Russland

Wirbel um Mord an Ex-Leibwächter Kadyrows

Trotz Warnungen erhielt Opfer keinen Personenschutz / Tat wurde offenbar angekündigt

(n-ost) - Ein toter Tschetschene, niedergestreckt mit mehreren Schüssen mitten am Tag auf offener Straße in Wien, eine Jacke am Tatort, ein Festgenommener und ein Gewirr an Gerüchten – so präsentiert sich der Fall Umar Israilow. Das Mordopfer, ein ehemaliger Leibwächter des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, hatte sich vor der Tat bedroht gefühlt, das auch den Behörden mitgeteilt, jedoch keinen Personenschutz erhalten. Ob und warum die österreichischen Sicherheits- und Geheimdienste eine ganze Reihe an Hinweisen unterschätzt oder schlicht ignoriert haben, ist unklar.Am 13. Januar fielen die Schüsse. Laut Augenzeugen hatten zwei Männer Umar Israilow aufgelauert, einer von ihnen gab aus nächster Nähe mehrere Schüsse auf ihn ab. Israilow starb wenig später im Krankenhaus. Die beiden Täter flüchteten in einem grünen Volvo, der auf sie gewartet hatte. Der Wagen wurde später auf dem Parkplatz eines Supermarkts gefunden. Zugelassen war er auf einen ebenfalls in Österreich lebenden Tschetschenen, der seinen Namen in Otto Kaltenbrunner geändert hatte. Er sitzt jetzt als möglicher Komplize in Untersuchungshaft, bestreitet aber jegliche Verbindung zu der Tat.Laut seinem ebenfalls in Österreich lebenden Vater wurde Umar Israilow in Tschetschenien gefangen und gezwungen, dem Sicherheitsdienst von Ramsan Kadyrow beizutreten. Er sei gefoltert worden und später als Leibwächter Kadyrows selbst Zeuge von Menschenrechtsverletzungen geworden, so der Vater. „Außergerichtliche Hinrichtungen, systematische Folter, Fälle von verschwundenen Menschen und illegale Haft“, umreißt er, was sein Sohn gesehen und erlebt habe. Dann sei Umar geflohen – über Polen nach Österreich, wo er Asyl beantragte. Von Wien aus reichte Umar Israilow offenbar Klage bei der russischen Staatsanwaltschaft gegen Kadyrow ein, ebenso eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.Spätestens ab Sommer 2008 fühlte sich Umar Israilow offenbar bedroht. Vor seinem Haus in Wien sollen Beobachter gestanden haben. Später soll er konkrete Aufforderungen erhalten haben, die Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof zurückzuziehen und heimzukehren. Schließlich vertraute sich ein Mann mit dem Namen Arbi im Herbst 2008 den österreichischen Behörden an. In Befragungen gab er an, für eine Sonderabteilung der Tschetschenischen Regierung zu arbeiten. Sein Auftrag sei es gewesen, Umar Israilow zurückzuholen. Das sei aber bereits hinfällig, denn Israilow werde sterben, so der Tschetschene. Arbi selbst erklärte, seine Familie werde bedroht, wenn er den Auftrag nicht ausführt. Er bat um die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm und bot sich als Informant an. Die österreichischen Geheimdienste lehnten ab.Die Aussagen Arbis wurden vom Sprecher des Innenministeriums bestätigt. Der Mann hatte zudem von einer Todesliste der tschetschenischen Führung gesprochen, die 5000 Personen umfasse, von denen 300 Personen sterben müssten – 50 allein in Österreich. Arbi wurde schließlich abgeschoben. Dass es sich bei ihm um einen Agenten gehandelt habe, könne man nicht bestätigen, so der Sprecher des Ministeriums. Jedoch wusste Arbi über einen Israilow betreffenden Auslieferungsantrag der russischen Justiz Bescheid – üblicherweise sind das Rechtsakte, die vertraulich behandelt werden.Israilows regelmäßige Bitten um Personenschutz wurden derweil wiederholt abgelehnt. Die Begründung lautete, die Bedrohungslage sei zu vage. Auch Interventionen von Human Rights Watch, der International Helsinki Foundation sowie Israilows Flüchtlingsbetreuer halfen nicht weiter. Österreichs Innenministerin Maria Fekter hatte zunächst behauptet, Israilow habe Hilfsangebote von Behördenseite abgelehnt, zog diese Aussage später jedoch zurück. Auch die Polizei bestätigte später, die Lage falsch eingeschätzt zu haben.Vertreter der tschetschenischen Gemeinde in Wien werfen den österreichischen Behörden nun vor, sie würden eng mit den russischen Geheimdiensten zusammenarbeiten. Vor allem der Umstand, dass Arbi – ein allem Anschein nach abtrünniger Agent – einfach ausgeliefert wurde, nährt ihre Vermutungen. Aus dem Innenministerium heißt es dazu nur knapp: „Der Fall sei zu komplex.“Stefan Schocher

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