Enver Hoxha – Ein Diktator kehrt zurück
Vat Fortuzi spricht nicht gern über seine Vergangenheit. „Die Geschichte hat die Kommunisten besiegt. Warum soll ich jetzt noch über sie herziehen?“, sagt der Albaner. Fortuzi sitzt inmitten von Tellern mit Mutter Teresa-Motiven und Statuen des Nationalhelden Skanderbeg. An seinem Kiosk im Zentrum der albanischen Hauptstadt Tirana flattern bunte Wimpel im Wind. Auf einem von ihnen weht das Bild eines sympathischen alten Mannes. Der grauhaarige Opa sitzt in blauer Strickjacke friedlich unter einer Zypresse. Der Alte ist der albanische Diktator Enver Hoxha.
Hoxha war seit 1943 Vorsitzender der kommunistischen Partei der Arbeit Albaniens. Über 40 Jahre lang, bis zu seinem Tod 1985, hat er sein Drei-Millionen-Volk mit eiserner Faust regiert. Nach dem Vorbild des Chinesen Mao zwang er sein Land zu einem Sonderweg: Religion war verboten, Kontakte ins Ausland gab es kaum – weder in den Westen noch in den sozialistischen Ostblock. Die Treue zur Staatspartei war oberste Pflicht. Wer dieser Linie nicht folgte, landete im Gefängnis. Ganze Familien wurden in Arbeitslagern interniert.
Auch die Familie von Vat Fortuzi, die aus dem katholischen Nordalbanien stammt, war betroffen. „Hoxha hielt uns immer für unberechenbar, wegen unserer Haltung zum Kommunismus“, erklärt Fortuzi. „Soweit wir konnten, haben wir Widerstand geleistet.“ Noch immer zittert er leicht, wenn er von damals erzählt.
Hoxha erklärte Albanien 1967 zum ersten atheistischen Staat der Welt. Er ließ Moscheen und Kirchen zerstören und alle traditionellen christlichen und muslimischen Namen ausrotten. Nicht nur Familien, sondern ganze Dörfer und Städte wurden umbenannt. „Die Staatspolizei Sigurimi war gegen uns Katholiken besonders brutal“, erinnert sich Fortuzi. „Mit Terror und Folter sorgte sie für Ruhe im Land.“
Dennoch verkauft er seit kurzem Büsten, Magneten und Tassen mit dem Porträt von Diktator Hoxha. Fortuzi sieht keinen Widerspruch darin, dass er heute das Bild jenes Mannes unter die Leute bringt, unter dem er einst Zwangsarbeit leisten musste. „Es ist ein gutes Geschäft“, sagt er. „Wo ich die Waren hole, kaufen alle Souvenirhändler Tiranas.“ Rechtfertigen muss er sich oft dafür, vor allem vor Bekannten. Aber auch Fremde sprechen ihn auf Hoxha an. „Sie denken, ich bin Kommunist, so eine Art Idiot.“ Trotzdem stellt er seine Hoxha-Tassen direkt in die breite Auslage zur Straße hin. „Diese Jahre sind Teil unserer Geschichte. Wir können sie nicht überspringen“, so der 46-Jährige. „Es war eine schlechte Zeit, sehr schlecht sogar. Aber ich verstecke mich nicht vor ihr.“
Es ist, als schleiche sich der Diktator leise ins Leben der Albaner zurück. Vor wenigen Jahren seien Hoxha-Souvenirs noch undenkbar gewesen, meint Fortuzi. Man hätte nicht einmal offen sagen können, dass man Sozialist ist. Dabei habe bis zur Revolution von 1990 ganz Albanien Enver Hoxha verehrt: „Den ganzen Tag, zu Hause, in Bars, in Schulen, in der Armee. Überall.“ Nach der Wende schimpften die Leute über den autoritären Staatschef – am lautesten die ehemaligen Mitglieder der Kommunistischen Partei.
Es sind vor allem Ausländer, die Fortuzi seine Hoxha-Souvenirs abkaufen. Erst gestern habe ein Franzose einen Magneten erstanden. „Der wusste nicht, wer Enver Hoxha war“, sagt Vat Fortuzi. Der Händler erlebt auch sonst viel mit seiner Hoxha-Tasse: Es gibt Albaner, die sehen die Tasse und wollen sie gleich zerschlagen. Andere grüßen ihn gerade deswegen. „Sie sind so begeistert, dass ihr Herz zu einem Berg wird“, zitiert er ein albanisches Sprichwort. Sie versprechen, dass sie wiederkommen und ihm eine Hoxha-Erinnerung abkaufen. „Das sind keine Zyniker, das sind Leute, die ihn wirklich lieben“, sagt Fortuzi. Einmal sei ein Mann gekommen, dessen Onkel der Arzt des Parteichefs war. Er regte sich auf, dass Hoxhas Figur direkt neben der des jetzigen Premierministers Sali Berisha stehe.
Vat Fortuzi ist in seinem Kiosk umgeben von Souvenirs, Symbole seiner ehemaligen Peiniger / Ulrike Butmaloiu, n-ost
Fortuzi ist nicht der einzige Nostalgie-Händler in Tirana. Wenige Schritte weiter steht die Zeitungsbude von Sanije Meta. Die Mittfünfzigerin holt mit Begeisterung die Memoiren von Hoxhas Frau aus der Auslage ihres winzigen Bretterverschlages. Bis unter die Decke hängen Zeitungen und Magazine und eben jene Bücher, die voll sind mit Erinnerungen an die verflossene Zeit. Hoxhas Frau Nexhmije erzählt darin über ihr Leben mit dem Diktator und über seine Errungenschaften.„Ich habe alle Bücher gelesen“, sagt Sanije Meta begeistert. „Einen Mann wie Hoxha hätte ich gern geheiratet“, schwärmt sie vom, so sagt sie, klugen und edlen Parteiführer. Auch Hoxhas zwei Söhne und seine Tochter haben erkannt, dass sich die Erinnerungen an ihren Vater versilbern lassen. Und so stapeln sich in Sanije Metas Speicher Hoxhas Werke. „In allen Sprachen“, betont sie, auf Deutsch die „Begegnungen mit Stalin“.
Ernal Halilaj, der Besitzer einer Bar direkt am belebten Skanderbeg-Platz, nimmt die Hoxha-Souvenirs in seiner Nachbarschaft gelassen hin. „Der Kult kommt aus dem Kosovo. Wir Albaner haben keinen Bezug mehr zu ihm“, behauptet Halilaj. Als Feind des jugoslawischen Staatschefs Tito sei Hoxha bei den Kosovo-Albanern immer beliebt gewesen.
Derweil zieht eine junge Frau ihren Vater zur Seite: „Schau“, ruft sie, weist mit dem Finger auf die Tasse mit Hoxhas Porträt und lacht. Ihr Vater sieht scheu auf den weißhaarigen Mann in der legeren Freizeitjacke und drängt seine Tochter zum Weitergehen. „Ich würde so etwas nie kaufen, es interessiert mich einfach nicht“, sagt sie noch schnell in gebrochenem Englisch, „aber mein Vater schwört auf ihn.“
Nach 1990 haben die Albaner mit Macht nach neuen nationalen Symbolen gesucht. Gefunden haben sie Mutter Teresa. Die Heilige wuchs in einer wohlhabenden albanischen Familie auf, bevor sie als 18-Jährige zunächst kurz nach Irland und von dort nach Indien auswanderte. Nun hat Mutter Teresa ihren offiziellen Platz in der albanischen Geschichte gefunden. Der Platz vor der Universität in Tirana und der internationale Flughafen tragen ihren Namen. Mutter Teresa wird in Albanien mittlerweile fast mehr verehrt als Skanderbeg, der berühmte Kämpfer gegen die Osmanen, dessen Reiterstatute die zentralen Plätze des Landes schmückt.
Mutter Teresa und Skanderbeg sind der Stolz der Nation. Ihre Gesichter prangen auf Postkarten, Tellern und Aschenbechern, sie hängen als Wimpel und Wandteppiche von den Wänden oder zieren als Büste, Vase oder Bleistift so manchen Schreibtisch. Und mittendrin immer wieder Enver Hoxha. Souvenirverkäufer Vat Fortuzi sagt, die Albaner müssten ihre Vergangenheit verarbeiten, um sich eine Zukunft aufzubauen. Seine Hoxha-Tassen sind ein kleiner Denkanstoß dazu.