Geiseln des Gasstreits in Moskau
Premier Putin empfängt Kollegen aus Osteuropa und empfiehlt Europa, den Druck auf Kiew zu erhöhen
(n-ost) - Der russische Präsident Dmitri Medwedew erklärte am Mittwoch während eines Treffens mit Gazprom-Chef Aleksej Miller, man werde wegen der Unterbrechung des Gastransits durch die Ukraine gegen Kiew vor internationalen Gerichten klagen. Der Gazprom-Chef erklärte, sein Unternehmen habe seit dem 1. Januar Einnahmeverluste im Export-Geschäft von 1,1 Milliarden Dollar.Wladimir Putin traf sich gestern in einer Vorstadt-Residenz mit den Ministerpräsidenten Bulgariens, der Slowakei und der Republik Moldau, Sergej Stanischev, Robert Fizo und Sinaida Gretschanaja. Der russische Ministerpräsident erklärte, mit der Behinderung des Gastransits verletze Kiew das von Vertretern der EU, der Ukraine und Russlands zum Wochenbeginn unterschriebene Protokoll zum Gastransit. Putin erklärte, aus der entstandenen Situation habe niemand einen Vorteil. Er rief die „europäischen Partner“ auf, den Druck auf die politische Führung in Kiew zu erhöhen.Während der Begegnung, die teilweise vom Fernsehkanal NTW übertragen wurde, erklärten die drei osteuropäischen Premiers, ihre Länder befänden sich in einer äußerst schwierigen Situation. Dabei seien alle Rechnungen an Gazprom bezahlt worden und das zu „europäischen Preisen“. Bulgarien zahle zur Zeit 450 Dollar für Tausend Kubikmeter Gas.Die Ministerpräsidentin Moldaus, Sinaida Gretschanaja, sagte, der Gasverbrauch in ihrem Land sei seit dem 6. Januar auf ein Drittel gesunken. „Die Energiekraftwerke sind fast alle auf Öl umgestellt worden“, sagte sie. Der bulgarische Premier, Sergej Stanischev, erklärte, „Europa fühlt sich als Geisel, Hunderttausende leiden real.“ Der slowakische Ministerpräsident Robert Fizo meinte, er sei nicht gekommen, „um sich zu beklagen“, aber die Situation sei krisenhaft „und wenn kein Gas kommt, müssen wir Maßnahmen ergreifen, die wir nie ergriffen haben.“Fizo, der gestern Vormittag in Kiew mit der ukrainischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko zusammengetroffen war und dort erklärt hatte, dass sein Land nur noch Gas für zwölf Tage habe, äußerte sich kritisch zur Haltung der Ukraine. „Ich habe Frau Timoschenko gesagt, dass die Ukraine das Vertrauen der europäischen Partner verliert, wenn sie sich so verhält.“Putin gestand ein, dass die europäischen Länder „Geiseln des Streits zwischen Russland und der Ukraine geworden sind“. Aber der Streit sei wegen des Gaspreises für den ukrainischen Verbrauch entstanden. Kein Transitland habe das Recht, seine Lage auszunutzen, „um damit zu spekulieren und die Verbraucher in Europa als Geisel zu nehmen.“ Putin betonte, der Vertrag, der den Gastransit regelt, habe eine Laufzeit bis 2013.In Kiew bat der Chef des ukrainischen Unternehmens Naftogas, Oleg Dubina, Gazprom um die Lieferung von „technischem Gas“. Nur so könne man den Gastransit abwickeln. Gazprom will das technische Gas – wie von Kiew bisher gefordert – aber nicht umsonst liefern. Auf einer Pressekonferenz bettelte Dubina, „wenn Sie die Möglichkeit haben, uns Gas zu leihen, leihen Sie es uns. Wenn wir uns über den Preis geeinigt haben, werden wir bezahlen.“In der Ukraine spitzt sich unterdessen der innenpolitische Streit zu. Am Dienstag forderte Viktor Janukowitsch, der Führer der Russland-freundlichen „Partei der Regionen“, den Rücktritt von Julia Timoschenko und die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsident Viktor Juschtschenko.Julia Timoschenko ihrerseits kritisierte indirekt den ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Sie beschuldigte die dem Präsidenten nahe stehenden Miteigentümer der Vermittlungsfirma RosUkrEnergo, dass diese das Gas aus Russland nicht zur Versorgung der Bevölkerung einsetzten, sondern „auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Die gewonnenen Mittel nutzen sie für politische Ziele.“Die Kreml-nahe Zeitung „Iswestija“ berichtete gestern von einer angeblich bereits im Dezember vom ukrainischen Außenminister Wladimir Ogrysko und US-Außenministerin Condoleezza Rice unterschriebenen „Charta über strategische Zusammenarbeit“, nach der sich in Zukunft die USA um die Modernisierung der veralteten ukrainischen Pipelines kümmern will. Der stellvertretende Gazprom-Aufsichtsratschef Aleksandr Medwedew erklärte, „es entsteht der Eindruck, dass das Musical, das in der Ukraine aufgeführt wird, aus einem ganz anderen Land dirigiert wird.“ Die Moskauer Iswestija spekulierte, möglicherweise hänge der „Mut“ der Ukraine in der laufenden Auseinandersetzung mit dem unterschriebenen Dokument zusammen.Ulrich Heyden
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