Journalisten als Geheimdienstler entlarvt
81 Mitarbeiter des Bulgarischen Nationalradios in leitender Position waren früher Mitarbeiter des kommunistischen Sicherheitsdienstes „Dargavna sigurnost (DS)“. Das gab die Kommission für Öffnung der kommunistischen Geheimdienstakten beim bulgarischen Parlament am Donnerstag bekannt. Zum ersten Mal nach der Wende gelang es damit der parlamentarischen Kommission, die Mitarbeit von Journalisten bei dem Geheimdienst zu entlarven.Vor drei Wochen hatte die Kommission bereits die Geheimdienstvergangenheit von 37 prominenten Journalisten und Medienmachern aus dem Bulgarischen Nationalfernsehen (BNT) publik gemacht. Unlängst wurden auch diejenigen bekannt, die die frühere bulgarische Presseagentur BTA und den Rat für elektronische Medien (SEM) geleitet haben. Nach dem bulgarischen Gesetz muss die Kommission alle Personen in leitender Funktion im öffentlichen Dienst überprüfen. Wie bei sämtlichen anderen Überprüfungen auch zeichnet sich in der Medienbranche die Tendenz ab, dass zehn Prozent des Personals Mitarbeiter der Staatssicherheit waren.
Zu den entlarvten Agenten zählen populäre Moderatoren von politischen Talk-Shows wie Ivo Indjev und Iwan Garelov, Kevork Kevorkjan und Regisseure wie etwa Hatscho Bojadjiev, die das Profil der Sendungen geprägt haben und für die Zuschauer zu TV- und Radio-Ikonen geworden sind. Laut Gesetz müssen die betroffenen Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz nicht zwingend verlassen. Doch der Mechanismus der Veröffentlichung scheint reinigend zu wirken. „Die Leitung des Bulgarischen Nationalfernsehens hat die grundsätzliche Position, dass ehemalige Spitzel weder auf dem Bildschirm noch in führenden Positionen geduldet werden,“sagte Uljana Pramova, Generaldirektorin des BNT, der Zeitung Dnevnik.
Zweifelsohne hat die Verbindung zu den früheren totalitären Strukturen bei den Medienmachern einen viel größeren Stellenwert als bei anderen leitenden Personen im öffentlichen Dienst. Denn gerade Journalisten haben die gesellschaftliche Funktion, Meinungsbildung zu ermöglichen und Pressefreiheit und Demokratie im weiteren Sinn zu stützen.
Dieses Mal sorgen die Veröffentlichungen der Untersuchung nicht bloß für einen Skandal in Bulgarien, der wie bei anderen, aber eher sporadischen Entlarvungen privat reflektiert wurde. Zum ersten Mal beginnt die Gesellschaft über das System nachzudenken, das einen bestimmten Journalismus produziert hat, ein System, dessen Stil auf die Medien der Nachwendejahre abgefärbt hat. Es handle sich um einen komplizierten langen Prozess mit großen Konsequenzen für die Zukunft, sagte Ekaterina Bontscheva, Mitglied der Kommission und ehemalige prominente Radiojournalistin.Wie die anderen ehemaligen Ost-Block-Länder sieht sich nun auch Bulgarien mit der Frage konfrontiert, wie man mit berühmten Schriftstellern und Publizisten umgehen soll, die bis gestern Sinnbilder für kritisches Denken waren und nun plötzlich als DS-Agenten entlarvt wurden. So hat etwa die Spitzeltätigkeit der Autorin Vera Mutaftschieva und des Journalisten Ivo Indjev das ganze Dilemma der Auseinandersetzung der bulgarischen Gesellschaft mit der eigenen Vergangenheit gezeigt.
„Die Frage ist sehr schwierig, weil hinter jeder Fall ein einzelnes Schicksal steckt, ein einzelner Lebensweg. Jedoch kommen all diese Feinheiten unter dem gemeinsamen Nenner des bewussten oder unbewussten, freiwilligen oder unfreiwilligen Dienens für ein repressiven Apparat zusammen“, sagte Bontscheva.