SOTSCHI GIBT SICH POLITISCH BUNT
Zu den Bürgermeisterwahlen am 26. April treten gleich drei prominente Kandidaten aus Moskau an(n-ost) – Als das IOC seine Entscheidung gefällt hatte und die russische Schwarzmeer-Stadt Sotschi mit der Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2014 beauftragte, schossen die Grundstückspreise in der Stadt am Schwarzen Meer in die Höhe. Wer in Moskau etwas auf sich hielt, wollte unbedingt eine Luxuswohnung in dem Kurort am Schwarzen Meer haben. Ähnliches wiederholt sich jetzt im Vorfeld der Bürgermeisterwahlen von Sotschi am 26. April: Wer etwas auf sich hält, kandidiert als Bürgermeister.Seit Donnerstag letzter Woche haben gleich drei prominente Politiker aus Moskau ihre Kandidatur bei den Wahlen in Sotschi angekündigt. Nachdem am Donnerstag der wirtschaftsliberale Oppositionspolitiker Boris Nemzow seine Kandidatur verkündete, folgte am Freitag die Meldung, dass auch der berüchtigte Ex-Geheimdienstmajor Andrej Lugowoi kandidieren werde. Am Montag schließlich gab der russische Milliardär und Miteigentümer der Kreml-kritischen „Nowaja Gaseta“ seine Kandidatur bekannt. Lebedew, der zu den gemäßigten Kreml-Kritikern gehört, erklärte in seinem Blog, es hätten sich viele Bürger aus Sotschi an ihn gewandt. Sie hätten ihn gebeten, er solle das „große Knäuel brennender Probleme“ in der Olympia-Stadt lösen helfen.Nicht nur Lebedew, der 2003 bei den Bürgermeisterwahlen in Moskau 12 Prozent der Stimmen holte, präsentiert sich als „Kandidat des Volkes“. Der Wirtschaftsliberale Boris Nemzow, der im Präsidium des Oppositionsbündnisses „Solidarnost“ sitzt, verweist auf 400 Unterstützer aus Sotschi. Für Nemzow unterschrieben haben unter anderem auch Bewohner der Imeritinski-Ebene, die wegen der Olympiabauten umgesiedelt werden sollen.Nemzow will in Sotschi zudem gegen die Korruption kämpfen. Moskau hat für Infrastrukturmaßnahmen im Rahmen der Olympiavorbereitung 5,7 Milliarden Dollar bereitgestellt. Oppositionskandidat Nemzow glaubt, dass viel Geld in dunklen Kanälen verschwinden wird. „Die Olympischen Spiele sind ein großes Abenteuer, ein künftige Denkmal für Schlamperei und Diebstahl“, verkündete der Kandidat.Was im Vorfeld von Olympia in Sotschi passiert, hat für den Kreml eine mindestens so große Bedeutung, wie das, was unter den Augen der internationalen Fernsehkameras auf dem Roten Platz in Moskau geschieht. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass der Kreml in die Absichten der prominenten Kandidaten eingeweiht war. Es scheint, dass alles nach dem Geschmack von Kreml-Chef Dmitri Medwedew läuft, der bereits angekündigt hatte, den liberalen Parteien, die seit 2003 nicht mehr in der Duma vertreten sind, durch eine Änderung des restriktiven Wahlgesetzes wieder eine Chance zu geben.Wenn in Sotschi ein buntes Spektrum von international bekannten Persönlichkeiten kandidiert, kann der Kreml Russland der Welt als demokratisches Land präsentieren. Gleichzeitig sind die Wahlen in Sotschi eine Botschaft an die russischen Bürger – sie lautet: Es gebe in Russland durchaus Chancen für demokratische Mitsprache. Es lohne sich nicht, mit Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow auf der Straße gegen „das Regime“ zu demonstrieren. Dass die drei Promi-Kandidaten aus Moskau bei der Wahl in Sotschi letztlich keine Chance haben werden, weil der Kreml den amtierenden Bürgermeister Anatoli Pachomow unterstützten wird, spielt in diesem Kalkül keine Rolle.Die Wahl in Sotschi bietet alles, was auch internationale Medien anlockt. Da ist zum Beispiel der Kandidat Andrej Lugowoi, ein ehemaliger Major des russischen Geheimdienstes, der im Dezember 2007 als Spitzendkandidat von Schirinowskis Liberaldemokraten in die Duma gewählt wurde. Der 42-Jährige machte 2006 international Schlagzeilen. Scotland Yard beschuldigte damals den ehemaligen Major, er habe den Ex-Geheimdienstoffizier und Kreml-Kritiker Aleksander Litwinenko in London mit radioaktiven Polonium vergiftet. Litwinenko hatte in einem Abschiedbrief Putin persönlich für seinen Tod verantwortlich gemacht.Der Fraktionsvorsitzende der Liberaldemokraten, Igor Lebedew, erklärte Ende letzter Woche, die Kandidatur von Lugowoi sei so gut wie sicher. Nemzow habe keine Chancen, ätzte der Abgeordnete. „Wenn er in der Jugend beim Kartenspiel mit Touristen am Strand gewonnen hat, heißt das noch nicht, dass er Bürgermeister werden kann.“
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