Demonstrative Härte beim Gas-Streit
Beim Gas-Streit zwischen Moskau und Kiew mischen sich wirtschaftliche mit politische Interessen.
(n-ost) – In der Moskauer Gazprom-Zentrale herrscht eine eisige Atmosphäre. Wenn Kiew den „Vorzugspreis“ von 250 Dollar für Tausend Kubikmeter Gas ablehne, werde man an die Ukraine nur noch Gas zum „Marktpreis“ von 418 Dollar liefern, schnarrte der Chef des halbstaatlichen Energieunternehmens Gazprom Aleksej Miller vor den Fernsehkameras. Immerhin verlangt Russland von seinem Nachbarn und einstigen Bruder für die Gaslieferungen weit weniger als von europäischen Ländern. Der ukrainische Gaskonzern Naftogaz will aber nur 201 Dollar bezahlen. Offenbar gebe es in der Ukraine politische Kräfte, „die sehr daran interessiert sind, dass es zwischen unseren beiden Ländern einen Gas-Konflikt gibt“, sagte Miller. Und Russland ist daran interessiert, dass die Russland-freundlichen Kräfte in der Ukraine Oberhand bekommen, müsste er ehrlicherweise hinzufügen. Der Kreml hofft offenbar auf Julia Timoschenko, die bei den zwischen Moskau und Kiew strittigen Fragen wie Gas-Preis und Südossetien einen versöhnlicheren Ton anschlägt als der ukrainische Präsident.Bei Ländern wie Weißrussland und Armenien zeigt sich der halbstaatliche Gazprom-Konzern bei der Preisgestaltung immer noch geschmeidig, nicht jedoch gegenüber der Ukraine. Die lieferte schließlich dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili Panzer und Raketen, und Präsident Viktor Juschtschenko strebt bekanntlich den Nato-Beitritt an. Unerbittlich, jedes Jahr aufs Neue fordert Moskau die Bezahlung von Gas-Schulden und die schrittweise Erhöhung des Gas-Preises auf Markt-Niveau. In einem Brief an Gazprom erklärte der ukrainische Gaskonzern Naftogaz, da es für 2009 keinen Vertrag gebe, sei das von Russland in die ukrainischen Pipelines eingespeiste Gas „herrenlos“. Diese Formulierung deutet an, dass man wie schon beim ersten Gas-Streit von 2006 von dem Transit-Gas nach Europa etwas für den eigenen Bedarf abzweigen will – ein Vorhaben, das Gazprom als „Erpressung“ bezeichnet.Damit wiederholt sich der Streit von vor drei Jahren. Wegen eines nicht zustande gekommenen Liefervertrages stellte Gazprom der Ukraine am 1. Januar 2006 den Hahn ab. Die Ukraine begann für Europa bestimmtes Gas für den eigenen Gebrauch abzuzweigen, weshalb es in mehreren europäischen Ländern zu einem leicht sinkenden Gasdruck kam.Panik-Stimmung kommt in Europa wegen des Gas-Streits aber nicht auf. Zum einen sind die Gas-Speicher gefüllt und können im Krisenfall Lücken ausfüllen. Außerdem wurde an den Grenzen Deutschlands kein Gasmengenverlust festgestellt. Der Vertreter Tschechiens in der EU, Jiri Potuznik, erklärte, solange der Druck in den Gasleitungen nicht stark sinke, werde man sich nicht in den Konflikt einmischen. Moskau erklärte wie schon 2006, beim Gas-Streit mit der Ukraine gehe es um nichts außer um Marktwirtschaft. Kiew beschwört dagegen „russische Machtpolitik“. Geflunkert wird indes auf beiden Seiten. In Kiew ist die Kasse leer und man weiß beim besten Willen nicht, woher die 1,8 Milliarden Euro kommen sollen, um die Gas-Schulden für 2008 zu bezahlen. Die Ukraine wurde von der Finanzkrise hart getroffen und musste vom Internationalen Währungsfonds bereits einen Kredit über 14,5 Milliarden Dollar aufnehmen, um die eigene Wirtschaft und Währung zu stabilisieren.Wer den öffentlich geführten Krieg der Worte gewinnt, entscheidet sich letztlich nicht bei den Preisverhandlungen, sondern in der internationalen öffentlichen Meinung, die Moskau und Kiew mit ihren Argumenten zu füttern versuchen. 2006 einigte man sich schon drei Tage, nachdem Russland den Hahn abgeschaltet hatte. Einen langen Gas-Streit können sich weder Moskau noch Kiew leisten. Das würde dem Image beider Länder gegenüber der EU zu sehr schaden.Ulrich Heyden
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