Blut ist Mangelware
Den bulgarischen Krankenhäusern gehen die Blutreserven aus. Kein Wunder, denn es herrscht Krieg: Krieg auf den Straßen, der dem Nationalen Statistischen Institut zufolge 2007 über 1000 Menschen das Leben kostete und 10.000 Schwerverletzte forderte. Mit der Ära der Neureichen, die vielfach aus einem undurchsichtigen oder gar kriminellen Milieu kommen, wurde ein rücksichtsloser Fahrstil zur Norm in der bulgarischen Gesellschaft. Geschwindigkeitsüberschreitungen und Vorfahrtsverletzungen sind die Praxis.
Nicht die Verkehrsregeln, sondern das biologische Vorrecht des Stärkeren gilt auf den bulgarischen Straßen. Parallel dazu sinkt das Niveau des Fahrschulangebots von Jahr zu Jahr, stellen Inspekteure von der Verkehrspolizei fest. Crashkurse bieten etwa jungen Leuten die Möglichkeit, nach nur 32 Unterrichtsstunden ans ersehnte Lenkrad zu kommen.
Gegen die Misstände auf den Straßen wird nicht viel getan, denn viele Beamte im Verwaltungsapparat sind an einer Verkehrsordnung und -sicherheit auf europäischem Level nicht interessiert. Schmiergeldtarife ab 50 Euro, Tricks für noch mehr Gesetzesübertritte und Führerscheine für 420 Euro: Die Polizei gilt laut Transparency International neben der Justiz nach wie vor als die korrupteste Institution des Landes.
Und während man in den Gremien im Innenministerium und im Parlament monatelang mit Überlegungen zu Reformen beschäftigt ist, kostet das Chaos auf den Straßen jeden Monat dutzende Menschen das Leben und Hunderte die Gesundheit. Nachgedacht wird darüber, ob man die Verkehrspolizisten nicht durch Videokameras ersetzen sollte, um dadurch die neutrale Überwachung zu sichern, ob die Zahl der Fahrschulstunden erhöht und die Strafen nicht verschärft werden sollten.
In den Krankenhäusern – da, wo man ums Leben kämpft – gibt es wegen des chaotischen Straßenverkehrs ein weiteres Problem: Blutmangel. „Bei den dringlichsten Fällen wird der Bedarf an Blut durch die eigenen minimalen Depots gedeckt“, erzählt Prof. Dr. Martinova, Leiterin der Blutbank in der Notdienststation Pirogov in Sofia. Bei der Einlieferung vieler Opfer einer Havarie oder großer Verkehrsunfälle jedoch fühlten sich die Krankenhäuser überfordert. Das gleiche gelte für Tumor- und Herz-Kreislauferkrankungen, bei denen große Blutmengen gebraucht werden.
Engpässe mit der Blutversorgung machten sich in Bulgarien bereits in den 90er-Jahren bemerkbar. Denn Krankenhäuser überschreiten ständig ihre Quoten, müssen dann Blut von den Transfusionszentren abkaufen, wofür jedoch die niedrigen Budgets nicht reichen. Zu einer richtigen Krise kam es erst in den vergangenen Jahren. Wegen der deutlich höheren Zahl der schweren Verkehrsunfälle ist der Bedarf gestiegen, während die Spenderzahlen sich kaum verändert haben. Mit 19 Spendern pro 1000 Einwohner ist Bulgarien im europäischen Vergleich ganz unten, alarmiert das Nationale Bluttranfusionszentrum in Sofia.
Unentgeltlich – das sei das Wort, durch das den meisten das Interesse an Blutspenden vergeht. Die seltenen und nicht gerade großen Werbeakampagnen haben offensichtlich keinen Erfolg in der heutigen bulgarischen Konsumgesellschaft. Auch die Angst vor Infektionskrankheiten wie AIDS schreckt ab. Zu sozialistischen Zeiten kam eine feste Spendermasse von der Einberufungsarmee. Auch der Normalbürger spendete gern, denn ein Lob der kommunistischen Partei zählte viel, man bekam damals zudem materielle Anreize wie etwa eine Tafel Schokolade und Bohnenkaffee. Die sind heutzutage nicht mehr verlockend, sind die Mitarbeiter der Stiftung für Blutspende und Transfusion überzeugt. Sie erwarten deshalb viel von einer PR-Agentur, die das Blutspenden nun attraktiv machen soll.
Inzwischen zwingt die Krise die Krankenhäuser, zu teuren alternativen Präparaten zu greifen und sich viel mehr auf die Anteilnahme der Verwandten der Patienten zu verlassen. Auf diese Weise versorge sich die Notdienststation Pirogov etwa bis zu 35 Prozent, erzählt Prof. Dr. Martinova. Allerdings ist das Blutspenden im bulgarischen Gesetz als freiwilliger Akt verankert. Blut darf nicht Gegenstand eines Geschäfts werden. Trotzdem werden Verwandte von Patienten aufgefordert, Blutkonserven zu besorgen. Das Personal der Krankenhäuser erweist sich dabei als recht behilflich: Sanitäter, Techniker und Bodyguards bieten Familien ihre Dienste als Dealer oder Spender an.
Auf einem Parkplatz steht ein Hinweisschild zur Bluttransfusion. Daneben warten Roma. / Diljana Lambreva, n-ost
Der richtige Markt befindet sich jedoch in den Hinterhöfen oder in den Nebenstraßen der Krankenhäuser in den Großstädten. Besonders viele Lieferanten des kostbaren Gewebes sind rund um das Nationale Bluttranfusionszentrum in Sofia in der Bratja-Miladinovi-Straße zu finden – Roma, die jederzeit bereit sind jede Menge Blut zu spenden. Denn sie bekommen für den Spendenzettel vom Bluttranfusionszentrum bis zu 200 Euro pro 450ml, wie Verwandte bedürftiger Patienten bestätigen.
Der schwarze Handel mit der raren Ware Blut boomt, die Engpässe in den Krankenhäusern werden paradoxerweise dadurch jedoch nicht beseitigt. Denn große Mengen von dem von Roma spendierten Blut würden direkt in die Spüle der Labors fließen, beklagen sich die Mitarbeiter der Krankenhäuser. Bei den gründlichen Untersuchungen werden nämlich oft Viren und Bakterien vorgefunden, die das Blut für Transfusionszwecke ungeeignet machen.
Ein Roma wird nach der Blutspende von seinen Angehörigen begleitet. / Diljana Lambreva / n-ost
„Es sollte niemand das Blut von Roma abkaufen! Es mag rassistisch klingen, aber es ist Tatsache, dass sie oft an Hepatitis leiden. Sie spenden zu lassen, bedeutet für uns viel Arbeit, Zeit und Material zu verschwenden“, appeliert Prof. Dr. Martinova. Sie wünscht sich eine Gesellschaft, in der Humanität und freiwillige Spendenbereitschaft statt Kommerz regieren.