Sowjetzeiten, nur auf ein bestimmtes Klopfsignal Einlass bekommt. Tatjana Dmitrijewa, Leiterin der angesehenen Serbsky-Psychatrie-Klinik begrüßt das Kasino-Verbot, denn „die Spielsucht zerstört die Persönlichkeit“, sagt die Ärztin.
Zumindest in einer Übergangszeit erwartet Dmitrijewa einen deutlichen Anstieg von Hilfe Suchenden Patienten.Kritische Stimmen, dass man die Spielsucht nicht mit einem Verbot bekämpfen kann, findet man in den russischen Medien nur am Rande. Typisch sind dagegen Kommentare, wie die des Fernsehkanals NTW: „Die Sorge um die psychische und finanzielle Gesundheit der Nation siegte im Kampf gegen das Streben nach Geld.“ Doch dass der Staat freiwillig auf jährlich 680 Millionen Dollar Steuereinnahmen verzichtet, daran zweifeln in Russland viele. Vielmehr hofft er wohl, durch die Zocker-Sonderzonen Steuerhinterziehung und Kriminalität besser in den Griff zu bekommen.