Russland

Immobilienmarkt vor dem freien Fall?

Experten warnen vor eine Abwärtsspirale im einst boomenden Wohnungsmarkt(n-ost) – Die Prognosen Alexey Tschuwins, des Direktors der Abteilung für Baufinanzierung der Sberbank, klangen düster: Im Herbst beginne ein Kampf um die Liquidität vieler Bauträger, sie „werden billig verkaufen, nur um überhaupt irgendwelche Einnahmen zur Absicherung der Liquidität zu bekommen“, sagte Tschuwin auf einem Moskauer Kongress zum Immobilienmarkt in Russland. Dies werde zu einem Preisverfall im Wohnungs- und Bürosektor führen, erklärte der hochrangige Banker der größten russischen Bank, die mehrheitlich im Eigentum der russischen Zentralbank ist.Die Meldung verbreitete sich schnell und wenige Stunden später war Tschuwin gefeuert. Sein vormaliger Arbeitgeber erklärte in einer Presseerklärung, dass Tschuwin nicht befugt war, auf der Konferenz im Namen der Bank aufzutreten. Seine Prognosen entsprächen nicht den Statistiken der Sberbank, ferner wäre Tschuwin seine Einschätzung zum Immobilienmarkt „ausschließlich seine persönliche Meinung und in keiner Weise der offizielle Standpunkt der Sberbank.“ Tschuwin befinde sich nun im Urlaub mit anschließender Kündigung.In den letzten Jahren ist der Immobilienmarkt Russlands mit enormen Wachstumsraten expandiert. Selbst außerhalb der zwei großen Metropolen Moskau und St. Petersburg waren für europäische Verhältnisse unglaubliche Wachstumsraten zu beobachten. Zahlte man beispielsweise Anfang 2005 in Nowosibirsk für einen Quadratmeter Wohnfläche im Rohbau unter 20.000 Rubel – zum damaligen Kurs rund 550 Euro –, wuchs der Preis bis Mitte 2008 auf über 50.000 Rubel – rund 1.400 Euro – an. Dies führte zu einem ungekannten Bauboom, plötzlich wurden selbst in der weitläufigen sibirischen Steppe Wohnhäuser mit bis zu 40 Etagen geplant. Von den hochtrabenden Plänen für Moskau und St. Petersburg, wie dem Rossija-Tower mit 118 Etagen, ganz zu schweigen.
In den letzten Jahren entstanden selbst in Sibirien Wohnhäuser mit 24 Etagen oder mehr. Foto: Slava Wetoschkin.Die Gründe für den Boom waren vielfältig. Zum einen wuchs durch die hohen Ölpreise die im Umlauf befindliche Geldmenge, und damit stiegen die Löhne. Die Erfahrungen mit der Hyperinflation Ende der 1990er Jahre hatten die Russen misstrauisch gegenüber Banken gemacht – und so legten viele ihr Geld lieber in Immobilien an. Verstärkt wurde diese Situation durch einen enormen Bedarf an Wohnungen in den Städten, begründet durch die Landflucht und den unzureichenden Wohnungsbau in den ersten 15 Jahren nach der Perestroika.Viele Wohnungen wurden über Kredite finanziert, als Sicherheit wurden die Immobilien selbst hinterlegt. Wenn diese nun an Wert verlieren und Besitzer oder Bauherren aufgrund sinkender Löhne zu Zwangsverkäufen gezwungen sind, komme es zu einer Abwärtsspirale, warnten Experten der internationalen UniCredit Group bereits im Oktober: „Die Blase auf dem russischen Immobilienmarkt platzt, wie zuvor in den USA und Japan.“Den offiziellen Daten der russischen Zentralbank zufolge sind im Moment drei Prozent der Kreditnehmer im Zahlungsverzug. Pjotr Awen, der Präsident der privaten Alpha-Bank, hält jedoch einen Wert von zehn Prozent für realistischer. Zum Jahresende erwartet er, dass 15 Prozent der Kredite nicht mehr bedient werden können – was nach seinen Angaben 80 Prozent des gesamten russischen Bankenkapitals entspricht.Mit Beginn der Krise fand das Wachstum des Immobilienmarktes ein Ende. Viele Bauprojekte, so auch der Rossija-Tower in Moskau, wurden gestoppt. Gemäß einer Analyse der Agentur RID Analytics, die den Markt in Sibirien beobachtet, konnten Baufirmen im Sommer 2008 durchschnittlich zehn Wohnungen im Monat pro Objekt verkaufen – im Winter nur noch ein bis zwei. Die Preise seien im selben Zeitraum nur um vier Prozent gesunken. Dabei sind jedoch hohe Rabatte, die viele Baufirmen inzwischen bei Barzahlung gewähren, nicht berücksichtigt.Auch die Sberbank bleibt nicht müde zu versichern: „Unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten, denen Bauträger im Moment ausgesetzt sind, sieht die Sberbank Russlands positive Tendenzen im Immobilienmarkt aufkommen und führt die Kreditvergabe entsprechend den bereits formulierten Prinzipien fort.“ Was dabei nicht erwähnt wird – diese Prinzipien wurden seit Herbst 2008 deutlich zu Ungunsten der Bauherren verschärft.Norbert Schott
ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


Weitere Artikel