Lettland

Zwischen Angst und Aufklärung

Im Amtsgericht von Riga herrscht das Chaos. Vier junge Skinheads versuchen, von den Medien und der Öffentlichkeit unerkannt einen Gerichtssaal zu verlassen. Das Gericht hat soeben eine langjährige Haftstrafe über sie verhängt, diese jedoch zu einer dreijährigen Bewährung ausgesetzt. Außerdem müssen die Vier Schmerzensgelder in Höhe von umgerecht fast 30.000 Euro zahlen. Sie hatten aus rassistischen Beweggründen zwei minderjährige Roma-Mädchen, sowie ein armenisches Ehepaar überfallen und auf brutale Weise misshandelt. Fremdenhass ist laut Umfragen in Lettland weit verbreitet.

Wie die lettische Nichtregierungsorganisation „Zentrum für Menschenrechte“ in einem noch nicht veröffentlichten Jahresbericht schreibt, gaben in einer 2004 und 2008 durchgeführten Studie siebzig Prozent der Befragten an, für die Ausweisung von Kurden, Chinesen, Afrikanern, Tschetschenen und Afghanen zu sein oder sie nur als Touristen ins Land lassen zu wollen. Sechzig Prozent hatten Einwände gegen Asylbewerber. In einer in den Jahren 2007 und 2008 in Riga ausgeführten Meinungsumfrage gaben 53 Prozent der Befragten an, nicht neben Roma leben zu wollen, 48 Prozent hatten die gleichen Einwände gegen Homosexuelle, 33,7 Prozent vertraten diese Meinung auch gegenüber Gastarbeitern und ein Viertel möchte nicht neben Muslimen wohnen.Angesichts dieser Zahlen, sagt Anhelita Kemenska vom lettischen Zentrum für Menschenrechte, sei es bemerkenswert, das im vergangen Jahr gerade mal neuen Strafverfahren nach Artikel 78 des Strafgesetzbuches, der die Aufstachelung zum Rassenhass, Ausländerfeindlichkeit oder Fremdenfeindlichkeit unter Strafe stellt, eingeleitet worden sind.

Sie führt dies auf die nur geringe Präsenz von Minderheiten in der Öffentlichkeit zurück.Dass Fremdenhass in der Gesellschaft schnell eskalieren kann, zeigte die Rigaer Gay Parade im Jahr 2006. Die Teilnehmer der Parade wurden von Gegnern beschimpft und mit Eiern, Steinen und Kot beworfen. Die Polizei sah zu. Schon im Vorfeld der Gay Parade hatten Politiker und Kirchenvertreter wie der katholische Erzbischof Kardinal Janis Pujats die Bevölkerung zu Gegenprotesten aufgerufen.Die politische Rhetorik spielte nach Einschätzung von Anhelita Kemenska im Kampf gegen Gewalt und Fremdenhass eine entscheidende Rolle.

Ein Jahr nach dem Beitritt zur Europäischen Union hätten Politiker versucht, sich mit Themen wie Stärkung der Ehe und der Familie zu profilieren. Dabei wurden Homosexuelle und Lesben als eine Gefahr für die Nation dargestellt. Ein Feindbild, das Zustimmung in der Bevölkerung fand.Die entrüstete Reaktion aus dem Ausland ließ nicht lange auf sich warten. Scharfe Kritik aus der EU zeigte bald eine Wirkung. Im Jahr 2007 fand die Gay Parade unter Polizeischutz und unter Abschottung der Öffentlichkeit im Vermanes Park statt. Um Flagge zu zeigen, befanden sich unter den Teilnehmern auch einige europäische Abgeordnete. Den Gegnern blieb nur der Blick durch den gusseisernen Zaun. Hoch über dem Geschehen – von einem Balkon aus – orchestrierte der damalige Innenminister Ivars Godmanis höchstpersönlich die Sicherheitskräfte.

Als im Januar dieses Jahres eine Demonstration gegen die Regierung außer Kontrolle geriet und in handfeste Straßenschlachten zwischen den Sicherheitskräften und einigen Hunderten gewaltbereiter Jugendliche mündete, wetterten Politiker und die Tageszeitungen in Riga gegen eine Radikalisierung der Gesellschaft und machten „bestimmte ausländische Organisationen“ für die gewalttätigen Auseinandersetzungen verantwortlich.„Das ist Unfug“, sagt Anhelita Kemenska zu den Vorwürfen. Radikale Organisationen wie die „National Power Unity“ haben in den vergangen Jahren versucht, mit extrem gesinnten Organisationen im Ausland Kontakt aufzunehmen, so dass im vergangenen Jahr einige rechtsradikale Anhänger zum Umzug der ehemaligen lettischen SS Legionäre angereist waren.

Etwas undurchsichtiger sind dagegen die Organisationsstrukturen der russischen (Jugend-)Organisationen in Lettland, bei denen vermutet wird, dass sie Hilfe aus Russland bekommen. Aber von „organisierten Netzwerken, die in der Lage wären, hunderte Menschen für gewalttätige Auseinandersetzungen zu mobilisieren“ will Kemenska noch nicht sprechen.


Eine junge Mutter geht mit ihrem Kind an einem Polizei-Aufgebot vorbei. Foto: Thorsten PohlmannTrotzdem hat die Polizei in den vergangenen Monaten eine verstärkte Präsenz von radikal orientierten Gruppen bei Protestveranstaltungen gegen die Regierung beobachtet. Bei den Sicherheitsbehörden wird diese Entwicklung mit Sorge betrachtet. Anfang Februar verkündete der Rigaer Bürgermeister Janis Birks, dass auf Drängen der Sicherheitsdienste politischen Veranstaltungen in der Altstadt bis auf weiteres keine Genehmigung mehr erteilt wird.

So wurde auch die von der rechtsradikalen Organisation „Daugavas vanagu“ für den kommenden Montag geplante Demonstration ehemaliger SS-Legionäre untersagt.Doch die Organsiation will Rechtsmittel gegen diesen Bescheid einlegen. Indes sagte ihr Leiter Jānis Atis Krūmiņš der Tageszeitung Diena, dass man ohne Genehmigung zwar keine Veranstaltung organisieren wolle. Jedoch bedeute dies keineswegs, dass der Marsch der Legionäre oder die Kranzniederlegung an der Freiheitsstatute nicht stattfinden werde. Medienberichten zufolge gaben linksextreme Organisationen an, zu Gegendemonstrationen antreten zu wollen, mit oder ohne Genehmigung.Anhelita Kemenska sieht indes eine beachtliche Tendenz bei der Polizei, die Eskalationen entgegenwirkt. Innerhalb des mittleren und gehobenen Polizeidienstes sei eine neue Generation von Polizisten herangewachsen, die bereit ist, sich für die Rechte der Minderheiten einzusetzen. Sie werden unter anderem mit Hilfe europäischer Polizeidienststellen und Sicherheitsspezialisten im Umgang mit rechts- und linksextremen Gruppierungen und mit Minderheiten geschult.

Auch Hans van den Bergh und Rachid Berragiy von der niederländischen Polizei-Akademie haben   Workshops zur Weiterbildung über den Umgang mit Minderheiten bei der lettischen Bundespolizei veranstaltet. „Das Interesse bei der lettischen Polizei ist auf jeden Fall vorhanden2, sagt Hans van den Bergh, Projektleiter beim „Landelijk ExpertiseCentrum Diversiteit“, einer Fachstelle des niederländischen Polizeidienstes zur Aufklärung und Multikulturalität.Doch einfach sei die Zusammenarbeit in solchen Projekten für die lettische Polizei nicht. Denn die Kluft zwischen der Polizei und der Gesellschaft sei immer noch sehr groß. „Das Vertrauen der Bevölkerung in den Sicherheitsdienst ist durch die Jahrzehnte der Okkupation sehr gering“, sagt Kamenska. So versuche die Polizei, nicht ins Rampenlicht zu gelangen, um einer Eskalation entgegenzuwirken. Die Angst, in eine öffentliche Debatte gezerrt zu werden, sei groß.

Die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise könnte den Einfluss der rechtsradikalen Szene noch verstärken. Armut führe nicht selten zu einer gewissen Radikalisierung des Denkens, sagt Anhelita Kamenska. „Der rechtsradikalen Szene steht aber eine Gruppe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gegenüber, die durch ihre Ausbildung und Aufenthalte im Westen eine gemäßigte und tolerante Weltanschauung vertreten.“


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