Autorenkino im Aufwind
Weite Felder, naturbelassene Wälder und nur wenige Großstädte, deren junge Bewohner vor Schaffensdrang sprühen. So präsentieren sich die drei kleinen baltischen Staaten heute ihren Besuchern. Litauen, Estland und Lettland haben knapp 50 Jahre lang unter sowjetischer Vorherrschaft gelitten. Das macht aus ihnen Schicksalsverbündete.Wie das diesjährige „Baltic Film Festival Berlin“ mit seinen mehr als 20 Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilmen zeigt, manifestieren sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der nur selten beachteten baltischen Republiken besonders im künstlerischen Schaffen. So eint Esten, Letten und Litauer die Aufarbeitung ihrer gemeinsamen Geschichte, die besonders in der Festivalsektion „Baltic classics“ zum Ausdruck kommt. Dort werden Streifen aus den vergangenen Jahrzehnten gezeigt.
Der estnische Schauspieler Rain Tolk präsentiert am Freitag "Autumn Ball". / PromoBalticFilmFestival Berlin
Es werden verbotene Werke oder auch Perestroika-Filme wie die Dokumentation „Is it easy to be young?“ von 1986 zu sehen sein. Der lettische Dokumentarfilmer Juris Podnieks hat Jugendliche begleitet, die in den Tagen der Perestroika in der Punk-and-Wave-Subkultur ein neues Lebensgefühl entdecken. Im Überschwang demolieren sie einen Zug, drakonische Jugendstrafen folgen. Der Beitrag bewegt. Er zeigt, wie das Leben der heute Erwachsenen von den Auswüchsen eines Systems bestimmt wurde, dessen Tage bereits gezählt waren.
Erinnerungen an das Sowjet-Regime und die Angst vor wiedererwachenden russischen Hegemonie-Ansprüchen hat der fünftägige Krieg zwischen Russland und Georgien auch im Baltikum geweckt. Deshalb kommt Antra Cilinskas bereits 2007 kontrovers diskutierter Film „Us and them“ erneut auf die Leinwand. Die Dokumentation wirft einen Blick auf die Russen Lettlands, die sich nach der wiedererlangten Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik zunehmend wie eine bedrohte Minderheit fühlen. Im Anschluss an die Aufführung können interessierte Zuschauer mit der Regisseurin diskutieren.
Der 38-jährige estnische Animationskünstler Mait Laas präsentiert in Berlin sein aktuelles dokumentarisches Werk „The kings of the time“. Darin nähert er sich den Vätern des estnischen Zeichentricks Heino Pars und Elbert Turganov. Mait Laas, der seit seinem Debüt 1993 als Regisseur für das traditionsreiche Animationsstudio Nukufilm tätig ist, hat in den vergangenen Jahren mit seinen preisgekrönten, innovativen Mixed-Media-Montagen einen eigenen visuellen Stil gefunden. Doch auch seine Kollegen brachten dem gezeichneten Film aus Estland durch ihren originären und politisch pointierten Stil einen guten Ruf. Aus diesem Grund widmet das „Baltic Film Festival Berlin“ Estland und seinen Animationskünstlern den diesjährigen Schwerpunkt. Zu sehen ist auch „Life without Gabriela Ferri“ von Meister-Animateur Prit Pärn, der eine Geschichte über Liebe, verschlossene Türen und verlorene Laptops mit einem fast glücklichen Ausgang erzählt.
International erfolgreiche Spielfilme wie der jüngst in Venedig ausgezeichnete „Autumn Ball“ von Veiko Õunpuu kündigen das Erstarken des neuen Autorenkinos aus dem Baltikum an. Der estnische Beitrag, der sich den globalen Themen Einsamkeit und Entfremdung widmet, eröffnet die baltischen Filmtage in Anwesenheit des Hauptdarstellers Rain Tolk. Er mimt einen von fünf Bewohnern eines Wohnblocks, die zuerst ihre sehr eingeschränkten Sichtweisen ändern müssen, bevor sie Kontakte zu ihrer Außenwelt knüpfen können. Ein komisch-skurril-absurder Streifen, eine wahre Entdeckung aus dem wenig bekannten Baltikum.
Festivalprogramm unter: www.balticfilmfestivalberlin.net