MOSKAU WILL AM ÖLPREIS DREHEN
Sinkende Energiepreise bedrohen Russlands Staatshaushalt(n-ost) – Ein ungewohntes Bild in einer Filiale der staatlichen Sperbank, Russlands größtem Finanzinstitut, im Westen Moskaus: Wo sich am späten Vormittag normalerweise lange Schlangen vor den Schaltern bilden, ist es jetzt fast leer. Denn Russlands Banken haben die Bedingungen für die Kreditvergabe verschärft. Wegen akutem Geldmangel weigern sich Privatbanken bereits, Sparguthaben vorzeitig zurückzuzahlen. Andere fordern ihre Kunden mit Verweis auf zu erwartetenden Fall der Immobilienpreise sogar auf, Teile ihrer Wohnungskredite sofort zurückzuzahlen – was eigentlich nicht legal ist. Auch in Moskaus Supermärkten macht sich die Finanzkrise bemerkbar. „Die Lieferung von Waren läuft unregelmäßiger als früher“, meint eine Verkäuferin in der Supermarktkette Pjatorotschka.Die Bevölkerung ist verunsichert. Es gibt Gerüchte über Entlassungen und Kurzarbeit. Aus den Zeitungen erfährt man wenig. Journalisten wurden vom Kreml angewiesen, die Situation nicht zu dramatisieren. Für Unsicherheit sorgt vor allem der schwächer werdende Rubel. Seit Juli ist der Wechselkurs von 23 auf 27 Rubel pro US-Dollar gestiegen. Um einen Sturm auf die Wechselstuben zu verhindern, musste Ministerpräsident Wladimir Putin schon ein Machtwort sprechen. US-Dollar zu kaufen, sei „ein zweifelhaftes Geschäft“, erklärte der Premier, „es ist nicht klar, was mit dem US-Dollar passiert“. Um Panik in der Bevölkerung zu vermeiden, müsse die Regierung jetzt den Rubel gegenüber dem US-Dollar stützen, forderte der linke Wirtschaftsexperte Sergej Glasjew gegenüber dem Radiosender Echo Moskwy.Mit der Finanzkrise, die auch auf Russland voll durchgeschlagen hat, gehöre das Geschäftsmodell der letzten Jahre jetzt „der Vergangenheit an“, schreibt die Wirtschaftszeitung „Wedomosti“. Große Unternehmen nahmen unaufhörlich Kredite auf, gaben als Sicherheit gegenüber den Banken ihre Aktienpakete an, die im Wert unaufhörlich stiegen und nahmen mit dem neuen Geld wieder neue Kredite auf. So seien Geschäftsimperien „aufgeblasen“ worden, schreibt das Blatt. Nun kommt der Katzenjammer. Die Unternehmen müssen Kredite in Höhe von 160 Milliarden US-Dollar abbezahlen. Und einen Kredit zu bekommen, ist in Russland heute so schwer wie im Westen.Die Regierung hat den Unternehmen und Banken Finanzhilfe von 171 Millarden Euro in Aussicht gestellt. Diese Summe entspricht fast dem russischen Haushalt. Völlig uneigennützig ist die Hilfe indes nicht. Denn gleichzeitig versucht der Kreml das Feld von Oligarchen zu reinigen, die in den wilden Jahren unter Boris Jelzin groß geworden sind. Dabei kämen jetzt die „Freunde Putins“ in staatlichen und privaten Unternehmen zum Zug, schreibt Wedomosti. Fünf in Not geratene Banken – Globex, Svyas Bank, KIT Finance, Sobinbank und die Russian Capital Bank – wechselten bereits den Besitzer. Dass es einem Kreml-Kritiker, wie dem Milliardär Aleksandr Lebedew gelang, die Russian Capital Bank zu erwerben, ist eher die Ausnahme als die Regel.Der Kreml nutzt die Krise auch für eine Neuorientierung bei der Energiepolitik. Vizepremier Igor Setschin kündigte eine aktive Ölpreis-Politik an. Man erwäge die Möglichkeit, „einige Erdölquellen zu versiegeln und als Reserve zu nutzen, um noch effizienter auf dem Preismarkt zu arbeiten“, erklärte Setschin, der auch Chef der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft ist. Dies könnte „ein Schritt hin zur russischen OPEC-Mitgliedschaft sein“, erklärte Natalja Miltschakowa, Analystin des Investmentunternehmens FK Otkrytije.Die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) hatte Russland schon vor sieben Jahren die Mitgliedschaft angeboten. Damals war die russische Regierung nicht an der Begrenzung der Erdölförderung interessiert. Am Mittwoch traf sich Kreml-Chef Medwedjew in einer Moskauer Vorstadt-Residenz mit OPEC-Generalsekretär Abdallah Salem al-Badri. Einzelheiten des Gesprächs wurden nicht mitgeteilt. „Die Interaktion mit der OPEC ist eines der Schlüsselgebiete für unsere Energie-Unternehmen und für die Entwicklung unsere Energiepolitik“, erklärte Medwedjew vor dem Treffen.Russlands Haushalt hängt zum großen Teil von den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft ab. Doch seit Juli ist der Ölpreis von 147 US-Dollar auf unter 70 US-Dollar gefallen. Bei einem Ölpreis unter 70 US-Dollar gerate der russische Haushalt, der seit vier Jahren im Plus ist, zwangsläufig ins Minus, urteilen Experten. Noch hat Russland einen gewissen finanzpolitischen Spielraum. Mit Reserven von 515 Milliarden US-Dollar liegt das Land weltweit auf Platz Drei. Die Mittel reichen nach Meinung von Finanzminister Aleksej Kudrin für zwei Krisen-Jahre. Diese Prognose geht jedoch von einem ausgeglichen Haushalt aus.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0