Mafiabosse in Haft lähmen eine ganze Stadt
Es ist nicht ratsam, in Dupniza, einer Stadt rund 60 Kilometer südwestlich von Sofia, die Pizzeria Napoli zu besuchen. Sie hat nämlich besondere Stammgäste – die Berater des Stadtparlaments, Angel Hristov und Plamen Galev, und deren Freundeskreis. Bevor sie in die Pizzeria kommen, durchstöbern bewaffnete Sicherheitsleute das Lokal, um potenzielle Gefährdungen für ihre Chefs zu verhindern. Dann müssen alle anderen Besucher ihre Plätze verlassen.
Es ist in Bulgarien nicht üblich, dass Stadtparlamente eigene Berater haben und dass diese sich in Begleitung von Bodyguards bewegen. Aber Dupniza ist keine gewöhnliche Stadt: Hier, sowie in den Städten Varna und Pravez, regiert nicht die Demokratie, sondern die Alleinherrscher der Mafia: Angel Hristov und Plamen Galev. Einst bekämpften sie selbst bei der Polizei die Mafia, wurden dann aber wegen Verdachts auf kriminelle Machenschaften vom Dienst suspendiert. Ihre Mafia-Karriere begann.
Innerhalb von zehn Jahren wurden die beiden Mafiabosse steinreich durch den Handel mit gebrauchten Panzerwagen, wie sie selbst angeben, oder durch Geschäfte mit synthetischen Drogen und Schutzgelderpressungen, die von hohen Funktionären im Innenministerium toleriert werden. Mit ihrem Geld und entsprechenden politischen Druckmitteln konnten die berüchtigten Geschäftsleute 2007 bequem Bürgermeister und Stadträte installieren und für sich selbst die Amtsposten als Berater schaffen. Sie wollten sich nämlich nicht weiterhin mit informellen Kontakten mit Politikern begnügen, sondern sich direkt des politischen Hebels der Kommunalverwaltung bedienen. Mit ihren Abzocker- und Schlägertrupps und Spitzeln kontrollierten sie die Gemeinde komplett.
Seit kurzem können die Mafiosi Galev und Hristov, bekannt als die „Brüder Galevi“, die Pizzeria Napoli allerdings nicht mehr besuchen. Sie sitzen in Haft. Ihnen wird vorgeworfen, eine kriminelle Gruppierung geführt und ihre Mitbürger erpresst zu haben.Eines von ihren Opfern ist der Taxiunternehmer Ivan Tichov. Er musste wie viele andere den „Galevi“ jeden Monat 250 Euro überreichen. Nur so wurde ihm „Recht auf Arbeit“ garantiert. Vorher ließen ihn die Schläger, die in schwarzen Jeeps durch die Stadt patroullierten, an keinen Taxistand heran. Erst nachdem Tichov persönlich Plamen Galev aufgesucht und um Arbeit gebeten hat, wurde alles geregelt – über Nacht wurde beispielsweise ein früherer Parkplatz extra für Tichov zum Taxistand ernannt.
So bekam der Taxiunternehmer Kunden und Geld, und für seine Frau wurde auch ein Job gefunden. Alles lief bestens. Doch vor drei Jahren, als Tichovs Vater starb, konnte der Taxifahrer wegen der hohen Beerdigungskosten der Mafia den regulären Monatsbetrag nicht rechtzeitig zahlen. Fünfzehn Schläger haben ihn daraufhin ohnmächtig geschlagen, er verlor fünf Zähne und wurde impotent.
Die Täter bei der Polizei anzuzeigen, wäre absolut sinnlos gewesen, sagt Tichov heute. „Viele Polizisten arbeiten vormittags für die Behörde, abends sind sie mit den Mafiosi zusammen“, bestätigt auch Milen Popov, ein Stadtrat in Dupniza. Zu den örtlichen Justizbehörden hatten die „Galevi“ einen guten Draht – der stellvertretende Generalstaatsanwalt im Bezirk Kjustendil ist der Trauzeuge von Plamen Galev.
„Dass ich immer noch am Leben bin, habe ich nur meiner Partnerin zu verdanken“, erzählt Tichov. „Sie hat mich gerettet.“ Damit die Körperverletzungen nicht medizinisch nachweisbar sind, werden Opfer der Mafia-Schläger häufig erst gar nicht im Krankenhaus aufgenommen. „Da haben die auch ihre Leute“, sagt Tichov.
Obwohl die „Brüder Galevi“ inzwischen verhaftet sind, fühlt sich der erpresste Taxiunternehmer kaum sicherer. Auch in der fremden Stadt, in die er nach dem Vorfall umgezogen ist, bangt er nun weiter um sein Leben. Vielen in Dupniza geht es genauso. Die Bürger glauben nämlich, die Bosse würden bald zurückkommen.
Dieses Misstrauen gegenüber den staatlichen Behörden liegt daran, dass Jahre vergehen mussten, bis es zu den spektakulären Razzien der Polizei und des bulgarischen Geheimdienstes kam. Erst dann wurden die Verfahren gegen die Mafiosi von Dupniza direkt der Sofioter Staatsanwaltschaft übertragen, um die Einflussnahme der Mafiosi auf die örtlichen Justizbehörden zu vermeiden. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es in Bulgarien bislang erst ein Urteil gegen das organisierte Verbrechen gibt. Nur zu oft werden vor Gericht Beweise nur bedingt vorgebracht, weil Informationen aus Polizeikreisen und Justiz bis zu den Kriminellen durchsickern. Oder die Verfahren werden auf Druck von hohen Beamten vertagt.
„Die Menschen trauen dem Staat nicht zu, durchgreifen zu können und mit dem organisierten Verbrechen fertig zu werden,“ sagt Stadtrat Popov. „Man glaubt hier, die Justiz demonstriere nur im Vorfeld eines EU-Berichts eine gewisse Entschlossenheit.“Die Stadt Dupniza ist zu einem Ort jenseits der Staatlichkeit geworden, wo man anstatt der Nachrichten im Fernsehen den Mund-zu-Mund-Erzählungen traut – dem Gerücht etwa, dass die Mafiabosse gar nicht in Haft seien, sondern sich in einer abgelegenen Berghütte im Rilagebirge versteckt hätten. Und wenn sie zurück wären, würde für diejenigen, die inzwischen gegen sie ausgesagt haben, die Zeit der Rache beginnen.
Dupniza ist schöner und sauberer, seitdem Galev und Hristov im Stadtparlament sitzen, hört man indes aus anderen Mündern. Die Mafiosi hätten einen neuen Busbahnhof gebaut, Kindergärten und Schulen renoviert. Loyalität zu den „Galevis“ wird nämlich auch belohnt – öffentliche Aufträge werden an bestimmte Geschäftsleute vergeben, die dann wiederum gezwungen werden, Geld zu spenden.
„Keiner fragt sich, warum die namhaften Unternehmer „Galevi“ keine Steuer zahlen“, sagt Stadtrat Popov. Wenn sie besteuert würden, könnte das Geld schließlich an Sozialbedürftige gehen. Keiner macht sich darüber Gedanken, dass die Stadt nur deshalb sauberer geworden ist, weil die Schläger von „Galevi“ Roma die Straßen sauber machen lassen.
Viele Menschen haben inzwischen aber einfach nur aufgehört zu fragen. Vor drei Jahren haben Demonstranten mit Transparenten „Wir wollen nicht mehr in Angst leben“ noch versucht, die Aufmerksamkeit der Politiker auf die Willkür der „Galevis“ zu lenken. Vergeblich. Der ehemalige Innenminister Petkov, der später seinen Ministersessel räumen musste, weil seine Kontakte zu den Mafiosi in Dupniza aufgedeckt wurden, verleugnete damals kategorisch das Vorhandensein der Mafia.Heute verfasst eine beeindruckend große Gruppe von Bürgern um den Bürgermeister Atanas Janev, selbst mittlerweile angeklagt wegen Veruntreuung von EU-Hilfen in Höhe von 35 878 Euro, Petitionen für die Freilassung der Stadtpatrone. „In Dupniza hat man keine Angst“, steht auf ihren Plakaten.