Lettland

Mit dem Guadagnini-Cello im Flugzeug

Als Mozart drei Jahre alt war und im Jahr 1759 anfing, Klavier zu spielen, wurde vom italienischen Musikinstrumentenbauer Guadagnini das Musikinstrument gebaut, mit dem die Cellistin Sol Gabetta heute durch die Welt reist. Das handgefertigte Guadagnini-Cello hat sich - trotz seines Alters - an Flugreisen gewöhnt, sagt die argentinische Cellistin und lacht. „Es reist inzwischen mit wie ein Baby.“ Als die Cellistin geboren wurde, war das Fliegen schon eine Selbstverständlichkeit. Und es war für Sol eine Notwendigkeit, denn sie lebte schon immer zwischen den Welten. 

Geboren in Argentinien in einem französisch-russischen Elternhaus wohnt sie heute in ihrer Wahlheimat Schweiz. Schon sehr früh fing sie an, Klavier und Cello zu spielen, damals lebte sie in Argentinien. Ihre Eltern förderten sie, so gut sie konnten. Bereits als Zehnjährige wurde sie regelmäßig aus ihrer argentinischen Heimatstadt Cordoba zum Musikunterricht in die 800 Kilometer entfernte Hauptstadt Buenos Aires gefahren.



Viele Musikanten verlassen das Land auf der Suche nach besseren
Arbeits- und Lebensbedingungen. Foto: Thorsten Pohlmann

Das war alles andere als leicht. Denn Argentinien gehört nicht zu den Ländern, in denen eine großzügige Kultur- und Talentförderung wie in den reicheren Industrie-Gesellschaften stattfindet. Die Ausgaben für Kulturförderung in diesen Gesellschaften betragen das Vielfache der eines Entwicklungs- oder Schwellenlandes. Neben der staatlichen Förderpolitik sind Stipendien aus dem Privat- und Wirtschaftssektor unerlässlich. Die Musiker sind auf sie angewiesen, um die enorm teuren Musikinstrumente und ihre Ausbildung finanzieren zu können.

Von solchen Programmen haben auch Musiker wie Gabetta und die Geschwister Skride aus Lettland, mit denen Sol häufig zusammenarbeitet, profitiert. Die Programme bedeuteten für sie Zukunfts- und Weiterentwicklungschancen, die sie sich in ihren Heimatländern nicht haben vorstellen können. Heute unterrichtet die argentinische Cellistin selbst, an der Musikakademie zu Basel, das sich zum Zentrum der barocken Musik entwickelt hat und Interessenten aus der ganzen Welt anzieht.

Die drei Schwestern Linda, Lauma und Baiba Skride sind gebürtige Lettinnen und leben wie Sol heute nicht mehr in ihrem Heimatland, sondern in Deutschland und den Niederlanden. Argentinien und Lettland gehören zu der Gruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer. Dabei profitiert Lettland, das seit 2004 Mitglied der Europäischen Union ist, vom Wegfall der EU-Binnengrenzen und von den erleichterten Reise- und Arbeitsbedstimmungen innerhalb der EU. Noch hat nicht jedes EU-Land seinen Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedsländern vollkommen geöffnet. Hochqualifizierte Arbeitskräfte, wie die Skrides und Gabetta haben jedoch kaum Probleme, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. 



Straßenmusikanten: Ein bisschen Ruhm und Geld, aber kein Gold. Foto: Thorsten Pohlmann

Was Gabetta und die Skride-Schwestern verbindet, sind nicht nur ihre Leidenschaft für klassische Musik und das hohe Niveau ihres Musizierens, sondern ihre zahlreichen Konzertauftritte. Mit einem Blick in den Terminkalender der Damen wird schnell sichtbar: Die Musikerinnen haben mit ihrer Kunst die Kontinente erobert. Sie bekommen inzwischen mehr Angebote für Konzertauftritte, als sie zeitlich unterbringen können. Dabei sind sie länger unterwegs zu den Veranstaltungsorten, als die eigentlichen Auftritte dauern.So ging es auch dem jungen Mozart. Doch statt im Flugzeug oder im Auto verbrachte er viel Zeit in primitiven Kutschen, auf holprigen Wegen, bei jedem Wetter – oft monatelang. 

Auf der Suche nach einem Publikum, nach besseren Lebens- und Arbeitsumständen und nach immer neuen Aufträgen reiste Wolfgang Amadeus Mozart mit seinen Eltern viel herum. Er war bereits als Kind ein Vorläufer des mobilen Arbeitnehmers von heute.Ebenso wie Mozart haben es Sol Gabetta und die Geschwister Skride durch grenzüberschreitendes Arbeiten heute geschafft: Sie gehören zu den gefeierten Cello-, Piano- und Geigenmusikern der Welt. Aber der Weg dorthin war lang und steinig: Er war geprägt von nicht ausreichenden und unregelmäßigen Aufträgen und Einkommen, von der Notwendigkeit, mit Nebentätigkeiten den Lebensunterhalt zu sichern, von einer unzureichenden Absicherung der Arbeitsfähigkeit. 

So passiert es, dass eine für Nichtmusiker eher harmlose Ellenbogengelenkentzündung oder eine Periode, in der nicht ausreichend Aufträge vorhanden sind, jeden Musiker rasch in existenzielle Nöte führt. Dazu kommt, dass unregelmäßige und komplizierte Einkommensverhältnisse, insbesondere der mobilen Künstler, diese oft aus den bestehenden sozialen Sicherungssystemen ausschließen, sodass der einzige soziale Rückhalt die eigene Familie ist. Auch 250 Jahre nach Mozart hat sich in dieser Hinsicht kaum etwas geändert.Heute führen Kulturförderung, bessere Arbeits- und Lebensbedingungen und spezifische Entwicklungsmöglichkeiten in den postindustriellen Länder zum Braindrain in den Herkunftsländern, oft Entwicklungs- und Schwellenländern.

Argentinien und Lettland  können den Verlust der talentierten jungen Menschen teilweise durch eigene und neu dazu gewonnene Kräfte aus Drittländern kompensieren. Trotzdem bedeutet Globalisierung für diese Länder, dass regionale Zentren und Netzwerke an Profil und Bedeutung verlieren. Das ist eine Situation, mit der sich Lettland zunehmend konfrontiert sieht. Die staatliche und wirtschaftliche Kultur- und Talentförderung in Lettland ist schwach ausgeprägt. Staatspräsident Zatlers hat deshalb die Förder- und Kulturpolitik des Landes nach dem diesjährigen Tanz- und Musikfestival zur Chefsache erklärt. 

Geld aus der Staatskasse gibt es für den Kulturbereich dennoch kaum. Viele Musiker wählen deshalb wie die Skrides den Weg ins Ausland. Gute Verkehrsanbindungen weit über die Landesgrenzen hinaus, erleichterte Reisebedingungen und moderne Kommunikationsmittel wie das Internet und die Mobilfunktechnologie haben die heutige Welt gefühlsmäßig gewaltig schrumpfen lassen. Die Mobilität von Künstlern und Musikern hat enorm zugenommen. Der Weg nach Hause oder in die Heimat dauert oft nur noch einen Tag. Damit ist es für viele Musiker und Künstler nur noch ein kleiner Schritt zu besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen.


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