„Wähl' ohne Angst“ - Parlamentswahlen in Europas ärmstem Staat
In den 90er Jahren gelang es den verschiedenen Moldauer Regierungen nicht, Bedingungen herzustellen, die der Bevölkerung ein Überleben ermöglichten. Umrahmt von Rumänien und der Ukraine leben in der Republik Moldova rund drei Millionen Einwohner. Das Land, 1944 gewaltsam von der Sowjetunion annektiert, wurde 1991 unabhängig; Landessprache ist zu 70 Prozent das Rumänische. Die Rückkehr der ungeläuterten Moldauer Kommunisten an die Macht im Jahre 2001 erschien die logische Konsequenz aus dem wirtschaftlichen Debakel der ersten demokratischen Regierungen zu sein.
Beobachter stellen der Verwaltung kein gutes Zeugnis aus. Die Kommunisten hätten in ihrer achtjährigen Amtszeit wesentlich mehr erreichen können, wenn der politische Wille dazu dagewesen wäre. Im Bereich der Wirtschaft hat die KP eine Diversifizierung der ausländischen Handelspartner nur halbherzig betrieben, sodass weiterhin eine starke Abhängigkeit vom russischen Markt existiert. Bedingt durch den wirtschaftlichen Einbruch im Agrarbereich, dem wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes, haben seit 1992 mehr als eine dreiviertel Millionen Menschen das Land verlassen. Sie arbeiten illegal im Ausland, bevorzugt in Russland und in Italien.
Gegenwärtig ist Moldau der Staat, der den größten Anteil von Gastarbeitern gemessen an der eigenen Bevölkerungszahl in Europa stellt.Nachdem 2005 die Zerstrittenheit der Opposition der geschlossenen Kommunistischen Partei zusätzlich half, kann bei den Wahlen am Sonntag erstmals seit Mitte der 90er Jahre mit dem Einzug einer teilweise erneuerten, jungen und selbstbewussten Opposition in das Parlament gerechnet werden.
Die kommunistische Partei tritt diesmal ohne offizielles politisches Programm an. Dass sie die Nähe zu Russland sucht, ist kein Geheimnis. Auf die Kür eines Spitzenkandidaten wurde ebenfalls verzichtet. Der amtierende Präsident Voronin (68) kann in dieser Funktion nicht mehr wiedergewählt werden, auch wenn er im Fall eines kommunistischen Wahlsieges in der neuen Regierung mitmischen wird.
Wahlaufruf an die Großstadtjugend in Chisinau: „Deine Stimme zählt! Zögere nicht, wähle!“ / Jan-Peter Abraham, n-ost
Zwischen den einzelnen Oppositionsparteien gibt es indes kaum Unterschiede. Sie sind durchweg europäisch ausgerichtet, alle weiteren Punkte der politischen Agenda lassen sich davon herleiten. Die Ergebnisse eines Aktionsplanes von EU und der Republik Moldau waren in vielen Bereichen äußerst mager. Das Land wird als unverlässlicher Partner diskreditiert, Investoren sind dadurch abgeschreckt. Seit Jahren gelten die Kommunisten als eine Mannschaft von Bürokraten, die inzwischen im Alter zwischen 50 und 80 Jahren sind und sich nicht auf die neuen Bedingungen nach 1990 eingestellt haben. Dies ändern zu wollen, geben alle Oppositionsparteien an.
Alter und Lebensweg sind die Kriterien, die wegen der geringen politischen Unterschiede bei der Wahl Bedeutung haben werden: Die „Alianta Moldova Noastra“ (AMN, Allianz Unser Moldova) setzt mit dem ehemaligen Bürgermeister von Chisinau, Serafim Urechean, auf einen sowjet-erprobten Beamten, der eine Art liberale Variante des KP-Chefs Voronin darstellt.
Die vor weniger als zwei Jahren gegründete Partei „Partidul Liberal Democrat din Moldova“ (PLDM) ist die Kreation eines Geschäftsmannes in den Mittvierzigern, Vlad Filat, der sich zwischen den Erfahrungen der älteren und den Erwartungen der jungen Generation bewegt. Als jemand, der wirtschaftlichem Erfolg mit Sozialpolitik verbinden möchte, ist Filat zum großen politischen Aufsteiger geworden. Der 31-jährige Dorin Chirtoaca, der 2007 in Chisinau jüngster Bürgermeister einer europäischen Hauptstadt wurde, hat derweil an Zustimmung verloren. Die „Partidul Liberal“ (PL), die er zusammen mit seinem Onkel Mihai Ghimpu leitet, hat durch die permanente Krise im Chisinauer Stadtrat an Sympathien eingebüßt.
Neue, mutwillig zerstörte Wahlplakate an einem Laternenpfahl / Jan Peter Abraham, n-ost
Politische Beobachter gehen davon aus, dass neben der KP nur diese drei Parteien im neuen Parlament vertreten sein werden, nicht zuletzt deshalb, weil die von den Kommunisten auf sieben Prozent hoch gesetzte Hürde kleinere Parteien automatisch ausschließt. Dazu zählen auch die mit den Kommunisten paktierenden Christdemokraten.
Weniger die in Moldau meist ungenauen Umfragen von Forschungsinstituten als die persönlichen Vorhersagen wichtiger Meinungsmacher sehen die KP am Sonntagabend zwischen 25 und 35 Prozent (2001: 50,7; 2005: 45,98 Prozent), sowie PLDM, PL und AMN jeweils bei 10 bis 20 Prozent. Die großen Schwankungen werden mit der großen Zahl unentschiedener Wähler begründet. Stärker als in den Vorjahren scheinen sich in diesem Wahlkampf Protestströmungen von jungen Wählern gesammelt zu haben.
Jede der politischen Parteien ist sich inzwischen der Bedeutung der Jugendarbeit bewusst. Konnte man über die Jahre ein steigendes Desinteresse an Politik unter der jungen Bevölkerung feststellen, so ist inzwischen eine wachsende Zahl von jungen Erwachsenen bereit, sich dafür nicht nur im Straßenwahlkampf zu engagieren. Spezielle Fernsehspots mit der Aufforderung wählen zu gehen sind besonders an junge Leute gerichtet worden.
Jahrelang konnte sich die Moldauer KP sicher sein, mit gezielten Einschüchterungsmethoden Wirkung zu erzielen. Eine Allianz von Inlandsgeheimdienst, Staatsanwaltschaft und Polizei ließ wiederholt Prozesse gegen Oppositionsführer fabrizieren, unabhängige Radio- und Fernsehprogramme wahllos durchsuchen und Demonstrationen auflösen. Noch vor zwei Jahren, nach Gründung der PLDM, wurden neue Mitglieder dieser Partei polizeilich vorgeladen und vernommen. Seitdem ist ein solches Vorgehen jedoch schwieriger geworden.
Als vor gut einem Jahr die Tageszeitung „Jurnal de Chisinau“ damit begann, kurze Videos ihrer Mitarbeiter über aktuelle Ereignisse ungeschnitten und unkommentiert sofort ins Internet zu stellen, wussten die Funktionsträger, dass ihre Gesichter kaum in guter Qualität im Netz stehen würden. Der Tod eines jungen Mannes, der von einem Polizisten Anfang März erschossen worden war, führte umgehend zu Demonstrationen vor allem gleichaltriger Studenten und Angehöriger vor der Staatsanwaltschaft mitten im Chisinauer Stadtzentrum. Und während die Kommunisten Mitte März die Aufnahme des 30.000 Mitgliedes in ihre Partei begangen, fand zwei Tage später auf dem Hauptplatz von Chisinau eine Demonstration unter der Losung „Voteaza fara frica“ (Wähl’ ohne Angst) mit mehreren zehntausend, vor allem jungen Teilnehmern, statt.
Die KP wehrt sich: Plakatwände der Opposition werden zerstört, Parteilokale verwüstet, Wahlveranstaltungen gestört. Dienstwagen der Regierung wurden im Wahlkampf eingesetzt und Polizisten für die Agitation abgestellt. Fernsehdebatten bleiben die Kommunisten inzwischen fern, laut offizieller Erklärung ziehe man den „direkten Kontakt zu den Wählern“ vor. Wiederholt hat die Moldauer Regierung in den vergangenen zwei Wochen rumänische Staatsbürger an der Grenze zurückgewiesen. Sie erklärte dem rumänischen Botschafter in Chisinau offiziell, dass man vermeiden wolle, dass die Bürger des Nachbarlandes an Versuchen der „Destabilisierung“ Moldaus teilnähmen.
Gleichzeitig wurde mehreren Moldauer Studenten, die in Rumänien studieren und an Wahlkampfveranstaltungen der Opposition teilnehmen wollten, die Einreise in ihr Heimatland durch Moldauer Grenzbeamte mit der Begründung verwehrt, sie bräuchten dafür eine Einladung. Staatspräsident Voronin hat schon vor zwei Monaten verkündet, die Tatsache, dass es noch viele unentschiedene Wähler gebe, würde am Stichtag zu Wahlbetrug durch die Opposition führen. Moldau wird sich indes internationale Beobachtung auch durch eine OSZE-Wahlbeobachtermission gefallen lassen müssen. Die Opposition äußerte zuletzt Kritik in Verbindung mit dem Verkauf von Werbezeit für politische Parteien im Moldauer staatlichen Fernsehen, bei dem die KP offensichtlich bevorzugt behandelt wurde.
Dass die kommunistische Partei die Wahlen gewinnen wird, steht außer Frage. Ob die heutige Opposition aber an Einfluss gewinnen wird, hängt von deren Vernunft ab. Der seit zwei Jahren im Chisinauer Stadtrat tobende Krieg zwischen den verschiedenen so genannten demokratischen Parteien hatte bisher zur Folge, dass kaum konstruktiv Politik gemacht wurde. Die Kommunisten waren als Totalverweigerer oft die lachenden Dritten. Indes: Laut einer neuen Umfrage wünschen sich zwar 65 Prozent der Moldauer die EU-Integration, sehen aber zu 60 Prozent Russland als primären strategischen Partner für ihr Land an. Putin (78 Prozent) genießt mehr Vertrauen als Voronin (48,8). Die Moldauer wollen nach Europa – aber mit Russlands Hilfe.