VON JURISTEN UND GIFTMISCHERN
(n-ost) – Es ist ein Fall mit vielen Déjà-vus: Wie am Mittwoch bekannt wurde, hat sich die in Strasbourg lebende russische Anwältin Karina Moskalenko wegen Beschwerden in ärzliche Behandlung begeben – kurz nachdem ihr Mann beim Autoputzen eine quecksilberartige Substanz unter der Fußmatte des Wagens gefunden hatte. Die Juristin und ihre beiden Kinder werden derzeit im Krankenhaus behandelt.Die französische Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Erste Analysen der gefundenen Substanz und medizinische Testergebnisse werden für die kommenden Tage erwartet. Schon jetzt aber drängen sich Vergleiche mit dem Fall Aleksander Litvinenko auf: Der Ex-Agent und Vertraute des im Exil in London lebenden Oligarchen Boris Beresowski war im Jahr 2006 mit der radioaktiven Substanz Polonium 210 vergiftet worden.Von der Hand zu weisen sind die Parallelen zwischen den beiden Fällen nicht. Karina Moskalenko agiert im selben Fahrwasser, wie es Aleksander Litvinenko tat. Wie Litvinenko einst gehört auch sie zum Kreis um den steinreichen Kreml-Kritiker Boris Beresowski. Und sie spielt eine Rolle in einer ganzen Reihe sensibler Fälle: Moskalenko gehört zum Anwaltsteam des in Russland inhaftierten Magnaten Michail Chodorkowski, das von Beresowski finanziert wird. Sie gilt als eine der erfolgreichsten Juristinnen für Russland-bezogene Fälle vor dem europäischen Gerichtshof in Strasbourg und vertritt die Familie der in Moskau ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja.Der Prozess im Fall Politkowskaja gegen drei verdächtige Mittäter begann am Mittwoch ohne Moskalenko – und ohne den Hauptverdächtigen in dem Mordfall. Er ist flüchtig und soll sich russischen Angaben zufolge in Europa verstecken.Die Anwältin selbst zweifelt nicht an einer Verbindung zwischen dem eigenartigen Fund unter der Fußmatte ihres Wagens, ihren Symptomen und dem Fall Politkowskaja. „Menschen verstecken nicht einfach Quecksilber in deinem Auto, um deine Gesundheit zu fördern“, sagte sie in einem ersten Statement gegenüber dem russischen Radiosender Echo Moskwy. Nur eines wisse sie nicht: Ob es sich dabei um einen Einschüchterungsversuch handle oder um einen Mordanschlag; ob sie die Substanz nach dem Willen der Täter zum rechten Zeitpunkt gefunden habe oder ob die Substanz länger dort hätte liegen sollen, um noch mehr Schaden anzurichten. Die französischen Behörden jedenfalls hielten sich zunächst mit Aussagen zurück. Nur so viel ließen sie wissen: Sollte es sich tatsächlich um Quecksilber handeln, sei die gefundene Menge nicht lebensbedrohend.Für eine Anwältin aber sind schon die unmittelbaren Nebenwirkungen einer Quecksilber-Vergiftung mit geringer Dosis zumindest beruflich tödlich: Gedächnisverlust, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen und Störungen der Sinneswahrnehmung. Über längere Zeit kann die Substanz das Immunsystem schädigen und die Nierenfunktion beeinträchtigen.Robert Amsterdam, Chef des Anwaltteams Chodorkowskis und Kollege Moskalenkos, wollte zu den Geschehnissen in Strasbourg vorerst keinen Kommentar abgeben. Erst müsse man medizinische sowie chemische Analysen der Substanz abwarten. „Wir wissen nicht, was passiert ist“, so der Anwalt. Bemerkenswert sei aber schon, dass derartiges gerade zum Auftakt eines wichtigen Prozesses passiere.Über ihre Tätigkeit in Russland sagte Moskalenko einmal in Anspielung auf ihre Klienten und deren heikle Fälle, sie sei der „Champion unerfolgreicher Prozesse“. Jetzt ist sie offenbar selbst zum Opfer geworden.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0