Russland

Skinheads wegen Mordserie vor Gericht

Ein 19-Jähriger rühmt sich des 37-fachen Mordes - der Anführer einer Skinhead-Bande steht nun vor Gericht

(n-ost) – Im Oktober 2006 hing das Leben von Aleksandr an einem seidenen Faden. Der Mann mit den asiatischen Gesichtszügen erinnert sich mit Schrecken, was da in einem Vorortzug auf der Strecke Parschino-Moskau passierte. „Sie kamen still von hinten und stachen mit Messern. Es waren 10 bis 15 Personen. Sie hätten mich umgebracht, hätte da nicht eine Frau, eine Russin, geschrien: 'Was macht ihr!' Sie hat mir das Leben gerettet“, erzählte Aleksandr der Zeitung „Wremja Nowostej“. Er konnte sich daraufhin selbst verteidigen, die Angreifer flohen.




Bandenführer Artur Ryno. Foto: Magazin "Ogoniok"



Aleksandr hat einen russischen Pass und gehört der koreanischen Minderheit in Russland an. Seine Angreifer waren Skinheads von der „Ryno-Bande“. Neun Mitglieder der Gruppe, die sich über das Internet zusammengefunden hatte, stehen jetzt vor dem Moskauer Stadtgericht. In den kommenden  Tagen wird die Urteilsverkündigung erwartet. Der 19jährige Bandenführer, Artur Ryno, wurde auf frischer Tat ertappt. Er erklärte gleich nach seiner Festnahme, er habe 37 Menschen umgebracht. Das war mehr, als die Staatsanwaltschaft ihm später nachweisen konnte. Außerdem erklärte Ryno: „Seit der Schule hasse ich Asiaten und Kaukasier, die nach Moskau kommen und die Russen verdrängen.“

Deshalb scharte Artur Ryno Studenten um sich und gründete die Bande. Gemeinsam gingen sie auf ihre Opfer los. Mit Metall-Stangen und Baseballschlägern wurden Gastarbeiter aus Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan und dem Kaukasus zusammengeschlagen, dann mit Messern traktiert. Von August 2006 bis April 2007 wütete die Ryno-Bande in Moskau. Doch die Polizei schlug erst zu, als es den ersten wohlhabenderen Bürger, den Armenier Karen Abrjaman, traf. Er war stellvertretender Direktor der Versicherungsgesellschaft „Garmed“. Im Körper des Armeniers zählten die Ärzte 56 Messerstiche. Die ermordeten Gastarbeiter aus Zentralasien hatten bei der Polizei offenbar noch keinen Alarm ausgelöst.




Der Überfall auf den armenischen Geschäftsmann Karen Abramjan wurde von einer Video-Kamera festgehalten. Foto: Magazin "Ogoniok"

Weil auch Minderjährige zu den Angeklagten gehören – vor Gericht stehen Jugendliche im Alter von 15 bis 22 Jahren – läuft der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Anklage lautet: Mord in 19 Fällen, Mordversuch in 13 Fällen und „Anstachelung zum Hass zwischen den Nationalitäten“ nach Artikel 282 des Strafgesetzbuches.Bei Hausdurchsuchungen fand die Polizei neonazistische Literatur und grausame Filme, von denen sich die Bandenmitglieder offenbar inspirieren ließen. Die Filme, so berichtete einer der Ermittler, könne man „nur auf leeren Magen sehen“. Einer der Filme zeigt, wie so genannte „reinrassige Slawen“ einen Afrikaner verspeisen, ein anderer zeigt die Enthauptung eines Tadschiken und eines Dagestaners in einem Wald. Wegen des Enthauptungsfilms, der im August 2007 auch im Internet zu sehen war, läuft ein Strafverfahren.Die Zahl der Überfälle auf Minderheiten ist in Russland in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. 800 Überfälle gegen Ausländer und linke Antifa-Aktivisten schätzt das Moskauer „Sova“-Zentrum für dieses Jahr. Das Zentrum dokumentiert Jahr für Jahr ausländerfeindliche und rechtsradikale Überfälle. Für das Jahr 2008 sind bereits 340 Verletzte und 82 Tote dokumentiert. Es gebe jedoch eine große Dunkelziffer, weil viele Opfer aus Angst vor Racheakten keine Anzeige erstatten und auch viele Polizisten Überfälle nicht melden, erklärt „Sova“-Expertin Galina Koschewnikowa.Das Problem des Rechtsradikalismus in Russland lässt sich nicht mehr verschweigen. Experten zählen 150 rechtsradikale Gruppen und 55.000 Skinheads im ganzen Land. Es gibt zahlreiche Internet-Auftritte von Skinhead- und extrem nationalistischen Organisationen, auf denen Video-Clips über Zeltlager und Kampftrainings gezeigt werden. Oft sind die Videos mit Musik deutscher Rockgruppen untermalt. Dass in den Songs jemand auf Deutsch röhrt, einst habe man „im Russenland“ für Ordnung gesorgt, stört die russischen Skinheads nicht. Nur wenige verstehen Deutsch.Auch die Ryno-Bande zeigte im Internet stolz eine Zusammenstellung ihrer Überfälle. Der Titel des Video-Clips: „Fröhliche Spaziergänge“. Als „Kamera-Frau“ fungierte das einzige Mädchen in der Gruppe, Swetlana Awwakumowa. Die Mutter der 22-Jährigen zeigte sich über die Verhaftung ihrer Tochter erstaunt. Gegenüber dem Massenblatt „Moskowski Komsomolez“ erklärte die Mutter, zu Hause sei nie ein schlechtes Wort über Nicht-Russen gefallen.Russische Skinheads, das sind heute nicht mehr nur arbeitslose Jugendliche, die in schwarzer Jacke durch heruntergekommene Trabanten-Viertel streichen. Viele Skinheads sind älter geworden und gehen heute normalen Berufen nach. Oft stammen die Skinheads aus Familien der russischen Intelligenz, so auch die Angeklagten im Moskauer Stadtgericht. Die Bandenführer Artur Ryno und Pawel Skatschewski waren Studenten. Ryno studierte an einer Moskauer Kunst-Schule im ersten Semester Ikonen-Malerei, Pawel Skatschewski war Sport-Student mit Schwerpunkt Skilaufen. Die Mittelschule hatte Pawel mit einer Gold-Medaille abgeschlossen.Die Anwälte der Angeklagten kämpfen vor Gericht für milde Urteile. Die Angeklagten seien zum Teil noch minderjährig, so das Hauptargument. Der ermordete armenische Geschäftsmann habe den Überfall mit einem bösen Blick provoziert, wird frech behauptet. Die beiden Hauptangeklagten seien durch kaukasische Gewalt in der Kindheit „traumatisiert“ worden.Als Artur Ryno noch in der russischen Provinzstadt Jekaterinenburg zur Schule ging, sei er von tschetschenischen Jugendlichen einmal krankenhausreif geschlagen worden, erklärte sein Anwalt gegenüber der Zeitung „Kommersant“. Auch Pawel Skatschewski stellt sich als von kaukasischer Gewalt traumatisiertes Opfer dar. Er lebte in der Nähe der Moskauer Gurjanowa-Straße – dort, wo im September 1999 angeblich tschetschenische Terroristen ein ganzes Wohnhaus in die Luft sprengten, wobei 100 Menschen starben. Ob es tatsächlich Tschetschenen waren, ist bis heute nicht bewiesen.Ryno war erst 2006 mit seiner Mutter aus der Provinzstadt Jekaterinenburg nach Moskau gezogen. An seiner Schule in Jekaterinenburg war er als „guter Junge“ bekannt. „Artur war ein seltsames Kind, aber er war nicht grausam“, „ein stiller Einzelgänger“, erinnert sich eine Schulleiterin gegenüber dem Magazin „Ogoniok“. Als Artur Ryno drei Jahre alt war, starb der Vater. Die Mutter Swetlana, eine Kunstlehrerin, die bei der russisch-orthodoxen Kirche und an öffentlichen Schulen unterrichtete, zog ihren Sohn alleine groß.Die Mutter sei der einzige Mensch, dem er voll vertraue, erklärte Ryno vor Gericht und forderte, sie solle seine Verteidigung übernehmen. Seinen Pflichtverteidiger lehnte der Banden-Führer ab. Die Expertin Galina Koschewnikowa vom „Sova“-Zentrum, sagt, die Familiensituation des Jungen sei typisch für den Teil der russischen Intelligenz, der während der Wirtschaftskrise in den 1990er Jahren verarmte und es seitdem nicht geschafft hat, sich materiell zu verbessern.
ENDE
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