Mit dem Web 2.0 ins EU-Parlament
Den 23. August 1989 hat Radvile Morkunaite noch gut im Gedächtnis. Sie war zwar erst fünf Jahre alt, doch die Menschenkette, mit der sie gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern stand, hat sie beeindruckt. Sie war Glied in einer Kette von Menschen, die über 600 Kilometer von Tallinn über Riga nach Vilnius reichte. Damit demonstrierten zwei Millionen Balten für die Unabhängigkeit ihrer Länder von der Sowjetunion.
Radvile Morkunaite gehört zur ersten Generation Politiker, die die russische Okkupation nicht mehr bewusst miterlebt hat, sondern im unabhängigen Litauen groß geworden ist. Heute kämpft sie für einen modernen, toleranten und verantwortungsvollen Staat, steht dabei für Bodenständigkeit und Gewissenhaftigkeit. Wohl deshalb hat die als Beraterin des litauischen Außenministers Vygaudas Ušackas tätige 25-Jährige ihre politische Heimat in der christlich-demokratischen konservativen Vaterlandsunion gefunden. Die hat Morkunaite für die Europawahl 2009 als Kandidatin nominiert.
Schafft sie den Weg ins Europaparlament, würde sie zu den jüngsten Abgeordneten in Brüssel gehören.Doch nicht nur das ist an der Kandidatur von Radvile Morkunaite ungewöhnlich. Sie ist eines der vielen frischen Gesichter, mit denen Litauen in den diesjährigen EU-Wahlkampf zieht. 2004 war das noch anders: Da diente die Nominierung vielmehr als Anerkennung, die für eine bestimme parteipolitische Leistung vergeben wurde. Hingegen sei Morkunaites vierter Listenplatz eine außerordentlich hohe Positionierung, sagt der Politikwissenschaftler Nerijus Maliukevičius.
Immerhin handele es sich bei der Kandidatin um ein auf dem politischen Parkett wenig bekanntes Gesicht.Innenpolitisch hat Radvile Morkunaite jedoch bereits viele Erfahrungen gesammelt. Bereits während des Studiums arbeitete sie als Assistentin verschiedener Abgeordneter und war drei Jahre im Vorstand der Liga der Jungkonservativen, bis sie im Jahr 2006 deren Präsidentin wurde. International bekannt geworden ist die junge Politikerin Morkunaite als Fürsprecherin und Gründerin der internationalen Initiative „Gegen den geplanten Bau der Nordstream Gas Pipeline“.
In einer Petition gegen die Pipeline hat sie dem Europaparlament fast 20.000 Unterschriften von besorgten Bürgern überreicht. „Sie allen haben begründete Angst“, sagte Morkunaite während einer öffentlichen Anhörung zum geplanten Bau der Nordstream Pipeline, „dass die mit immenser Verschmutzung der Ostsee einhergehende Verlegung der beiden Pipelines weit schwerwiegendere Folgen für die Umwelt haben wird, als dies im Umweltgefährdungsbericht der Nordstream AG dargestellt wird.
“Die Ostsee gegen den Bau der Nordstream Pipeline zu schützen ist ein zentraler Ansatzpunkt von Morkunaites Wahlkampagne und eine der wichtigsten Angelegenheiten, für die sie sich als Abgeordnete im Europaparlament stark machen möchte. Sie will sich auch für eine Anerkennung des an der litauischen Bevölkerung unter der sowjetischen Herrschaft verübten Leids stark machen. Für die Entwicklung der eigenen, nationalen Identität im postsowjetischen Zeitalter sei die politische und moralische Anerkennung dessen wichtig, sagt sie.
Mit diesen Themenschwerpunkten will Radvile Morkunaite vor allem die jungen Wähler überzeugen. Jene, die zum ersten Mal ihre Stimme für Europa abgeben. Denn die anderen Wähler in Litauen, so der Politikwissenschaftler Maliukevičius, tendierten eher dazu, ihre Stimme einer ihnen bekannten Persönlichkeit zu geben. Deshalb wird es für Morkunaite ausschlaggebend sein, die jungen Wähler zu überzeugen und zu mobilisieren. Das will sie unter anderem mit der Nutzung des Web 2.0 und einer großen Präsenz in Radiodebatten und in Talkshows erreichen.Eines ihrer Hauptmotive sich politisch zu engagieren liege im Werdegang ihrer Ahnen, erzählt Radvile Morkunaite.
Vater und Mutter waren beide aktive Mitglieder der „Sąjūdis“, einer politischen Reformorganisation, die sich als „Erneuerungsbewegung Litauens“ verstand, und die den friedlichen Kampf zur Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit Litauens Ende der 1980er und Anfang der 1990er vorantrieb. Morkunaites Urgroßvater war gewählter Bürgermeister von Talsu und ihre Eltern sind seit 1993 Mitglieder der Vaterlandsunion. Die politischen Aktivitäten ihrer Eltern hätten bei Radvile Morkunaite die Neugierde für Politik geweckt und sie maßgebend beeinflusst.