Knapp zehn Jahre Haft für Tambover Bürgermeister
Maksim Kosenkov wegen angeblicher Entführung eines Menschen zu 9,5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt
(n-ost) - „So etwas gab es in Russland noch nie“, schrieb die russische überregionale Zeitung „Izvestia“. Der Bürgermeister der zentralrussischen Provinzstadt Tambov, der 34-jährige Maksim Kosenkov, ist zu Wochenbeginn in Moskau wegen angeblicher Entführung eines Menschen zu 9,5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Merkwürdig sei, so die Zeitung, dass Kosenkov am 16. April 2008 festgenommen wurde – einen Tag nachdem er Präsident Medwedew als Kandidat für den Posten des Gouverneurs des Gebiets Tambov vorgestellt worden sei.Kosenkov hat eine steile politische Karriere gemacht. 1995 wurde er mit 19 Jahren Mitarbeiter der Stadtverwaltung Tambov, mit 21 Vorsitzender des Stadtkomitees für Jugendpolitik, mit 24 stellvertretender Bürgermeister. Mit 28 wurde er Vize-Gouverneur. Ein Jahr danach, 2005, ernannte ihn das Stadtparlament Tambov zum Bürgermeister. Viele sahen in Kosenkov den neuen Tambover Gouverneur. Die Festnahme und die Verurteilung beendeten die politische Karriere des intelligenten und begabten jungen Mannes jäh.Die Umstände, die zu der Verurteilung führten, sind mysteriös. Kosenkov wird vorgeworfen, einen jungen Ukrainer entführt zu haben. Diesen soll – so die Version des Gerichts – Kosenkov 2006 in Moskau kennen gelernt haben. Aus Mitleid schlug Kosenkov dem damals 18-jährigen mittellosen Waisenkind Vitaly Babij vor, in seinem Haus als Haushalter zu wohnen und sich um die vielen Haustiere des Bürgermeisters zu kümmern.Ein Jahr später hat Babij die 25-jährige Nadeschda Schewzowa kennen gelernt, sie wurden ein Paar und verließen Tambov. Der Fahrer Kosenkovs und drei weitere Männer hätten, so das Gericht, Babij aufgespürt und verlangt, mit ihnen zurück nach Tambov zu fahren. Babij willigte ein. Kurz darauf erstattete Schewzowa bei der Polizei in Moskau eine Anzeige. Babij wurde von Tambover Polizisten aus dem Haus des Bürgermeisters geholt. Am 1. April 2008 wurde ein Strafverfahren gegen Kosenkov wegen Menschenentführung eingeleitet, am 16. April folgte die Festnahme.Soweit die offizielle Version. Babij und Kosenkov gaben jedoch Einzelheiten zu Protokoll, die das Geschehen völlig anders aussehen lassen. Außerdem gibt es keine unvoreingenommenen Zeugen, die diese oder jene Version bestätigen oder widerlegen könnten.So behauptet Babij, dass sich seine Pflichten im Haus des Bürgermeisters nicht auf die Tierpflege beschränkten: Der vermeintlich schwule Kosenkov hätte ihn zur Intimität gezwungen, Vitaly sei ein Sex-Sklave des Bürgermeisters gewesen. Er habe fliehen müssen, da ihm Kosenkov seine Beziehung zu Schewzowa nicht verziehen habe. Kosenkovs Fahrer hätte ihn in Moskau gezwungen, ins Auto einzusteigen.Der Tambover Bürgermeister streitet diese Version ab. Es gebe keine intime Beziehung zu Babij, der junge Mann hätte bei seiner Flucht 100 000 Rubel und Goldschmuck mitgehen lassen. Babij habe später selbst darum gebeten, nach Tambov zurückkehren zu können. Das ganze Strafverfahren sei eine Provokation der politischen Gegner, die den möglichen Aufstieg Kosenkovs zum Gouverneur verhindern wollten.Eines dürfte indes feststehen: Vitaly Babij war im Hause des Bürgermeisters keinesfalls eingesperrt. Mehrmals wurden beide Männer bei verschiedenen Veranstaltungen in Tambov und in einer Disko in der Nachbarstadt Lipezk gesehen. Seit mehreren Jahren kursieren in Tambov Gerüchte, der Bürgermeister sei schwul.Nach der Festnahme sammelten die Tambover Unterschriften für ihren Bürgermeister, die vom Gericht jedoch ignoriert wurden. Kosenkov genießt ein hohes Ansehen in der 280.000-Einwohner-Stadt. Er baute neue Straßen und Kinderspielplätze, ließ alte Häuser reparieren und Blumen an die Straßen pflanzen.Anderer Meinung ist jedoch der heutige Gouverneur Tambovs, der 59-jährige Oleg Betin, der die vermeintlich „falsche“ sexuelle Orientierung Kosenkovs anprangert: „Die Aufgabe des neuen Bürgermeisters ist, diesem Unfug Einhalt zu gebieten.“ Damit meint er jene Tambover, die in der Stadt eine Street Parade für Schwule und Lesben organisieren wollen. Noch härtere Worte des Gouverneurs zitierte das russische Wirtschaftsblatt „Kommersant“: „Die Schwuchtel muss man in Stücke reißen!“Die Tambover Bürger scheinen sich indes weniger daran zu stören, dass ihr Bürgermeister schwul sein soll. Die russische Netz-Zeitung für Lesben und Schwule www.gay.ru stellte 2007 in einer Umfrage fest, dass 22 Prozent der Wähler in Tambov bereit wären, für einen schwulen Kandidaten in der Stadt- und Gebietsverwaltung zu stimmen – ein Ergebnis, das selbst das Online-Portal positiv überraschte. Mehr Stimmen gebe es nur in Moskau (27 Prozent) und in Königsberg (26 Prozent).Alexander Schrepfer
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