Regierung empört über EU-Entscheidung
Brüssel messe die EU-Mitglieder mit zweierlei Maß. Mit diesem Vorwurf reagierte die bulgarische Regierung prompt auf die in ihren Augen ungerechte Entscheidung der Europäischen Union, dem jungen Mitgliedsland rund 220 Millionen Euro aus dem Hilfsprogramm PHARE zu streichen. Die Opposition indes begann, über Misstrauensvotum und Neuwahlen zu beraten. Sie forderte den Rücktritt der verantwortlichen Ressortminister.
Wegen fehlender Ergebnisse im Kampf gegen die Korruption hatte die EU-Kommission bereits im Juli mehrere Hundert Millionen Euro eingefroren. Am Dienstag nun gab sie bekannt, dass 220 Millionen Euro zurück ins EU-Budget gehen. Die Gefahr, dass Bulgarien noch größere Summen verlieren könnte, ist groß. Diese Maßnahme ist in der EU-Geschichte beispiellos. Sie erschütterte die bereits von der häufigen Kritik aus Brüssel und innenpolitischen Skandalen stark angeschlagene Regierung aus Sozialisten und Liberalen heftig.
Beim Parteitag der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) vor fünf Tagen wurde zwar der Premier Sergej Stanischev mit 97% Zustimmung als Parteichef bestätigt. Doch nur ein Drittel der Bulgaren vertraut den eigenen Institutionen eher als den europäischen. Das zeigt, wie labil das Vertrauen der bulgarischen Bevölkerung in die eigene Regierung ist.In dieser desolaten Situation setzte die politische Elite auf die Strategie des Angriffs: „Bulgarien wird ungerecht behandelt“, sagte Premier Stanischev. Die Mängel in dem südosteuropäischen Staat, einschließlich die vorhandene Korruption, unterscheiden sich seiner Meinung nach nicht wesentlich von denen in den anderen neuen EU-Mitgliedsländern – „auch von manchen alten nicht“, sagte er. Dennoch würde gerade seinem Land die Korruption immer wieder vorgeworfen.
Bulgariens Präsident Georgi Parwanov (BSP) äußerte die Vermutung, dass Bulgarien den angeblichen Machtkämpfen europäischer Politiker vor den kommenden Europawahlen zum Opfer fiele. Er warf „bestimmten Kreisen“ in der Europäischen Kommission vor, die „intensive Arbeit“ Sofias gegen die Korruption nicht gewürdigt zu haben.
Diese Arbeit scheint erste Früchte zu tragen: Es werden immer mehr Fälle von Veruntreuung von EU-Geldern in Bulgarien aufgedeckt. Der Ex-Chef des Verkehrsstraßenfonds Vesselin Georgiev, der Aufträge in Höhe von 60 Millionen Euro an seinen Bruder vergeben haben soll, steht vor Gericht. Der frühere Chef der für die EU-Agrarhilfen zuständigen Behörde Assen Drumev wurde im Rahmen der Ermittlungen für 72 Stunden festgenommen. Ihm werden Amtsmissbrauch und Misswirtschaft vorgeworfen. Doch weder für die Europäische Kommission noch für die bulgarischen Bürger reichen die wenigen konkreten Ergebnisse im Kampf gegen die Korruption dafür aus, den guten Willen Sofias zu belegen.
So sieht es auch die Leiterin des Europa-Institutes in Sofia Juliana Nikolova. Sie ist sich sicher, dass die Kürzung der Gelder nicht passiert wäre, wenn die politische Führung im Land die Warnungen der EU in den vergangenen eineinhalb Jahren ernst genommen hätte. Der massive Imageverlust, den Bulgarien wegen seines schlechten Umganges mit EU-Mitteln erfahre, sei noch schlimmer als die verheerenden Inflationsjahre 1996 und 1997, sagt sie.