Russland

Ein Exot in der Duma

Der Duma-Abgeordnete Oleg Schein unterstützt unabhängige Gewerkschaften, Gastarbeiter und Anwohner-Initiativen

(n-ost) - In Russland ist am Wochenende eine neue Oppositionsbewegung gegründet worden. „Solidarnost“ hat ihren Namen von der bekannten polnischen Gewerkschaft geborgt. Sie wolle, so das Gründungsmitglied Garri Kasparow, eine Alternative zur autoritären Führung in Moskau sein. Doch solche Alternativen, also Oppositionsgruppen, die sich um die Belange der Menschen kümmern, gibt es schon längst. Eine ganz besonders ungewöhnliche Alternative ist der Duma-Abgeordnete Oleg Schein.Der 36-jährige ehemalige Geschichtslehrer ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der im vergangenen Jahr auf Initiative des Kremls gegründeten Partei „Gerechtes Russland“. In der Duma ist der bekennende Marxist so etwas wie ein „weißer Rabe“, denn er grenzt sich sowohl von den orthodoxen Kommunisten als auch von Putins Partei „Einiges Russland“ ab. 1995 gründete er in seiner Heimatstadt Astrachan die unabhängige Gewerkschaft „Saschita“ (Schutz). 2005 unterstützte er in Moskau einen Streik von Bauarbeitern aus Zentralasien, die mit Erfolg wegen ausbleibender Löhne und fehlender Sozialversicherungen streikten.



Oleg Schein in seinem Abgeordnetenbüro. Foto: Ulrich Heyden


Dass sich ausgerechnet jetzt mit Solidarnost eine liberale Opposition gegründet hat, verwundert Schein nicht. Lange war es still um die soziale Frage in Russland. Doch jetzt, da die Auswirkungen der Finanzkrise in Russland bereits zu spüren sind, will sich auch die liberale Opposition verstärkt um soziale Probleme kümmern. Gründungsmitglied Boris Nemzow erklärte, man müsse stärker mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten, denn die Folgen der Finanzkrise würden die Bürger politisieren. Doch ob die Krise die Reihen der liberalen Opposition stärkt, ist zweifelhaft, denn die marktradikalen Wirtschaftsreformen der Liberalen in den 1990er Jahren bedeuteten für viele Russen sozialen Abstieg. Diesen Makel sind die russischen Liberalen bis heute nicht los geworden.Die derzeitigen Auswirkungen der Finanzkrise, Kurzarbeit und Entlassungen, sind jedoch erst der Anfang. Oleg Schein glaubt, dass in Russland erst der „Atem der Krise“ zu spüren sei. Die gesamte Gesellschaft werde erst im Frühjahr oder Sommer die Auswirkungen spüren. Dass die Regierung jetzt Finanzhilfen für den Produktions-Sektor angeordnet habe, sei richtig. Doch wegen der noch immer verbreiteten Korruption komme vieles von den Staatshilfen nicht bei den Betrieben an. Statt den Banken Geld zu geben, fordert Scheins Fraktion Steuersenkungen für den produzierenden Wirtschaftssektor. Den Ausfall von Steuereinnahmen könne die Regierung mit den Reserven stopfen, die in den letzten Jahren angelegt wurden.Allein auf die Macht des Staates will Oleg Schein allerdings nicht setzen. Er hat zahlreiche Bewegungen von unten unterstützt. Dass es in Russland, wie vom Westen oft behauptet, keine Zivilgesellschaft gebe, stimmt seiner Ansicht nach nicht. „Im Frühjahr konnte die unabhängige Lokführergewerkschaft mit einem Streik im Moskauer Umland Lohnerhöhungen von 30 Prozent durchsetzen“, erzählt Schein. „Letztes Jahr haben sich Anwohner-Initiativen auf einem landesweiten Kongress zusammengeschlossen, um durchzusetzen, dass Mehrfamilienhäuser von den Bewohnern selbstständig verwaltet werden können.“ Damit will man korrupte staatliche Wohnungs-Verwaltungen umgehen.Allerdings, so Schein, seien für solche Initiativen Reformen notwendig. So müsse dringend das Arbeitsrecht geändert werden. Laut Gesetz müssen derzeit einem Streik 67 Prozent der Belegschaft zustimmen. Dieses restriktive Streikrecht führte dazu, dass im vergangenen Jahr von 1.100 Streiks nur zwei legal waren. Schein: „Wir wollen jetzt durchsetzen, dass alle Gewerkschaften in einem Betrieb – unabhängig von seiner Größe – das Recht bekommen, über einen Tarifvertrag zu verhandeln und einen Streik auszurufen.“ Die Zahl der Streiks würden dann sinken, da der Raum für Verhandlungen erweitert werde, erwartet Schein. In den vergangenen Wochen gab es spontane Arbeitsniederlegungen von Bauarbeitern aus Zentralasien, die wegen ausbleibender Löhne streikten. Die Arbeiter hatten jedoch keine Gewerkschaft im Rücken.In den Chor der Moskauer Zeitungen, arbeitslose Gastarbeiter aus Zentralasien könnten zur sozialen Zeitbombe werden, will der Abgeordnete Oleg Schein nicht einstimmen. Man könne die Gastarbeiter nicht zu Sündenböcken der Krise machen. Seine Fraktion kritisiert die vom Gewerkschaftsdachverband FNPR geforderte Senkung der staatlichen Registrierungs-Quote für Gastarbeiter aus Zentralasien und dem Kaukasus. „Wir sind gegen die Senkung der Quote. Stattdessen fordern wir, Unternehmen zu schließen, die Gastarbeiter illegal beschäftigen und die Löhne der ausländischen Kollegen den Löhnen der russischen Arbeiter anzugleichen.“Oleg Schein ist mit seinen Forderungen und seiner Art Politik zu machen eine Ausnahmeerscheinung in Russland. Nicht zuletzt deshalb, weil es gefährlich ist, sich in Russland im sozialen Bereich zu engagieren und korrupte Baufirmen und Beamte zu kritisieren. „Es gibt einfach eine zunehmende Tendenz der Kriminalisierung in der Gesellschaft“, sagt Schein und versucht, Panikmache zu vermeiden. Denn zentral gesteuert werden Überfälle auf Kritiker des Systems seiner Meinung nach nicht. Sie haben ihre Ursachen in „der Korruption, der Monopolisierung der Macht durch das bürokratische System und dem Gefühl, dass Straftaten nicht verfolgt werden. Die Sicherheitsorgane und die örtlichen Verwaltungen haben sehr enge Beziehungen zur Geschäftswelt.“Zum Opfer solcher Überfälle wurde inzwischen auch schon die Ehefrau Scheins, die Französin Carine Clément. Am 14. November wurde ihr von zwei Männern eine unbekannte Flüssigkeit ins Bein gespritzt. Die Blut-Untersuchung ergab bisher nichts Negatives, aber man wisse erst in einigen Monaten, ob die Flüssigkeit gefährlich war oder nicht, so der Abgeordnete.
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