Russland

MOSKAU UND TOKIO IM GASRAUSCH

Zur Einweihung von Russlands erster Flüssiggas-Fabrik kam das erste Mal nach dem Zweiten Weltkrieg ein japanischer Ministerpräsident auf die russische Insel Sachalin

(n-ost) – Die erste russische Flüssiggas-Fabrik ist am Mittwoch in Prigorodnoje, einem kleinen Ort am Südzipfel der Insel Sachalin, eingeweiht worden. In der Liquid-Natural-Gas-(LNG)-Fabrik sollen bereits in diesem Jahr sechs Millionen Tonnen Flüssiggas, bei Vollbetrieb der Anlage 2010 jährlich zehn Millionen Tonnen produziert werden. 65 Prozent des in Prigorodnoje produzierten Gases sollen nach Japan verschifft werden, der Rest geht nach Südkorea und in die USA.Das Projekt symbolisiert eine neue Etappe in den russisch-japanischen Beziehungen. Zwischen beiden Ländern gibt es seit dem zweiten Weltkrieg keinen Friedensvertrag. Immer noch ungeklärt ist der Streit um die vier östlich von Sachalin gelegenen Südkurilen-Inseln. Japanische Nationalisten hofften sogar, dass Japan den Südteil von Sachalin, der zwischen 1905 und 1945 zu Japan gehörte und den Namen Karafuto trug, wieder zurückholen könne. Überall im Südteil der Insel Sachalin stehen Anlagen, die von Japanern gebaut wurden: ein kleiner Palast, verlassene Bergwerke, ein noch intaktes Eisenbahnnetz und Friedhöfe. Nicht weit von der LNG-Fabrik steht ein japanisches Krieger-Denkmal.Zu der pompösen Einweihungszeremonie der LNG-Fabrik war auch der japanische Premier Tapo Aco angereist. Das war ein Politikum, denn es war das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass ein japanischer Ministerpräsident die Insel Sachalin besuchte. „Die Reise von Premier Aco ist eine klare und endgültige Bestätigung der Souveränität Russlands über Sachalin“, erklärte ein Vertreter des japanischen Außenministeriums. „Das Territorialproblem“ um die vier Südkurilen-Inseln erfordere eine politische Lösung, erklärte der japanische Premier vor der Fabrik-Einweihung.Abseits des Territorial-Streits vertiefte sich in den letzten Jahren die wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Insel Sachalin und Japan. Ein großer Teil des russischen Fischfangs vor der Ostküste der Insel wird zum Teil illegal in Japan verkauft. Bis zur Erhöhung der russischen Importzölle war Sachalin einer der wichtigen Umschlagplätze für japanische Gebraucht-Jeeps.Mehrheitsaktionär des „Sachlin-2“-Projekts, zu dem neben der jetzt eröffneten LNG-Fabrik zwei Verschiffungsterminals für Gas und Öl, eine 800 Kilometer lange Pipeline und zwei Bohrinseln vor der Nord-Ost-Küste von Sachalin gehören, ist zu 51 Prozent Gazprom. Außerdem sind an dem Projekt der niederländische Shell-Konzern sowie die japanischen Unternehmen Mitsui und Mitsubishi beteiligt. Der russische Präsident Medwedew stellte bereits neue Aufträge in Aussicht. Der Kreml-Chef erklärte, man verhandele jetzt mit Shell, Mitsui und Mitsubishi über den Bau einer weiteren LNG-Fabrik. Sie soll Gas von der nordrussischen Halbinsel Jamal verarbeiten. Der Anteil von Flüssiggas am Welt-Energiemarkt verzeichnet erhebliche Steigerungsraten.
Der Holländer, Bert Christoffels, vom Shell-Konzern ist Manager der Flüssiggas-Fabrik in Sachalin. Foto: Ulrich HeydenDas Bauprojekt „Salachin-2“, das 1999 gestartet wurde, ist gigantisch. An dem Bau der LNG-Fabrik waren 10.000 Arbeiter, darunter ein großer Teil hoch bezahlte Spezialisten aus westlichen Ländern, beteiligt. Die Baukosten für das Gesamtprojekt verdoppelten sich über die Jahre von zehn auf 22 Milliarden Dollar. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) war zunächst an dem Projekt beteiligt. Die Bank, die einen Kredit von 116 Millionen Dollar gegeben hatte, schied jedoch 2007, als Gazprom Mehrheitsaktionär wurde, aus dem Projekt aus. Seit Produktionsbeginn beschäftigt die Fabrik 2.400 feste Mitarbeiter. Die Flüssiggas-Tanker, die das Gas über das Japanische Meer befördern, haben eine Besatzung von 25 Mann.Die Gasverflüssigungsfabrik funktioniert ähnlich wie ein Kühlschrank. Dem Gas wird Wärme entzogen. Es wird auf Minus 162 Grad Celsius abgekühlt, wobei es sich verflüssigt und an Volumen verliert. Nach der Verschiffung wird es dann vom Empfänger wieder in seine ursprüngliche Form umgewandelt.
Dmitri Lisitsyn von der „Ökologischen Wache Sachalin“ fordert die Einhaltung von Umwelt-Standards. Foto: Ulrich HeydenÖkologen haben seit Beginn der Planungen vor dem Riesenprojekt gewarnt. Sie weisen auf die  seismische Situation auf der Insel hin: Es kommt häufig zu kleinen Erdbeben, manchmal auch zu großen, wie im August 2007, als in dem Ort Newel an der West-Küste von Sachalin zahlreiche Häuser zerstört wurden und eine Felsplatte aus dem Meer auftauchte. Shell-Manager Bert Christoffels, der das Beben damals auch an seinem Arbeitsplatz in der Gebietshauptstadt Juschno-Sachalinsk spürte, ist dennoch überzeugt, dass sich die seismischen Probleme lösen ließen: Die Aufbauten der Bohrplattformen im Meer ruhten auf einer Vorrichtung, die Erdstöße ausgleichen könne. Und die Rohre der Pipeline seien unterirdisch in einem speziellen Sandbett gelagert, so dass sich die Rohre bei Erdstößen bewegen können.Dmitri Lisitsyn, der Chef der „Ökologischen Wache Sachalin“, kritisiert das Projekt. Bei der Verlegung der Pipeline habe man über 1.000 Flüsse überqueren müssen, berichtet der Umweltschützer. Dabei seien viele Fehler gemacht worden. Die Laichplätze der Lachse in den Flüssen seien durch das Aufwühlen des Flussbettes gefährdet. Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass es bei der Pipeline zu Lecks kommt, denn 100 Kilometer der Energieader laufen durch bergiges Gelände und dort gebe es häufig Erdverschiebungen und Schlammlawinen.


Ulrich Heyden
ENDE
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