Grenze zu verkaufen
Erst verschwanden die Häuschen, in denen die Grenzbeamten gesessen haben und die Ausweise der Reisenden entgegennahmen. Dann mussten die Telefonzellen am Autobahngrenzübergang Ludwigsdorf an der A 4 in Sachsen weichen. „Erst wenn alles drum herum und darunter beseitigt ist, können wir auch das Dach abbauen“, sagt Peter Kumbier von der Firma Peka aus dem niedersächsischen Wolfenbüttel. Dann wird er es zerlegen und – verkaufen. Seit an den Grenzen nach Polen und Tschechien nicht mehr kontrolliert wird, verwertet und verkauft Kumbier, was nicht mehr gebraucht wird: Hallen, Containerhäuschen und Dächer. Peter Kumbier ist genau der Richtige, um die Grenze nach Osten abzubauen. Denn für den 67-Jährigen war der Eiserne Vorhang nie ein Hindernis. Vor mehr als 30 Jahren begann er, in den damaligen Ostblockstaaten zu handeln. „Ich bin etwas abenteuerlich veranlagt“, sagt der Niedersachse, der 1978 eine Firma für Hallenbau gründete. Weil die Preise in der DDR günstig waren, kaufte er Lagerhallen vom Metall-Leichtbau-Kombinat in Halle/Saale, die er im Westen verkaufte. „Ich stand unter starker Beobachtung“, erinnert er sich – was den gelernten Feinmechaniker aber nicht daran hinderte, immer weiter nach Osten vorzudringen.
Der Autobahngrenzübergang Ludwigsdorf an der A 4 in Sachsen wird derzeit abmontiert. Foto: Pawel SosnowskiAls der Sozialismus kollabierte, war Kumbier einer der ersten, die die neue Freiheit nutzten. Er stieg bei einer Firma im niederschlesischen Wroclaw (Breslau) ein – Stahlbau, unter anderem wurden Abfallcontainer produziert. Kumbier zog große Aufträge aus der Autoindustrie an Land und suchte weiter nach den günstigsten Preisen – in der Ukraine, in Weißrussland, im Baltikum und in Russland. „Aber wir haben die Qualität nicht geschafft“, erzählt der Geschäftsmann. Das Unternehmen ging baden, Kumbier machte weiter – gründete ein Sägewerk in Weißrussland, verschiffte Autos nach Afrika, handelte von sibirischem Holz bis hin zu Senfkörnern alles, was sich verkaufen lässt. Und er reiste – durch den Kaukasus, nach Tschetschenien und Moldau. „Ich kann kein Russisch, aber ich kam überall hin“, sagt Kumbier. Der Niedersachse erzählt gerne von seinen Abenteuern: den vielen Strafmandaten, den zwei Nächten in Polizeigewahrsam in Rostow am Don, wo man ihn für einen Spion hielt, der Zugfahrt mit Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow, der abenteuerlichen Fahrt über den zugefrorenen Fluss Jenissej, die Zeit im sibirischen Krasnojarsk, wo er in Filzstiefeln und Tschapka auf dem Kopf dem minus 51 Grad kalten Winter trotzte. Doch für Abenteuertouren hat der Niedersachse momentan keine Zeit. Insgesamt 18 Übergänge soll die Firma Peka vermarkten, erzählt er: In Altenberg und Neurehefeld haben er und seine Geschäftspartner gerade damit begonnen, die kleinen Häuschen und die Überdachung an der Grenze zu Tschechien abzumontieren. Die ersten sächsischen Grenzübergänge demontierte er im vergangenen im Sommer: Erst an der Görlitzer Stadtbrücke, dann in Bad Muskau und Sebnitz. Und im Mai sind die Zittauer Grenzübergänge nach Polen und Tschechien an der Reihe.Vergeben werden die Aufträge dazu von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. In einer regionalen Ausschreibung überzeugte die Firma Peka mit dem besten Angebot: „Pro Grenzübergang erhalten wir einen Anteil am Verkaufserlös, der zwischen 1.000 und 17.000 Euro liegt“, erklärt Ekkehard Reichelt, Leiter Facility Management der Direktion Erfurt, die die Bundesanstalt in Sachsen und Thüringen vertritt: „Manche Grenzübergänge allerdings sind so veraltet, dass wir dafür nichts mehr bekommen“, sagt Reichelt. Aus diesem Grund haben seine Kollegen in Brandenburg und Mecklenburg noch nicht mit dem Verkauf der Grenzanlagen begonnen: „Der Stahlpreis ist derzeit so am Boden, dass sie noch warten mit dem Verkauf“, sagt Reichelt. Peter Kumbier ist allerdings guter Dinge, dass die Firma Peka auch in Brandenburg und in Bayern zum Zuge kommt.Der Grenzübergang in Ludwigsdorf wurde im August 1996 in Betrieb genommen, 42 Millionen Euro hat der Bau seinerzeit gekostet, 13 Jahre lang erfüllte er seinen Zweck. Doch auch neue Anlagen werden zu einem Bruchteil des Preises, den sie einst kosteten, verkauft: 3,1 Millionen Euro etwa investierte im sächsischen Bad Muskau der Staat noch in den Bau der neuen Anlage. Als sie im Mai 2003 in Betrieb genommen wurde, war schon längst klar, dass der Beitritt Polens und Tschechiens zum Schengener Abkommen nur noch eine Frage der Zeit ist. Diese Kosten vor den Bürgern zu rechtfertigen, sei nicht seine Aufgabe, sagt Ekkehard Reichelt von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und es klingt fast etwas erleichtert. Warum könnten modernste Anlagen nicht komplett verkauft werden, um sie etwa an der EU-Außengrenze weiter zu nutzen? Reichelt hebt die Schultern: „Das regeln alles die Verträge von Schengen.“ Seine Bundesanstalt habe darauf keinen Einfluss.„Völlig unsinnig“, zürnt Knut Schreiter vom Bund der Steuerzahler in Sachsen: „Hier wird Verschwendung legalisiert.“ Der Dresdener vergleicht die Genehmigungsverfahren neuer Grenzanlagen sogar mit der DDR-Planwirtschaft. Zwischen Bedarfsanalyse und Bau vergingen fünf Jahre: „Und wenn die neue Grenzanlage einmal durch die Instanzen durch ist, fehlt oft die Flexibilität der Behörden, den Bau dann zu stoppen, obwohl er offensichtlich nicht mehr lange genutzt werden wird.“ In Bad Muskau verstrichen sogar zehn Jahre vom ersten Bauantrag bis zur Einweihung. Erfolgreich intervenieren konnte sein Bund noch beim Lkw-Rückstauplatz, der noch 2004 in Ludwigsdorf gebaut werden sollte: „Da musste man ja wirklich keine hellseherischen Fähigkeiten haben, um zu sehen, dass die Schengen-Grenze zu Polen bald fällt“, sagt er. Tun könnten Kritiker aber meist kaum etwas: „Wenn der Karren erst einmal rollt, dann rollt er.“Für Peter Kumbier ist der Handel mit der Grenze ein Geschäft wie andere auch – und doch wieder nicht. Als die Mauer fiel, erzählt Kumbier, erlebte er, wie im Osten auf einmal überall neue Grenzen entstanden. Und nun steht er am Rande der A4 in Ludwigsdorf und erklärt, wann was abgebaut werden soll und was aus den Anlagen wird. Zum Beispiel, dass die Besitzerin einer Wechselstube auf dem Lkw-Parkplatz drüben einen Container gekauft und darin eine Filiale in der Nähe von Zgorzelec aufgemacht hat. Dass die anderen Containerhäuschen, die unter dem Dach gestanden haben, in den Großraum Warschau gehen. Wo früher Grenzbeamte saßen, soll künftig der Zloty rollen – aus den Containern werden Spielhallen. Die Käufer für das ehemalige Grenzmobiliar sitzen meist in Tschechien oder Polen. Zum Beispiel Marcin Pietka: Der Unternehmer aus dem niederschlesischen Jelenia Gora (Hirschberg) hat das Dach des Ludwigsdorfer Grenzübergangs gekauft, um daraus eine Lagerhalle zu bauen. Um die Metallkonstruktion herum werden Wände hochgezogen: „Die Anlage ist praktisch wie neu“, lobt Pietka. Sogar beim derzeitigen Metallpreis sei so eine Qualität aus erster Hand nicht zu bekommen – weder in Polen noch in Deutschland. Dass Pietka damit die Grenze abbaut, sieht er nüchtern: „Ein Geschäft wie jedes andere“, sagt auch er. Und doch kämen gelegentlich die Erinnerungen hoch: Noch gut erinnert sich der 40-Jährige daran, wie er stundenlang im Auto gewartet hatte, um dann die akribischen Kontrollen der Grenzbeamten über sich ergehen zu lassen. „Als ehrlicher Pole hatte ich an dieser Grenze immer nur Schwierigkeiten“, sagt er und lacht. „So gesehen, ist es ein Vergnügen, hier jetzt die Grenzanlagen auseinander zu nehmen.“Katrin Schröder und Melanie Longerich
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