Russland

Achtungserfolg für Oppositionskandidat in Sotschi

Bei den Bürgermeister-Wahlen in der Olympia-Stadt Sotschi erreichte der Oppositionspolitiker Boris Nemzow mit 13,6 der Stimmen einen Achtungserfolg.

(n-ost) – War das der Test-Lauf für das von Kreml-Chef Dmitri Medwedew versprochene Mehr an Demokratie: eine Wahl mit einem bekannten Kandidaten der liberalen Opposition als Feigenblatt? Am Sonntag haben die Bürger von Sotschi, wo 2014 die Olympischen Winterspiele stattfinden sollen, ihren Bürgermeister gewählt. Wie erwartet, siegte der vom Kreml unterstützte Amtsinhaber Anatoli Pachomow. Für den 48-Jährigen stimmten 77 Prozent der Wähler. Pachomow kommt bei der Verteilung der zehn Milliarden Euro, die für die Vorbereitung der Spiele ausgegeben werden sollen, eine Schlüsselrolle zu. Die örtlichen Medien priesen den Amtsinhaber als „guten Wirtschafter“, den Oppositionskandidaten Boris Nemzow dagegen als windigen Reformer, der schon unter Jelzin gescheitert sei. Pachomow hielt seine Wahlkampfauftritte vor Journalisten geheim, Nemzow nutzte dagegen jede Möglichkeiten mit Wählern und Medien in Kontakt zu kommen. Ein Sieg für den liberalen Ex-Premier war jedoch von Anfang an unwahrscheinlich. Immerhin erreichte Nemzow, der zusammen mit dem ehemaligen Schachweltmeister Garri Kasparow das kleine liberale Oppositionsbündnis Solidarnost leitet, mit 13,6 Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg. Auf Platz drei landete der Kommunist Juri Dsagania. Für ihn stimmten 6,75 Prozent der Wähler. Im Wahlkampf forderte Nemzow zur Entlastung des Kurortes Sotschi eine Dezentralisierung der Winterspiele auf verschiedene russische Städte mit schon fertigen Wintersportanlagen. Nemzow machte sich außerdem zum Sprecher der Bewohner der Imeritinskaja-Ebene. Die Bewohner des direkt am Meer gelegenen Sumpfgebietes sollen wegen der geplanten Olympia-Eissporthallen umgesiedelt werden, wogegen es heftigen Widerstand gibt. Die örtlichen Fernsehkanäle warfen Nemzow vor, er wolle die Spiele an Südkorea verkaufen. Als Beleg diente ein offenbar gefälschtes Video über ein Treffen des Oppositionspolitikers mit angeblichen koreanischen Geschäftsleuten. Auch gegen den Kandidaten der Kommunisten wurde die russische Karte gespielt, allerdings auf etwas feinere Art. KP-Kandidat Dsagania ist Georgier. Vor diesem Hintergrund war es wohl kein Zufall, dass der russische Inlandsgeheimdienst pünktlich zur Wahl einen angeblichen Spion aus Georgien in Sotschi aufspürte. Nemzow und Dsagania bezweifeln, dass bei den Wahlen alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Dass zehn Prozent der Wahlberechtigten bereits vor dem Wahltag abgestimmt hatten, sei eine überdurchschnittliche hohe Zahl. Diese Stimmen konnten – so die Oppositionskandidaten – leicht manipuliert werden. An der Grenze zu Abchasien ließ die Wahlkommission einen weißen Bus abstellen, in dem die Bürger der abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien, die einen russischen Pass haben und in Sotschi registriert sind, ihre Stimme abgeben konnten. Nach Meinung von Beobachtern war dies der klare Versuch, die Stimmenanteile der Opposition zu drücken.Nichtsdestotrotz ist das Stimmenergebnis für Nemzow ein Achtungserfolg, denn die liberalen Parteien scheiterten 2003 an der Fünf-Prozent-Hürde für die russische Staatsduma. Seitdem schafften die Liberalen den Einzug in das Abgeordnetenhaus nicht mehr und verschwanden praktisch aus dem öffentlichen Leben. Möglicherweise wird es für die kleinen liberalen Parteien nun wieder möglich, in der Öffentlichkeit Politik zu machen: Kreml-Chef Medwedew hat angekündigt, kleinen Parteien, die mindestens fünf Prozent der Stimmen bei den Duma-Wahlen erhalten, mindestens einen Abgeordneten-Platz zuzubilligen.Ulrich Heyden
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