Finanzkrise zwingt zum Sparen
Der Rubel-Kurs fällt, die Industrieproduktion geht zurück und selbst die betuchteren Teile der Bevölkerung halten ihr Geld zusammen
(n-ost) - Mit einem Gefolge aus Spitzenbeamten, darunter der Finanzminister und der Zentralbankchef, ist am Freitag der russische Vizepremier Igor Schuwalow vor das russische Parlament getreten. Offensichtlich wollte er damit die von der Finanzkrise und täglich neuen Hiobsbotschaften verunsicherte Bevölkerung beruhigen. „Insgesamt wird die Situation im Verlauf des Jahres 2009 ziemlich hart“, sagte er, schob ein „Wir haben die Situation unter Kontrolle.“ hinterher und versprach die Modernisierung der rohstoffabhängigen Wirtschaft.Sehnsüchtig hoffen die Hauptstädter, dass die Finanzkrise wenigstens die ins Unermessliche gestiegenen Wohnungspreise zu Fall bringt. Aber die Immobilienpreise geben bisher nur um wenige Prozentpunkte nach. Stattdessen fällt der Kurs des Rubels gegenüber dem Dollar immer weiter - mal um 40, mal sogar um 70 Kopeken. Seit Oktober verteuerte sich der Dollar von 26 auf 35 Rubel, der Euro von 34 auf 45 Rubel. Auch Medikamente und andere Importwaren sind teurer geworden.Schon melden die Meinungsforschungsinstitute einen Einbruch der Popularität von Wladimir Putin, dem Mann, den die Russen verehrten, weil unter ihm acht Jahr lang die Wirtschaft wuchs und die Einkommen stiegen. Der Ultranationalist Wladimir Schirinowski erklärte in der gestrigen Parlamentsdebatte, es gebe keine Krise Russlands, sondern einen Angriff der USA „an der Finanzfront“.Ein Abgeordneter der Kommunistischen Partei forderte, die Preise für die Grundnahrungsmittel staatlich zu fixieren. Das lehnte Vizepremier Schuwalow jedoch ab. Eine Preis-Fixierung führe „zur Zerstörung des Landes“, sagte er. Putin hatte bereits auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos vor starken staatlichen Eingriffen angesichts der Krise gewarnt. Mit derartigen Methoden habe die Sowjetunion ihre Konkurrenzfähigkeit verloren und „teuer bezahlt“, erklärte der Ministerpräsident.Während der Kreml versucht, das Volk zu beruhigen, beginnen selbst die genusssüchtigen Moskauer zu sparen. In den sonst sogar um Mitternacht noch hochfrequentierten Cafes der 11-Millionen-Stadt ist jetzt nur noch eine Handvoll Menschen anzutreffen. „Wir haben nur noch die Hälfte der Besucher“, meint der junge Mann an der Kasse einer Dependance der Café-Kette „Kofe Chaus“ im Zentrum. Die einfachen Bürger würden ihren Kaffee jetzt lieber zu Hause trinken. Es werde gespart, wo es geht.Auch die Taxi-Fahrer, von denen die Mehrzahl ihr Geschäft schwarz betreibt, stöhnen über Umsatzverluste. „Ich habe nur halb so viele Kunden wie sonst“, sagt Raschid, ein junger Mann aus Usbekistan. Das gleiche Bild in den teureren Moskauer Supermärkten: Wo früher lange Schlangen standen, wird man nun schnell abgefertigt.Bei den Industrie-Giganten in der russischen Provinz gibt es Kurzarbeit und lange Produktions-Pausen. Der LKW-Hersteller Kamas in der russischen Teilrepublik Tatarstan hat seine Produktion seit Ende November mit kurzen Unterbrechungen gestoppt und will erst wieder ab 12. Februar produzieren. 3.000 Fahrzeuge stehen unverkauft vor der Riesen-Fabrik, doppelt so viele wie vor der Finanzkrise.Die Wirtschaftsprognosen sind alarmierend. Der Vize-Präsident des russischen Unternehmerverbandes, Igor Jürgens, geht nach einem Wirtschaftswachstum von sechs Prozent im vergangenen Jahr für 2009 „im besten Fall“ von einem Null-Wachstum aus, im „schlimmsten Fall“ mit einem Wachstums-Rückgang um zehn Prozent.Auch der ehemalige Putin-Berater und Wirtschafts-Spezialist, Andrej Illarionow, legte alarmierende Zahlen vor, wonach die Industrieproduktion von Juli bis Dezember 2008 um 19,7 Prozent gesunken ist. „Ein solches Tempo beim Rückgang der Produktion hat es in den letzten zwei Jahrzehnten nicht gegeben“, sagt der Kreml-Kritiker, der eine verfehlte Wirtschaftspolitik für die Ursache der Krise in Russland hält. Durch eigenes Verschulden sei die Industrieproduktion um zwei Jahrzehnte zurückgeworfen worden.Der stellvertretende Minister für Gesundheit und soziale Entwicklung, Maksim Topilin, rechnet damit, dass die Zahl der Arbeitslosen bis Ende 2009 auf sieben Millionen steigt. Zur Zeit sind in Russland 5,8 Millionen Menschen ohne Arbeit – das seien sieben Prozent der „wirtschaftlich aktiven Bevölkerung“, so der Minister.Der russische Haushalt verzeichnet weiter Einnahmeverluste und die Reserven schmilzen durch die Unterstützung in Not geratener Betriebe und Banken. Unternehmen wurden aus den staatlichen Reserven mit elf Milliarden Dollar unterstützt. Die staatliche VEB-Bank will zur Stützung von Unternehmen und Banken weitere 90 Milliarden Dollar bereitstellen. Russland leidet zudem unter dem von 150 auf 40 Dollar pro Barrel gefallenen Ölpreis.Ob es der Regierung gelingt, die wachsende Besorgnis und den Unmut in der Bevölkerung zu zerstreuen, wird sich schon an diesem Sonnabend zeigen. Die Kommunisten und das von Garri Kasparow geführte Oppositionsbündnis „Das andere Russland“ haben in Moskau, St. Petersburg und anderen Städten zu Demonstrationen gegen die Folgen der Finanzkrise aufgerufen.Ulrich Heyden
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