Russland

Schlagringe gegen Oppositionelle

In Russland häufen sich die Überfälle auf Umweltschützer, Globalisierungs-Kritiker und Gewerkschafter

(n-ost) – Drei Überfälle auf bekannte Vertreter der russischen Bürgerrechts- und Sozial-Aktivisten-Szene – das ist für russische Verhältnisse viel. Russlands Bürgerrechtsaktivisten sind schockiert. Am Donnerstag wurde der französischen Soziologin und Links-Aktivistin Carine Clément in der Innenstadt von Moskau auf dem Weg zu einem Gespräch über die Folgen der Finanzkrise von zwei Unbekannten mit einer Spritze eine Flüssigkeit ins Bein gespritzt. Der Inhalt der Spritze wird zurzeit von der Polizei untersucht. Im Krankenhaus machte Clément einen Aids-Test. Gegenüber dieser Zeitung berichtete die Aktivistin, sie sei in den letzten zwei Wochen insgesamt drei Mal von Unbekannten überfallen worden. Über jeden Überfall sei auf den Websites von Neonazis ausführlich und mit Genugtuung berichtet worden.Der zweite Überfall wurde ebenfalls am Donnerstag bekannt. Der Journalist Michail Beketow wurde in dem Moskauer Vorort Chimki von einer Anwohnerin bewusstlos vor seinem Haus gefunden. Der Journalist hatte eine schwere Kopfverletzung und mehrere Brüche. Am Freitag lag Beketow noch im Koma. Die Ärzte kämpfen um sein Leben. Beketow hatte sich mit verschiedenen Artikeln bei den örtlichen Behörden unbeliebt gemacht. So schrieb er über die unsachgemäß durchgeführte Verlegung von Soldatengräbern und die geplante Abholzung von 60 Hektar Wald. Die Bäume sollen der neuen Autobahn Moskau-St. Petersburg weichen.Der dritte Fall, der die aktive Bürgerrechtler-Szene alarmierte, war ein Überfall auf Aleksej Etmanow, den Leiter der unabhängigen Gewerkschaft im Ford-Werk Wsewoloschsk bei St. Petersburg, am 8. November. Etmanow kam gerade von der Spätschicht, als er vor seinem Haus von zwei Unbekannten mit Schlagringen überfallen wurde. Als der Gewerkschafter einen Schuss aus seiner Luftdruckpistole abgab, flüchteten die Angreifer. Am nächsten Tag bekam der stellvertretende Leiter der Gewerkschaft im Ford-Werk, Wladimir Lesik, einen Anruf von einem Unbekannten, der erklärte, der Überfall vom Vortag sei nur eine „leichte Vorwarnung“ gewesen. Der Anrufer drohte: „Wenn sie uns weiter stören, verlieren sie ihr Leben.“In allen drei Fällen wurden Anzeigen erstattet. Doch die Erfahrung in ähnlichen Fällen zeigt, dass die Attentäter und die Hintermänner meist nicht ermittelt werden. Der Generalsekretär des Internationalen Metallarbeiterbundes (IMF), Marcello Malentacchi, sagte dazu, er sei besorgt über die Gleichgültigkeit der Behörden angesichts der Verletzung von fundamentalen Menschenrechten. Bereits im Juni und Juli waren Gewerkschaftsaktivisten von der Hyundai-Auto-Fabrik im südrussischen Taganrog von Unbekannten zusammengeschlagen worden.Galina Koschewnikowa, stellvertretende Vorsitzende der NGO „Sova“erklärte gegenüber dieser Zeitung, Überfälle auf Sozial-Aktivisten hätten in den letzten eineinhalb Jahren zugenommen. Ihre Organisation dokumentiert nationalistische und antisemitische Gewalttaten. „Das ist das billigste Mittel, die Aktivisten zu neutralisieren“, sagte Koschewnikowa. Die Auftraggeber – so die Expertin – müssten nicht unbedingt staatliche Institutionen sein. Möglicherweise fühle sich ein privater Unternehmer durch bestimmte Aktivitäten gestört, etwa wenn Bürger gegen einen Hochhausbau demonstrieren. Dann bekämen Gewalttäter – auch Neonazis – den Auftrag, die Aktivisten einzuschüchtern.Die Französin Carine Clément lebt seit zehn Jahren in Russland. Sie wird häufig als Expertin für soziale Fragen interviewt. Die Soziologin ist mit dem Russen Oleg Schein verheiratet. Er gehört zur Duma-Fraktion der vom Kreml initiierten linken Partei „Gerechtes Russland“. Clément ist Mitarbeiterin der Russischen Akademie der Wissenschaften. Die Soziologin betreibt eine Website, die über Bürgerinitiativen gegen Hochhausbauten in gewachsenen Wohnvierteln und Aktionen von Umweltschützern und Gewerkschaftern berichtet.
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