Schlechtes Theater gegen die Finanzkrise
Statt wirksamer Maßnahmen gegen die Finanzkrise gibt es in Lettland nur „schlechtes politisches Theater“. So formulierte es Präsident Valdis Zatlers und forderte die politischen Parteien auf, ihre Machtspiele zu beenden. Ein Eklat über den Reformkurs der Regierung hat immerhin schon zum Rücktritt des lettischen Ministerpräsidenten Ivars Godmanis geführt. Nun liegt die Hoffnung auf dem 37-Jährigen Valdis Dombrovsikis von der Oppositionspartei Neue Era. In der vergangenen Woche wurde er vom Präsidenten als neuer Ministerpräsident vorgeschlagen.Lettlands Haushaltsdefizit senkt die Kreditwürdigkeit des Landes massiv und erschwert die Beschaffung von frischem Kapital auf den angespannten Finanzmärkten.
In diesem Jahr beträgt der kurzfristige Finanzbedarf gut 400 Prozent der nationalen Währungs- und Goldreserven. Erst Ende Dezember hatte das Land eine Finanzhilfe von gut 7,5 Milliarden Euro zugesagt bekommen, der Hauptanteil stammt vom Internationalen Währungsfonds IWF und von der EU. Im Gegenzug verpflichtete sich Lettland zu umfangreichen Reformen, doch die Umsetzung geschah bisher nur zögerlich. Die U.S. Ratingagentur Standard & Poor reduzierte am Dienstag die Kreditwürdigkeit der Staatsanleihen.Lettlands öffentlicher Haushalt geriet maßgeblich durch den Einsatz des Staates für die Rettung und Verstaatlichung der zweitgrößten Bank des Landes, der Parex Banka, in Schwierigkeiten.
Finanzdienstleistungen zählen zu den wichtigsten Dienstleistungen in Lettland und haben aufgrund der hohen Einlagenvolumina dem baltischen Staat den Beinamen „Kleine Schweiz“ eingebracht. Die Finanzdienstleister gehören zu den wichtigsten Arbeitgebern und befinden sich zum größten Teil in schwedischen und dänischen Händen.Nach Jahren des starken Wirtschaftsaufschwungs (Wachstum von 10,3 Prozent in 2007) rutschte Lettland im dritten Quartal 2008 in die Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt sank im vierten Quartal 2008 im Vergleich zum Vorjahr um 10,5 Prozent. Die Industrieproduktion verlor 11,3 Prozent und das Gastgewerbe sah seine Leistung um 24,8 Prozent schrumpfen. Laut dem Dachverband des Gastgewerbes droht in diesem Jahr einem Drittel der gastronomischen Betriebe das Aus.
Auch der Einzelhandel büßte im gleichen Quartal 16,9 Punkte ein – der größten Rückgang innerhalb der Europäischen Union. Noch Anfang 2007 belegte der lettische Einzelhandel im europäischen Vergleich den ersten Platz.Arg belastet von der Wirtschaftskrise sehen sich die Landwirte. Viele Bauern kämpfen mit hohen Investitionsschulden, denen Umsatzrückgänge und Preisdumping gegenüber stehen. Nach Ansicht des lettischen Bauernverbandes stehen viele Bauern am Rande der Existenz. Tagelang protestierten aufgebrachte Bauern in ganz Lettland und erzwangen den Rücktritt des Agrarministers Martins Roze.Auf dem Markt für Neuwagen sieht die Situation nicht besser aus. Einst galt diese Branche als Wahrzeichen des lettischen Wirtschaftswunders.
Im Januar sackte ihr Umsatz um 75 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat ab. Damit setzt sich der Negativtrend des letzten Jahres fort. Gegenüber 2007 hat die Branche 2008 einen Verkaufsrückgang von 40 Prozent.Die einzige positive Wirkung der Wirtschaftskrise ist die gestoppte Inflation. Im Januar ist die Inflation erstmals wieder unter die Zehnprozentmarke auf 9,8 Punkte gefallen. Das sind 8 Prozentpunkte weniger als der Höchststand von 17,9 Prozent im April des vergangen Jahres. Die Preise für Waren erhöhten sich um 8,9 Prozent, für Dienstleitungen um 12,2 Prozent. Nach Einschätzung des Nationalbankpräsidenten Ilmars Rimsevics wird die Inflation voraussichtlich Ende dieses Jahres ins Negative rutschen, für Verbraucher eine willkommene Deflation der auch im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hohen Verbrauchsgüterpreise.
Die lettische Arbeitsagentur verzeichnete im Januar 20.862 neu gemeldete Arbeitslose, was einem Anstieg von 27,1 Prozent im Vergleich zum Vormonat entspricht. Die Arbeitslosenrate ist von sieben Prozent im Dezember 2008 auf 12,6 Prozent im Januar gestiegen. Ende Januar standen 90.436 Arbeitslosen in Lettland nur 2.549 offene Stellen gegenüber. Wenn die Zahl der Stellenangebote so dramatisch sinke, sagt die Direktorin des lettischen Arbeitsamtes Baiba Pasvica, dann bedeute dies, dass die Betriebe mit massiven wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben.
Im Schatten der Wirtschaftskrise hat sich das Geschäftsklima zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern dramatisch verschlechtert. Immer mehr Arbeitgeber machen sich die schwierige Wirtschaftslage zunutze, um eigene Spielregeln aufzustellen. Sie greifen zu drastischen Maßnahmen, bei denen die Rechte der Arbeitnehmer mutwillig missachtet werden. Zunehmend beklagen sich Arbeitnehmer über Unregelmäßigkeiten bei den Gehaltszahlungen oder gar über Gehaltsausfälle.Das Stimmungsbarometer der DnBNord Bank spiegelt diese Wirtschaftslage wider: 86 Prozent der Bürger glauben, dass die wirtschaftliche Situation in Lettland schlecht ist. 78 Prozent der Befragten sind der Meinung, das sich dieser Negativtrend weiter fortsetzen wird. Nur noch drei Prozent der Bürger glauben, eine gute Chance zu haben, einen geeigneten Job zu finden.