Künstler gerät in die Fänge der Justiz
Junger Nowosibirsker Regisseur unter fragwürdigen Umständen festgenommen
(n-ost) – Artjom Loskutow nimmt die Situation erstaunlich gelassen: „Es ist wie auf einer Kur – Brot und Tee“, sagt er aus seinem Käfig heraus, in dem er im Gerichtssaal sitzt. Am vergangenen Freitag wurde der Nowosibirsker Regisseur und Künstler von Uniformierten, die sich jedoch nicht auswiesen und keinen Grund nannten, festgenommen. In einem nahegelegenen Hof wurde danach sein Rucksack durchsucht – ohne Zeugen und auch für Artjom Loskutow nicht einsehbar wurde der Inhalt in den Kofferraum des Autos geschüttet. In dem Rucksack fand sich laut Protokoll zwischen den persönlichen Dingen ein Päckchen mit elf Gramm Marihuana. „Zwischen meinen Sachen wurden Drogen gefunden, allerdings stammen diese nicht von mir“, beteuert Loskutow. Seine Begleiterin Ljubow Beljazkaja versichert in einer Presseerklärung: „Wenige Minuten zuvor hatte ich die gesamte Tasche durchsucht, um persönliche Dinge herauszunehmen – in der Tasche waren keinerlei Tüten!“ Auch die Tatsache, dass Loskutow nach eigenen Angaben wenige Stunden vor seiner Festnahme der Polizei angerufen und zum Gespräch vorgeladen wurde, macht es unwahrscheinlich, dass der Künstler Drogen bei sich trug.
Artjom Luskotow vor der Verhandlung über seine Freilassung bis zur endgültigen Gerichtsverhandlung. Foto: Walery Titijewsky
Fragwürdige Festnahmen von politisch Andersdenkenden sind in Russland nicht ungewöhnlich. Auch die 2006 ermordete Journalistin Anna Politkowskaja schilderte in ihrem Buch „In Putins Russland“, dass politischen Feinden mehrfach Drogen oder Sprengstoff untergeschoben wurden. Neu an diesem Fall ist, dass es in Nowosibirsk einen Künstler getroffen hat, der nach eigenem Bekunden völlig unpolitisch agiert. Seit 2004 gibt Artjom Loskutow in Nowosibirsk verschiedene Flashmobs – also spontane über das Internet organisierte Aktionen. Die bekannteste Aktion ist die „Monstration“, bei der jedes Jahr am 1. Mai hunderte Jugendliche mit möglichst absurden Plakaten durch die Stadt zogen. Losungen wie „Tanja, weine nicht!“ oder „Irgendwie so was“ sollten nur Gefühle zeigen, politische Losungen waren ausdrücklich nicht erwünscht. Die Aktion wurde stets argwöhnisch von Polizisten beobachtet – jedoch nie unterbunden. In einigen Jahren wurde die „Monstration“ sogar offiziell genehmigt. Kurzzeitige Festnahmen waren die Ausnahme.Doch in diesem Jahr ist alles anders. Der Kreml plant Zeitungsberichten zufolge ein Frühwarnsystem, um die politische Stimmung in den Provinzen zu erfassen. In diesem System solle auch aufgezeichnet werden, wie oft die Bevölkerung auf die Straße gehe. In vielen Regionen wurden innerhalb der Polizeistrukturen „Zentren zum Widerstand gegen Extremismus“ gebildet. Das „Zentrum E“ in Nowosibirsk interessierte sich bereits im Frühjahr für die Projekte der Nowosibirsker Künstler und bat sie mehrfach um Vorsprache. Daraufhin verkündeten Loskutow und seine Mitstreiter, dass es 2009 keine „Monstration“ geben werde. Doch auch ohne die Initiatoren trugen etwa 200 Jugendliche Plakate wie „Gekochte Zwiebeln – igitt!“ durch die Straßen.
Die „Monstration“ 2008 war offiziell angemeldet und verlief ohne Probleme. Foto: Ewgeny Iwanow
Seit einer Woche nun sitzt Loskutow in Untersuchungshaft. Bei einer ersten Anhörung, in der nur über eine Freilassung bis zum endgültigen Gerichtsurteil entschieden wurde, war die Resonanz unerwartet groß. Rund 20 Journalisten passten in den Raum, die meisten der fast 100 Unterstützer mussten jedoch sechs Stunden lang vor dem Gebäude ausharren. Alle Versuche der Verteidigung, mit Bürgschaften, Unterstützerschreiben, dem Hinweis auf seine nahende Diplomverteidigung, seinen festen Arbeitsplatz und sein künstlerisches Schaffenn achzuweisen, dass bei Artjom keine Fluchtgefahr bestehe, scheiterten. Die Richterin entschied, Loskutow in Untersuchungshaft zu belassen, da Fluchtgefahr und fortgesetzter Drogenhandel drohen. Loskutows Anwalt Walentin Demidenko bezeichnete das Urteil als ungerecht und hat Berufung eingelegt. Sein Honorar wird über Spenden finanziert – innerhalb weniger Tage kamen fast 1500 Euro zusammen.Norbert Schott
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