Europa oder Kosovo?
In Serbien ist nach der Ablehnung des Kandidatenstatus auf dem EU-Gipfel die Debatte über den Europakurs des Landes voll entbrannt. Außenminister Vuk Jeremic machte am Mittwoch klar, dass die Regierung bei ihrer Haltung zur Kosovofrage bleibt. „Es wäre unmoralisch, sie wenige Monate vor den Wahlen zu ändern“, sagte er.
Die EU-Regierungschefs hatten auf ihrem Gipfel am 9. Dezember Serbien den Beitrittsstatus auf deutsche Initiative hin vorläufig verweigert und das Land auf 2012 vertröstet. Die Bundesregierung wirft der Regierung in Belgrad vor, nicht genug für eine Normalisierung der Beziehungen zu seiner früheren Provinz Kosovo getan zu haben.
Oppositionschef ist gegen EU-Beitritt
Bei ihrem Besuch in Pristina Anfang der Woche erklärte Angela Merkel, ihre Bedingungen für den Kandidatenstatus hätten sich nicht geändert. Insbesondere müsste der Gütertransport frei möglich sein, womit sie auf die Straßenblockaden durch Serben im nördlichen Kosovo anspielte. Zudem ginge es um Fortschritte bei gemeinsamen Grenzkontrollen und den Abbau der so genannten „parallelen Strukturen“ der Serben im Kosovo.
Dass der Europäische Rat von Serbien verlangt habe, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen, sei für ihn nicht akzeptabel gewesen, erklärte Präsident Boris Tadic nach dem Gipfel. Oppositionsführer Vojislav Kostunica forderte gar die Abkehr vom EU-Beitritt überhaupt.
Auch in der Bevölkerung hat nach der Abfuhr aus Brüssel die Kritik an der EU zugenommen: „Die Anti-EU-Stimmung, die seit Angela Merkels Besuch in Belgrad im vergangenen August eher noch gestiegen ist, hat durch die Abfuhr einen weiteren Schub erhalten“, meint Vladimir Todoric vom serbischen Thinktank New Policy Centre. Man sei es zunehmend leid, wie dumme Schüler von Lehrern behandelt zu werden.
Henri Bohnet von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Belgrad warnt: „Die Zustimmung zu Europa steht auch im demokratischen Serbien derzeit auf einem historischen Tief.“ Allerdings zählten für die Mehrheit der Menschen angesichts der Wirtschaftskrise in Serbien soziale und wirtschaftliche Probleme viel mehr. „Die meisten Menschen wissen, dass Serbien die EU zur Modernisierung des Rechtssystems, für Standards bei Bildung und Gesundheit und die Wirtschaft insgesamt dringen braucht.“
So ist auch auf den Straßen der Hauptstadt Belgrad wenig Anti-EU-Stimmung zu spüren. Im Gegenteil: Die von vielen jungen Serben unterstützte Liberaldemokratische Partei sammelt an Straßenständen Unterschriften für ein Memorandum „Preokret“ (Umkehr). Dieses fordert von der Regierung, in der Frage „Kosovo oder EU“ ehrlich Stellung zu beziehen. Ein politisches Magazin titelte sogar „Danke, Deutschland“.
Die Regierung beharrte bisher darauf, dass die Haltung zum Kosovo mit dem EU-Beitritt nichts zu tun habe und hatte versucht, das Thema aus dem Wahlkampf heraus zu halten. Man ging allgemein davon aus, nach der Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic an das Tribunal in Den Haag den Kandidatenstatus quasi in der Tasche zu haben. Nun gerät das Thema aber mitten in den Kampf für die Parlamentswahlen im Mai 2012. Auch in der Regierung selbst zeigen sich Risse. Der für die EU-Integration zuständige Minister Bozidar Djelic, ein langjähriger Wegbegleiter Tadics, hatte unmittelbar nach dem „Nein“ aus Brüssel den Rücktritt eingereicht.
Präsident Tadic setzt dennoch darauf, dass Serbien im März den Kandidatenstatus erhält. Er wolle den Regierungschefs klarmachen, dass Serbien die Bedingung, den Kosovo anzuerkennen, nicht erfüllen könne, erklärte er. Hinter die Resolution 1244 des Uno-Sicherheitsrates von 1999 könne man nicht zurück. Diese erlaubt der serbischen Regierung, Personal im Kosovo zu behalten und sieht die Rückkehr serbischer Flüchtlinge in den Kosovo vor.
Vertreter der EU-Kommission betonen, dass die EU von Serbien keine völkerrechtliche Anerkennung der ehemaligen Provinz erwartet, sondern eine Art faktische Anerkennung in Form konstruktiver Zusammenarbeit. In einer aktuellen Umfrage zeigen sich aber zwei Drittel der Serben überzeugt, die Anerkennung des Kosovo sei eine Bedingung des EU-Beitritts. Unter dieser Bedingung lehnen 59 Prozent der Bevölkerung den Beitritt ab.