Unzertrennliche Nachbarn
Vom Prinzen bis zum Untergrundkämpfer - Deutsche und Polen verbindet mehr als gedacht, vor allem in Berlin(n-ost) – Kowalski, Nowak, Bednarz – 14 Prozent aller Deutschen tragen einen polnischen Nachnamen. Doch kaum einer weiß, wie vielfältig die Spuren sind, die die östlichen Nachbarn in der deutschen Geschichte hinterlassen haben. Da gab es die polnische Prinzessin, in die sich der preußische Prinz Wilhelm unsterblich verliebte. Da gab es den polnischen Architekten, der um ein Haar den deutschen Reichstag gebaut hätte. Da gab es die polnische Aktivistin, die die deutsche Arbeiterbewegung gründete.Anton Radziwill, polnischer Fürst aus einer der mächtigsten Adelfamilien Polens, war verheiratet mit Luise Friederike von Preußen. Foto: Stadmuseum BerlinDoch allerzuerst gab es Anton Radziwill, im 18. Jahrhundert Besitzer eines Palastes in der Berliner Wilhelm-Straße - später besser bekannt als die Reichskanzlei. Radziwill, polnischer Fürst aus einer der mächtigsten Adelfamilien Polens, war als preußischer Politiker verheiratet mit Luise Friederike von Preußen. Sein Palast auf der Wilhelm-Straße wurde schnell zum Treffpunkt für die feine Gesellschaft der Stadt - egal ob mit oder ohne Bindungen nach Polen. So verkehrte dort auch Johann Wolfgang von Goethe, dessen Faust Radziwill, ein guter Sänger und ausgezeichneter Cellist, als erster vertonte.Radziwills Tochter Elisa, genannt „die Rose“, galt als die schönste Dame am preußischen Hof. Kein Wunder, dass sich der fünf Jahre ältere Prinz Wilhelm in sie verliebte. Einige Jahre waren sie verlobt, dann schieden sie schweren Herzens voneinander. Sonst hätte der künftige Kaiser auf sein Thronrecht verzichten müssen, denn die polnische Adelfamilie war den Preußen nicht „ebenbürtig“, entstammte Elisa doch keinem regierenden Fürstenhaus. Der spätere Kaiser Wilhelm I. heiratete schließlich auf Betreiben seines Vaters hin eine andere. Aber das Bild seiner polnischen Jugendliebe stand bis ans Ende seines Lebens auf dem Schlafzimmertisch im kaiserlichen Palast. Eine Geschichte wie aus Hollywood, die doch ganz einfach Teil der eng verwobenen deutsch-polnischen Historie ist.„Wer kennt denn solche Geschichten heute noch?“, fragt Robert Traba. Auch er ist polnischer Berliner, allerdings einer der Gegenwart. Traba leitet die polnische Wissenschaftsakademie in Berlin und beschäftigt sich mit den Spuren seiner Landsleute in der Stadt. Denn in Berlin verbirgt sich nahezu hinter jeder Ecke ein polnisches Gesicht. „Wer weißt schon, dass Wojciech Kossak, der als Hofmaler für Kaiser Wilhelm II. Szenen aus der preußischen Geschichte malte, seinerzeit der bekannteste Künstler in Polen war?“, hakt Traba nach. „Oder dass selbst der Reichstag beinahe von einem Polen erbaut worden wäre? Der Architekt Zygmunt Gogolewski belegte damals den zweiten Platz im Wettbewerb“, verrät er. Sowieso, schiebt Traba hinterher, wurde der Reichstag letzten Endes auf dem Grundstück des polnischen Fürsten und preußischen Diplomaten Anton Raczynski gebaut.Der polnische Berliner Robert Traba sucht nach den Spuren seiner Landsleute in der Stadt. Foto: Agnieszka HreczukSein polnisches Gesicht verdankt Berlin mehreren Umständen - die nicht immer vorteilhaft für die nachbarschaftlichen Beziehungen waren. Schließlich begann die Migrationswelle Ende des 18. Jahrhunderts, als Polens endgültig geteilt wurde: von Russland, Österreich und Preußen. Vor allem der polnische Adel verstreute sich über ganz Europa. Berlin und Preußen waren zunächst keine beliebten Ziele, und zwar nicht allein aus politischen Gründen. Berlin bot einfach weniger Lebensqualität als Rom oder Paris. Damals. Denn langsam änderte sich auch dies: Berlin wurde von einer Provinz- zur Hauptstadt.Und es begrüßte Einwanderer mit offenen Armen. Tausende kamen damals in die Stadt, vor allem aus Osten. Zunächst kamen Adlige und Künstler, später folgten einfache Bürger und sogar Arbeiter. Noch vor 100 Jahren war der Durchschnittsberliner, darin stimmen die Erinnerungen von Zeitzeugen und die Statistiken überein, ein Migrant aus dem „preußischen Raum östlich der Oder“. 65 Prozent der Hauptstadtbevölkerung machten sie noch Anfang des 20. Jahrhunderts aus. Meist waren es preußische Bürger, die von Haus aus polnisch sprachen. Sie waren auf der Suche nach Asyl und Arbeit gekommen.Doch auch politisch nahmen sie Einfluss: Polen waren dabei, als die Berliner 1848 die Barrikaden erstürmten und der deutsche Parlamentarismus geboren wurde. Ludwik Mieroslawski, der Anführer eines polnischen Nationalaufstandes in Großpolen, wurde während des Frühlings der Völker als Revolutionsführer gefeiert. Bis heute erobert er jedes Jahr in Berlin die Barrikaden, wenn die Märzkämpfe nachgestellt werden.An der Geburt der Arbeiterbewegung, die später als deutsch galt, hatten die Polen ebenfalls erheblichen Anteil: in Gestalt von Rosa Luxemburg. Dass die Gründerin des Spartakusbundes als Rozalia Luksenburg in Polen geboren wurde, weißt kaum ein Passant, der heute über die nach ihr benannte Straße geht. Und ehrlich gesagt wird Rosa in Deutschland auch weit mehr geschätzt als in ihrer Heimat, wo man ihr ihre Internationalismus-Ideen nur schwer verzeihen kann.Die meisten Polen kehrten nach 1918 in die Heimat zurück, wo sie nach Gründung der Zweiten Republik endlich wieder in ihrem eigenen Staat leben konnten. Einige aber blieben. In den 30er Jahren blühte die polnische Avantgarde in Berlin. Polnische Berliner schlossen sich dem deutschen Widerstand an – und wurden als Deutsche umgebracht.Heute werden die Polen in Berlin kaum mehr wahrgenommen. Dabei könnten sie allein eine mittelgroße Stadt füllen. Mit 100.000 bis 200.000 Angehörigen – die Zahl schwankt je nach Quelle – bilden sie nach den Türken die zweitgrößte nationale Minderheit in Berlin. Und hinterlassen weiterhin ihre Spuren. Polnische Wissenschaftler, Künstler und Geschäftsleute arbeiten in Berlin weitaus häufiger als die sprichwörtlichen Putzfrauen und Handwerker. Wenn der Berliner eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst in einer Galerie besucht, sprechen sowohl der Künstler als auch der Galerist mit hoher Wahrscheinlichkeit polnisch. Und wenn er sich in eine Kommilitonin verliebt... auch dann ist die Chance groß, dass sie ihre Wurzeln östlich der Oder hat.TIPP:
Diese und weitere Geschichten über polnische Berliner erzählt die Ausstellung „Wir Berliner! My Berlinczycy“, die noch bis zum 14. Juni im Ephraim-Palais und im Märkischen Museum Berlin gezeigt wird. Sie wird durch ein Rahmenprogramm mit künstlerischen, historischen und politischen Veranstaltungen begleitet. Mehr Infos unter www.wirberliner.de
Agnieszka HreczukENDE
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