Gastarbeiter bleiben trotz Krise
Ihre Gesichter sind faltig und von der Sonne gegerbt. Sie stehen auf dem verschneiten Bahnsteig des Kasaner Bahnhofs in Moskau: vier Männer aus Usbekistan mit Rucksäcken und dicken Taschen, die soeben aus dem Zug gestiegen sind. Sie warten auf einen Arbeitsvermittler. Es herrscht eine feuchte Kälte, die unerbittlich durch Jacken und Hosen kriecht, doch die Vier – sie sind so um die Fünfzig – kümmert das nicht. Sie haben keine Schals und scheinen trotzdem nicht zu frieren.Die Vier wirken unsicher. Sie ahnen, dass das Leben in Moskau kein Zuckerschlecken wird. Wahrscheinlich haben sie von der unfreundlichen Stimmung gehört, die den Asiaten in Moskau entgegenschlägt.
Kremlnahe Jugendorganisationen wie „Die Lokalen“ oder „Junge Garde“ demonstrierten bereits mit Parolen wie „Koffer, Bahnhof, nach Hause“. Damit forderten sie die Gastarbeiter aus Zentralasien und dem Kaukasus auf, Moskau möglichst schnell zu verlassen und die Arbeitsplätze für Russen frei zu machen. Doch selbst die Nationalisten dürften wissen, dass sich für die 400 Euro-Knochenjobs auf dem Bau und in der Reinigungsbranche kaum ein Russe findet.Alle paar Tage kommen auf dem Kasaner Bahnhof Züge aus Taschkent, Bischkek und Duschanbe an. Und obwohl in Moskau mehrere große Bau-Projekte eingefroren wurden, sind die Züge voll. Es kommen immer noch neue Gastarbeiter oder Migranten von einem Heimaturlaub zurück nach Moskau. Viele von ihnen haben bereits versucht, sich zu Hause einen Job zu suchen und eine neue Existenz aufzubauen. Wer dabei gescheitert ist, kommt wieder zurück nach Moskau und sucht sich eine Arbeit als Reinigungskraft statt als Bauarbeiter.
Auf dem Kasaner Bahnhof in Moskau kommen die usbekischen Gastarbeiter mit dem Zug an. Foto: Ulrich Heyden
Die vier Usbeken schweigen und warten. „Wo wir arbeiten werden, wissen wir noch nicht“, sagt Raschid, dessen Goldzähne im trüben Winterlicht funkeln. Mit 15.000 Rubel (330 Euro) Verdienst im Monat wäre er schon zufrieden, erklärt Raschid. Vor der Krise auf dem Bau hätte er noch 25.000 Rubel (543 Euro) verdienen können.Ein junger Russe, nicht älter als 17 Jahre, mischt sich unter die Ankommenden und flüstert das Codewort „Registrierung“. Was sie kostet? „500 Rubel“, (zehn Euro) zischelt der Junge. Ein Schnäppchen-Preis. Denn in der Stadt kostet eine gefälschte Registrierung schon 3.000 Rubel (65 Euro). Doch wer bei einer Polizeikontrolle mit einer gefälschten Registrierung erwischt wird, riskiert einen dicken, fetten Deportationsstempel im Pass. Das bedeutet, dass er sofort heimreisen muss und die nächsten fünf Jahre nicht mehr nach Russland einreisen darf.Zehn Millionen Migranten arbeiten heute in Russland. Sie kommen vor allem aus den drei zentralasiatischen Republiken, Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan, aber auch aus Aserbaidschan, Armenien und Moldawien. Trotz Finanzkrise geht die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte bisher nur wenig zurück. Der Grund: Die Gastarbeiter sind im besten Alter und rechtlich ungeschützt.Von den zehn Millionen sind nur zwei Millionen offiziell registriert. Für Bauunternehmer und Reinigungsfirmen sind diese billigen Arbeitskräfte, für die sich keine Gewerkschaft einsetzt und die auch keine Lobby in der Duma haben, äußerst begehrt. Auch in Krisenzeiten will niemand auf sie verzichten. Als besonders zuverlässig gelten die Gastarbeiter aus Zentralasien. Sie sind Moslems, trinken wenig und übernehmen selbst schwere und schmutzige Arbeiten, die ein Moskauer nie machen würde.
Gastarbeiter aus Zentralasien werden in Moskau zum Schneeschippen eingesetzt. Scharif, ein junger Bauarbeiter, erzählt, dass er seit der Krise statt 600 nur noch 300 Dollar nach Hause schickt. Seine Familie rutscht damit unter das Existenzminimum. Eine Freundin hat er in Moskau nicht, sagt Scharif. „Die Risiken für Migranten aus Usbekistan reichen schon, wozu also sich mit einer Russin einlassen, die einem den letzten Rubel aus der Tasche zieht?“Scharif krümmt den Zeigefinger zu einem Haken und führt ihn unters Kinn. Dann erzählt er, was einem Bauarbeiter aus Usbekistan in Moskau noch so passieren kann. „Man arbeitet drei Monate und bekommt nur ein Taschengeld. Nach drei Monaten wird man dann ohne Lohn gekündigt. Für die Heimfahrt muss man bei den Kollegen sammeln gehen.“ Die Konsulate der Heimatländer fühlen sich für solche Fälle nicht zuständig. Sie protestieren nur, wenn sich die Überfälle der Skinheads mal wieder häufen.Der Kirgise Tokdogul arbeitet nicht weit vom Kreml als Träger und Packer in einem Café.
Eigentlich ist der Mann mit den dicken Brillengläsern Ökonom. Doch in seiner Heimatstadt, im südkirgisischen Osch, verdient er im Staatsdienst nur umgerechnet 86 Euro. Von dem Geld muss er auch sein Kind und seine Eltern ernähren. Weil das auf keinen Fall zum Leben reicht, ist er mit seiner Frau – sie arbeitet als Babysitterin – nach Moskau gekommen.Tokdogul lebt zusammen mit neun anderen Kirgisen in einer Zwei-Zimmer-Altbau-Wohnung im Stadtteil Kitai Gorod, einen Katzensprung vom Roten Platz entfernt. Möbel gibt es nicht, nach asiatischer Sitte werden abends zum Schlafen dünne Matten ausgerollt. Tokdogul macht sich gerade fertig, um seine Frau von der Metro abzuholen. Man weiß ja nie. Immer wieder gibt es Überfälle von Skinheads auf Menschen, die nicht slawisch aussehen.Tokdogul, der mit seinen Schlitzaugen leicht als Kirgise zu erkennen ist, scherzt: „Dagegen hilft nur eine plastische Gesichtsoperation.“ Wenn es zu einer Schlägerei kommt, habe er ja Hände und Füße, sagt er. Ein Pfefferspray wäre zu gefährlich. Das könnten ihm Polizisten bei einer Durchsuchung als Waffe auslegen. Über die Angst vor den Skinheads spricht niemand von den Migranten gerne. Das verdrängen sie lieber.
Die Angst davor, die Familie zu Hause nicht ernähren zu können, ist größer. Darüber wird offen und frei gesprochen.Seit die Finanzkrise auch Russland heimgesucht hat, versuchen die Medien für die nun plötzlich auftauchenden Probleme Schuldige zu finden. Angeblich seien die Gastarbeiter aus Zentralasien und dem Kaukasus prädestiniert für Kriminalität und Vergewaltigungen. Seit Wochen lassen sich selbst ernannte Experten darüber aus, dass nun unweigerlich Unruhen ausbrechen, angezettelt von arbeitslosen Usbeken, Tadschiken und Aserbaidschanern.Selbst der russische Präsident Dmitri Medwedew, der in der Öffentlichkeit gerne über den Schutz der Persönlichkeit spricht, schürte jüngst die Angst vor den Fremden. Auf einer Tagung des Innenministeriums erklärte der Präsident: „Es ist bekannt, dass die Verbrechen unter den Bürgern, die aus dem nahen Ausland kommen, ständig zunehmen.“ Konkrete Zahlen oder Beispiele nannte Medwedew nicht. Inzwischen sind drei Monate vergangen, doch von solchen Unruhen ist nichts zu hören und zu sehen.