Russland

OLIGARCHEN OHNE BODENHAFTUNG

In der Finanzkrise ist die Zahl der Milliardäre in Russland von 101 auf 49 geschrumpft
(n-ost) – Der Föderationsturm in der Moscow City, dem Manhattan der russischen Hauptstadt, sollte mit 506 Metern das höchste Gebäude Europas und eigentlich dieses Jahr fertig werden. Doch der Baukran auf dem Ostturm des Hochhauskomplexes, der sich letztes Jahr auf 230 Metern Höhe noch eifrig drehte, steht still. Und Bauherr Sergej Polonski steht laut Zeitungsberichten vor dem Bankrott.Polonskis Vermögen schrumpfte nach Angaben des russischen Wirtschaftsmagazins „Finans“ durch die Finanzkrise von 4,35 Milliarden Dollar auf 70 Millionen Dollar. In Not geraten, musste der Bauunternehmer mit den Banken – unter anderem mit der Credit Suisse – über eine veränderte Rückzahlung der Kredite verhandeln. Die Bautätigkeit am Föderationsturm wurde eingestellt, berichtete das Magazin „Forbes“. Sie wurde „verlangsamt“, hört man dagegen auf der Baustelle, vier Kilometer Luftlinie vom Kreml. Der Run auf die Luxus-Appartements und Büros im Förderationsturm hat nachgelassen.Vergangenes Jahr hatte Polonski in Cannes noch getönt: „Wer keine Milliarde hat, kann zum Arsch gehen.“ In dem französischen Nobelort ließ der Bauunternehmer für eine Feier seiner Firma Mirax Group, die auch Objekte in London, der Schweiz und der Türkei baut, nach eigenem Bekunden vier Millionen Dollar springen. Doch dann war Schluss damit. Der „Developer“, wie sich Polonski selbst nennt, rutschte auf der Liste der russischen Reichen von Platz 40 auf Platz 348. Die Häme Moskauer Journalisten folgte prompt. Doch der Bauunternehmer konterte in seinem Blog. Das sei eine „Dreck“-Kampagne der Journalisten, die „plündern wie im Krieg“.Die Zahl der Milliardäre in Russland schrumpfte von 101 im Jahr 2008 auf 49 im Jahr 2009. Allein die zehn reichsten Russen verloren zwei Drittel ihres Vermögens. Der Grund: Die Aktienpakete, mit denen die russischen Großunternehmer ihre bei westlichen Banken aufgenommenen Kredite abgesichert hatten, haben durch die Finanzkrise stark an Wert verloren. Die westlichen Banken fordern deshalb jetzt Kredite zurück oder verlangen zusätzliche Sicherheiten, die die Oligarchen nur mit Hilfe der russischen Staatsbanken leisten können.Jakow Pappe, Experte für russische Großunternehmen bei der Russischen Akademie der Wissenschaften, sagt, das Schicksal der Oligarchen liege jetzt in der Hand der russischen staatlichen Banken. Diese könnten die Kredite für die Not leidenden Unternehmen verlängern – oder eben nicht. Die Verluste der russischen Großunternehmer, so der Wissenschaftler, seien jedoch relativ. Die Kontrolle der russischen Oligarchen über ihre Unternehmen habe sich nur geringfügig verringert.Dass zum Beispiel der russische Milliardär Oleg Deripaska seinen Anteil beim kanadischen Automobilzulieferer Magna und dem deutschen Bau-Unternehmen Hochtief verkaufen musste, sei nicht viel im Verhältnis zu seinem Gesamtvermögen. Auch im Ländervergleich seien die Verluste der russischen Großunternehmer nichts Ungewöhnliches. Pappe verweist darauf, dass selbst über Jahrzehnte erfolgreiche US-Investoren in der Finanzkrise abgestürzt sind.Oleg Deripaska war mit 40 Milliarden Dollar Vermögen im vergangenen Jahr noch der reichste Mann Russlands. Zu seinem Imperium, der Industrie und Finanzgruppe „Basic Element“, gehören Aluminiumfabriken, das Autowerk GAS, Baufirmen und Versicherungen. Doch durch die Finanzkrise rutschte Deripaska auf der Liste der reichen Russen dieses Jahr auf Platz 8. Die Traditionsautomarke GAS steht vor dem Bankrott. Heute hat der ehemals reichste Russe noch ein Vermögen 4,9 Milliarden Dollar sowie 20 Milliarden Dollar Schulden.Dass sich die russischen Oligarchen einfach übernommen haben, glaubt der Wissenschaftler nicht: „So einfach ist das nicht.“ Von einem Oligarchen mehr Augenmaß zu verlangen, widerspreche seiner Natur. „Vorsichtige Leute werden keine Oligarchen.“ Doch der Wissenschaftler ist sich sicher, dass die russischen Großunternehmen aus der Krise lernen werden. „Man muss einmal verlieren, um klug zu werden.“ Außerdem müsse man bedenken, dass der russische Kapitalismus erst zwanzig Jahre alt sei. Das sei keine lange Zeit.Für das Managment von Polonskis Baufirma Mirax bedeutet die Finanzkrise ein Umdenken. Die Zeiten, als Polonski vor Studenten der Moskauer Universität über den Grund seines schnellen Erfolges sagte: „Wenn du etwas im Leben erreichen willst, musst du hingehen und es nehmen.“, sind vorbei. Es muss gespart werden. „Wir werden dem Top-Managment für die Jahre 2008 und 2009 keine Dividenden, Prämien und Boni zahlen“, erklärte der Bauunternehmer.„Die Oligarchen haben die Kapitalausstattung ihrer Unternehmen überschätzt“, resümiert der Marxist und Wirtschaftsprofessor Aleksandr Busgalin, der an der Moskauer Universität Transformationstheorien lehrt. „Ich habe schon vor einigen Jahren vor der Krise gewarnt“, sagt der 55-Jährige, der auch beim Sozialbündnis „Attac Russland“ aktiv ist. „Die Oligarchen hätten mehr in Humankapital investieren und ihr kurzfristiges Denken überwinden müssen“, so der Professor und Links-Aktivist, der davon träumt, einmal Marxismus-Kurse für Unternehmer zu geben. Bisher haben sich noch keine Interessenten gemeldet.Vergleichsweise glimpflich kam der Oligarch Michail Prochorow, zur Zeit auf Platz 1 der russischen Milliardärsliste, davon. Während die Zeitschrift „Finans“ ihn 2008 mit 21,5 Milliarden notierte, wird sein Vermögen jetzt auf 14,1 Milliarden Dollar geschätzt. Kurz vor dem Absturz der Rohstoffpreise verkaufte Prochorow noch schnell seinen 25 Prozent-Anteil am Nickelproduzenten Norilsk Nickel. Für das Aktienpaket strich er sieben Milliarden Dollar ein. Ein guter Deal, denn  Norilsk Nickel hat in der Krise 80 Prozent seines Wertes verloren.Russlands zur Zeit reichster Unternehmer feilt nun an seinem Image. Noch nicht vergessen sind die Eskapaden von Russlands berühmtestem Junggesellen 2007 im französischen Skiort Courchevel. Kurz nach dem russischen Neujahrsfest war Prochorow von der französischen Polizei wegen des Verdachts auf Zuhälterei verhaftet, wenige Tage später aber wieder freigelassen worden. Der Oligarch hatte zur Neujahrsfeier eine ganze Gruppe Models aus der Heimat einfliegen lassen. Um dieses Image abzuschütteln, setzt Prochorow nun auf gesellschaftliches Engagement. Im Oktober wurde er Präsident des russischen Biathlon-Verbandes.
Info-KastenReiche Russen müssen bluten (Quelle: „Finans“)Michail Prochorow
43 Jahre alt, Platz 1 auf der Liste der russischen Milliardäre
Besitzer des Investmentfonds Onexim
Vermögen 2008 21,5 Milliarden Dollar
Vermögen 2009 14,1 Milliarden Dollar
Sponsert den russischen Biathlon-SportRoman Abramowitsch
42 Jahre alt, Platz 2 auf der Liste der russischen Milliardäre
Besitzer der Investmentgesellschaft Millhouse Capital
Vermögen 2008 23 Milliarden Dollar
Vermögen 2009 13,90 Milliarden Dollar
Kaufte für 160 Mio. Euro den Londoner Fußballclub Chelsea und sponserte mit 54 Millionen Dollar den russischen Fußball-Club ZSKAOleg Deripaska
41 Jahre alt, rutschte auf der Liste der russischen Milliardäre von Platz 1 auf Platz 8
Besitzer der Industrie- und Finanzgruppe Basic Element
Vermögen 2008 40 Milliarden Dollar
Vermögen 2009 4,9 Milliarden Dollar
Sponsert zwei Moskauer Institute für Verwaltung und WirtschaftSergej Polonski
36 Jahre alt, rutschte auf der Liste der russischen Milliardäre von Platz 40 auf Platz 348
Besitzer der Baufirma Mirax
Vermögen 2008 4,35 Milliarden Dollar
Vermögen 2009 70 Millionen DollarUlrich Heyden
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