Russland

Deutschland als Bündnispartner Nummer Eins

„Schiller war der vollkommene Deutsche, wie er im Buche steht.“ In seiner Erzählung „Der Newski-Prospekt“ porträtiert der russische Schriftsteller Nikolai Gogol den strebsamen Herrn Schiller, einen deutschen Handwerker in St. Petersburg. „Bereits mit zwanzig Jahren, in jenem glücklichen Alter, da der Russe einfach ins Blaue hinein lebt, teilte sich Schiller sein Leben ein und hielt unter allen Umständen an dieser Einteilung fest.“ Der deutsche Handwerker legte sich zahlreiche Pflichten auf, hielt sein Wort unter allen Umständen, war überaus sparsam und küsste seine Frau nur zweimal am Tag. So die Beobachtungen des russischen Schriftstellers in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.Seitdem Gogol seine Erzählung schrieb, hat sich an dem Deutschen-Bild in Russland nicht viel geändert.

Wer als Besitzer eines deutschen Passes in Russland zu spät kommt, muss sich auf Frotzeleien gefasst machen. „Ich denke, die Deutschen sind alle pünktlich?“, und ähnlich lauten die Vorwürfe. Unverständlich ist den Russen bis heute die deutsche Sparsamkeit, bei manchen auch als „Schadnost“ (Geiz) verschrien. Dass in einem deutschen Kühlschrank, etwa in Wohngemeinschaften, etwas steht, auf das nur eine Person Zugriffsrecht hat, ist für einen Russen fast so schlimm wie Folter. Lieber ein kurzes Leben mit Teilen und Genuss als ein langes mit Haushaltsbuch und elender Sparsamkeit.

Deutschland erscheint vielen Russen als Traumbild einer Welt, in der es ordentlich und sauber zugeht. Kein Kampf um das tägliche Überleben, Krankenkassen, die alles bezahlen, zuvorkommende Polizisten, eine freundliche Bedienung, gepflegte Städte, schnuckelige Einfamilien-Häuser und eine Autobahn so glatt wie ein Kinderpopo. Das ist Deutschland in den Augen der meisten Russen.Eine Geschäftspartnerschaft mit einem Deutschen ist für russische Unternehmer der Traum schlechthin. Wer sich nicht auf die Brüderschaft einlassen will, erntet nur Kopfschütteln. „Wir gehören doch zusammen, wir sind doch natürliche Partner. Wir haben die Rohstoffe, ihr die Technologie“, ist immer wieder in Gesprächen zu hören. Wer als Deutscher in Russland weder ein eigenes Auto noch ein Foto von seinem Haus vorzeigen kann, dem traut man nicht, der hält etwas verborgen. Denn alle Russen wissen ganz genau, dass alle Deutschen ein Haus und mindestens ein Auto haben. Man hat sie doch gesehen, die deutschen Rentner, die mit schicken Bussen durch St. Petersburg fahren. „Mehrmals im Jahr können die Urlaub machen, so hoch sind die Renten in Deutschland“, lautet ein gängiges Vorurteil. Von den Arbeitslosen braucht man gar nicht erst zu reden.

„Die können ja richtig froh sein, bei der Unterstützung, die sie bekommen.“ Nach einer in diesem Jahr von den Meinungsforschern in Allensbach und dem Moskauer Lewada-Zentrum parallel in Russland und Deutschland durchgeführten Umfrage ist Deutschland für die Russen der erträumte Bündnispartner Nr. 1. Ungeachtet Millionen russischer Kriegs-Toter im Zweiten Weltkrieg, ungeachtet der Militärparaden im Mai, auf denen jedes Jahr aufs Neue der Sieg über Hitler-Deutschland gefeiert wird, erklärten 51 Prozent der Russen, sie wünschten sich eine möglichst enge Zusammenarbeit mit Deutschland. Damit nimmt die Bundesrepublik in der Länderliste den Spitzenwert ein, noch vor Weißrussland (50 Prozent), China (47 Prozent) und Frankreich (45 Prozent).Nur zwei Prozent der befragten Russen empfinden von deutscher Seite Feindseligkeit gegenüber dem eigenen Land. Feindseligkeit empfinden 68 Prozent der befragten Russen dagegen heute von Seiten Georgiens, 65 Prozent von Seiten der USA und 50 Prozent von Seiten der Ukraine.

Von  Deutschland und Frankreich wird erwartet, dass sie die Nato-Erweiterung gen Osten stoppen.Natürlich ist die positive Einstellung gegenüber Deutschland vor allem Ergebnis einer recht freundlichen Berichterstattung über Deutschland. 56 Prozent der Russen erklärten, dass die Medienberichterstattung über Deutschland eher positiv ist. Die Sympathie der Russen für Deutschland und die Deutschen wird hingegen kaum erwidert: Während 45 Prozent der Russen sagen, dass sie die Deutschen mögen, sagen dies nur 25 Prozent der befragten Deutschen über die Russen.„Hitler kaputt!“

Immer noch recht häufig hört man im russischen Alltag dieses Wort-Paar, meist in einer Situation übermütiger Freude. Der Sieg über Hitlers Armee, das ist etwas, auf dass die Russen bis heute sehr stolz sind. Trotzdem möchte man die Deutschen gerne als Freunde, noch besser als Cousin oder älteren Bruder in die eigene Familie aufnehmen. Eine anti-deutsche Propaganda hat es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Immerhin gab es ja die DDR, den kleinen deutschen Bruder und Satelliten. In den Filmen über den Zweiten Weltkrieg, die bis heute unaufhörlich laufen, wird immer fein säuberlich unterschieden zwischen den „bösen Faschisten“ und dem „deutschen Volk“.

Von Verbrechen der deutschen Wehrmacht wollen die Russen partout nichts wissen. „Das waren Soldaten, die nur Befehle ausführten“, so die landläufige Meinung. Deutsche hätten soviel Ehr- und Pflichtgefühl, dass man sich vor ihnen eigentlich nicht zu fürchten braucht. Auch die deutschen Soldaten – so die feste Meinung – waren im Grunde anständige Kerle.


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