Griechenland

Der Krieg der Linken

Über 4000 Liter Tränengas soll die griechische Polizei innerhalb einer Woche gegen Demonstranten und Randalierer in der Hauptstadt Athen eingesetzt haben. Trotzdem gehen die Ausschreitungen weiter. Der Auslöser dafür war der Tod des 15-jährigen Alexandros Grigoropoulos am 6. Dezember. Er soll von einem Polizisten erschossen worden sein. Was danach folgte, waren Proteste gegen die Brutalität der Polizei, Demonstrationen für mehr Zukunftsperspektiven junger Leute – gepaart mit Ausschreitungen, wie sie Griechenland seit 25 Jahren nicht gesehen hat.

Diesen Protesten fehlt allerdings jede Form von politischer Motivierung und Organisation. Denn innerhalb der griechischen Linken herrscht Krieg. Die kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und die linke Partei Synaspismos (Koalition der Linken, der Bewegungen und der Ökologie)  bewerten die Ausschreitungen höchst unterschiedlich. Mit ihrer ambivalenten Haltung könnten sie die Chance verpassen, die linken Wähler gemeinsam zu mobilisieren.

Die Parteisekretärin der Kommunisten, Aleka Papariga, beschuldigte die Führung von Synaspismos und damit auch die linke Sammelliste Syriza (Koalition der Radikalen Linken), der Synaspismos  angehört, dass sie die Krawalle unterstütze. „Sie streicheln die Ohren der Kapuzenträger“, sagte Papariga und heizte damit die politische Arena an. Die Führung von Syriza hatte es zunächst vermieden, die Ausschreitungen vom ersten Moment an zu verurteilen. Im Gegensatz dazu zeigten die Kommunisten traditionelles Misstrauen gegen spontane Protestaktionen. Erst nach inner- und außerparteilichem Druck hat Syriza härtere Worte gegen die Gewalt gefunden. Analytiker schätzen, dass diese Haltung von Syriza mit dem Bestreben der linken Parteien zu tun hat, näher an die Jugendlichen heranzukommen.

Die Stimmung zwischen KKE und Synaspismos, die schon seit Jahren heillos zerstritten sind, ist aufgeheizt. Die Rivalität geht auf das Jahr 1989 zurück, als eine breite Koalition von progressiven Kräften gebildet wurde. Nachdem 1991 die Kommunistische Partei Griechenlands aus diesem Bündnis ausschied, entstand aus den verbliebenen Strukturen die Partei Synaspismos. Manche schätzen, dass der Grund für den „Krieg“ der griechischen Linken noch viel weiter zurückliegt, nämlich vier Jahrzehnte zurück, als im Jahre 1968 die Intervention des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei die Abspaltung des eurokommunistischen Flügels KKE tou Esoterikou (Kommunistische Partei des Inlands) auslöste.

Nachdem der 33-jährige Ingenieur Alexis Tsipras vorigen März in die Führung von Synaspismos gewählt wurde, hat die linke Partei ihr Profil gestärkt und ist besonders bei Jugendlichen auf Resonanz gestoßen. Tsipras' Vorgänger war der 58-jährige Alekos Alavanos, der den jungen Politiker für den Vorsitz der Partei nominierte. Heute führt er die Parlamentsfraktion von Syriza. Die zwei Politiker konnten dem linken Bündnis einen bedeutenden Schub geben. Sie haben es geschafft, die Liste in den Umfragen vor den Kommunisten zu platzieren.

Syriza erreichte in manchen Umfragen sogar zehn Prozent – fast doppelt so viel wie bei den Parlamentswahlen im September 2007 (5,04 Prozent). Die Liste hofft nun auf die kommenden Europawahlen. 2004 kam sie auf 4,16 Prozent und entsandte einen Abgeordneten ins Europäische Parlament. Die letzten Umfragen zeigen, dass die zwei großen Parteien an Kraft verloren haben und im Falle von vorzeitigen Wahlen keine der beiden eine Mehrheit bilden kann.

Die schweren Ausschreitungen, die Unzufriedenheit mit der konservativen Regierung und die andauernden Proteste könnten der Linken einen neuen Schub geben, schätzen Analytiker. „Die beiden großen Parteien verlieren an Kraft, und die Linke könnte davon profitieren“, betont der Analyst Konstantinos Angelopoulos. „Die Chancen, dass im Falle von vorzeitigen Wahlen sich die Linke zusammensetzt und mit den Sozialisten eine Mehrheitsregierung bildet, werden wegen der großen Rivalität immer unwahrscheinlicher.“ KKE- Parteiführerin Papariga hat vor kurzem eine Kooperation mit Syriza ausgeschlossen. „Die Beziehungen zwischen den beiden linken Parteien sind so schlecht, dass man schätzt, dass sie niemals kooperieren werden“, betont Angelopoulos.

Laut einer in der Tageszeitung Kathimerini veröffentlichten Umfrage stuft die Mehrzahl der Griechen die Proteste als „Volksaufstand“ ein. Sechs von zehn Griechen finden demnach, dass es sich bei den Protestlern um ein Massenphänomen und nicht um eine protestierende Minderheit handele. Die Vereinigung der griechischen Lehrer (OLME) hat bekannt gegeben, dass über 600 Schulen in ganz Griechenland besetzt sind. Oder der Unterricht wird durch die Abwesenheit der Schüler verhindert. Das griechische Bildungsministerium dagegen gibt an, dass nur rund 150 Schulen besetzt sind. Die Jugendlichen demonstrieren nicht nur gegen die Polizeigewalt, sondern verlangen den Rücktritt der Regierung und stellen Forderungen für ein besseres Bildungssystem.

Obwohl in den griechischen Medien öfter über den Einfluss der linken Parteien auf die Aktionen der Schüler geschrieben wird, haben diese offensichtlich die Mobilisierung nicht in der Hand. „Die Protestbewegungen liegen außerhalb der Kontrolle der linken Parteien. Das ist es wahrscheinlich, was sie stört. Es ist eine neue Erfahrung, die Griechenland macht: Es findet eine Selbstorganisation der Protestler statt“, betont Analyst Angelopoulos.

Die Schüler und Studenten haben angekündigt, dass sie die Protesten bis Weihnachten fortsetzen werden. Die Spannung liegt immer noch in der Luft der griechischen Großstädte wie das Tränengas der Polizei. Es wurde bereits mit der Reparatur von zerstörten Gebäuden angefangen. Und langsam  macht sich eine – noch verklemmte – Weihnachtsstimmung breit.


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