Medwedew will NGO-Gesetze lockern
Russlands Präsident Dmitri Medwedew hat sich der Kritik von Bürgerrechtler an zu restriktiven Gesetzen gestellt(n-ost) – Russlands Präsident Dmitri Medewedew geht auf Tuchfühlung mit den bislang ungeliebten Nichtregierungsorganisationen. Vergangene Woche hatte er sie in den Kreml eingeladen und sich drei Stunden lang deren Kritik der staatlichen Drangsalierung von NGOs angehört. Das Protokoll der dreistündigen Sitzung wurde – höchst ungewöhnlich – auf der Präsidenten-Website kremlin.ru in voller Länge veröffentlicht. Es ging unter anderem um Pressefreiheit, den Schutz Minderjähriger und Korruption.Die Korruptionsexpertin Ella Panfilowa holte ungewohnt weit aus. Wichtiger als die neuerdings praktizierte Offenlegung der Eigentumsverhältnisse von Spitzenbeamten sei „die Information darüber, wo die Kinder unserer Elite lernen und arbeiten. Dienen sie in der russischen Armee, wie die Enkel der englischen Königin? Sind sie überhaupt bereit, ihre Zukunft mit Russland zu verbinden? Wollen sie hier Wurzeln schlagen oder in London oder sonst wo?“ Der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung Wladislaw Surkow schaute angestrengt. So einen fordernden Ton gab es bislang nicht in den Kreml-Gemäuern. Doch Dmitri Medwedew ließ einen Experten nach dem anderen auftreten.Am Ende stellte Medwedew eine Lockerung der restriktiven Gesetze, die die Arbeit der NGOs regeln und in vielen Fällen behindern, in Aussicht. Manchmal würde die Tätigkeit der NGOs „ohne ausreichende Gründe“ eingeschränkt, so der Vorwurf der anwesenden Bürgerrechtler. Ella Panfilowa prangerte das Klima des Misstrauens an, das durch die von Putin 2006 verschärften Registrierungsbestimmungen für NGOs verstärkt worden sei. Die NGOs, von denen viele Gelder aus dem Ausland beziehen, würden unter permamenter „Schuldzuweisung“ stehen, sagte Panfilowa . In Russland gebe es eine generelle „Krise des Vertrauens“, die Gesellschaft traue den Machthabern nicht und „die Macht traut dem Volk nicht“. Nötig seien in dem Land „freie Wahlen mit Konkurrenz“ und „freie Massenmedien“. Der Tag dieses Treffens in Moskau war fast so etwas wie ein Tag der Demokratie. Schon morgens am Zeitungskiosk gab es die erste Überraschung: Die oppositionelle Nowaja Gazeta titelte mit einem Medwedew-Exklusiv-Interview. Ausgerechnet sein erstes Zeitungsinterview gab der Putin-Nachfolger dem Blatt, für dessen kritische Berichterstattung seit 2000 schon vier Journalisten – zuletzt Anna Politikowskaja und Anastasija Baburowa – mit ihrem Leben bezahlen mussten. Im Gespräch mit dem Chefredakteur erklärte Medwedew, er halte nichts von der Formel „Wurst gegen Freiheit“. Damit grenzte sich der Kreml-Chef von Putin ab. Unter seiner Führung hatte es so etwas wie einen ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag gegeben: „Stabilität statt Demokratie“. Der Putin-Nachfolger erklärte, die Bürokraten müssten es sich gefallen lassen, dass sie von der Zivilgesellschaft kontrolliert werden. Das Internet sei der „beste Platz“ für Diskussionen.Bei anderen Themen wich Medwedew aus. Weder beim Chodorkowski-Prozess noch bei der Nichtregistrierung des kritischen Milliardärs Aleksandr Lebedew bei den Bürgermeister-Wahlen in Sotschi sah der Kreml-Chef etwas Besorgnis erregendes. Wenn es in Sotschi einen „grellen Wahlkampf“ gebe, sei das nur gut für die Demokratie.Ulrich Heyden
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