Parlamentwahl: Lukaschenkos Marionetten tanzen weiter
Belarus schmiegt sich nicht nur geographisch an Russland, sondern ist bislang politisch und wirtschaftlich aufs Engste mit dem Nachbarstaat verwoben. Seitdem das ehemals sowjetische Bruderland aber seine Öl- und Gasbeihilfen zurückfährt, sucht Alexander Lukaschenko, im Ausland als letzter Diktator Europas bekannte Herrscher, nach wirtschaftlichen Alternativen. Mit einer freien und fairen Wahl hätte er ein Zeichen nach Europa senden können. Es wäre seine Chance gewesen zu zeigen, dass er die Auflagen der EU angeht, was zu einer Aufhebung der Sanktionen gegen Belarus hätte führen können.
Stimmabgabe in Witebsk / Anne Ackermann, n-ost
Mit der Freilassung aller politischen Gefangenen hatte Lukaschenko eine der insgesamt zwölf Bedingungen bereits erfüllt. Zur Wahl waren einige hundert ausländische Wahlbeobachter und fremde Journalisten zugelassen worden und es war vermutet worden, dass sich der Präsident den nächsten Punkt der vom Westen erstellen To-do-Liste vornimmt: Seine Wahlen sollten als fair und frei durchgehen. Doch es fanden nur kosmetische Verbesserungen statt. Die Hoffnungen der OSZE-Wahlbeobachtermission wurden im Verlauf des Wahlkampfes bereits zunehmend enttäuscht und versiegten gänzlich mit der intransparenten Auszählung der Stimmen. Wie schon bei den zwei Parlamentswahlen zuvor schaffte es kein einziger Oppositioneller in das Parlament, die Volkskammer bleibt allein mit Lukaschenkos Marionetten besetzt. Ein koordiniertes Puppenspiel, das mit demokratischen Regeln nicht übereinkommt, war auch der Wahlkampf.
Sowohl in Minsk als auch in den Regionen hatten die Oppositionellen keine Möglichkeit, sich und ihr Programm vorzustellen. Wahlplakate mit dem Profil der Kandidaten suchte man in der Hauptstadt wie auch in der Provinz vergeblich.In Kobryn, einer 50.000-Einwohner-Stadt in der Nähe von Brest, der westlichsten Großstadt des Landes, gab es bereits seit drei Monaten Aufregung um den Wahlkampf: Alexander Mech, Kandidat der Oppositionspartei BNF, verlor im Juni seine Arbeit bei der örtlichen Gasleitungsfirma, unmittelbar nach seiner Ankündigung, bei den Parlamentswahlen kandidieren zu wollen.
Mech wurde vom Direktor der staatlichen Firma zu einem Gespräch bestellt, bei dem auch ein KGB-Offizier anwesend war. Sie rieten Mech von einer Kandidatur ab, genauer: Sie verboten es ihm. Mech zeichnete das Gespräch heimlich auf, die Aufnahme wurde jedoch nicht als Beweismittel vor Gericht zugelassen. Nun hat der Oppositionskandidat einen Stab von Vertrauenspersonen ernannt, welche Verstöße gegen die Wahlordnung aufdecken sollen.Am Tag vor den Wahlen schlug ein Vertrauensmann von Mech Alarm: In einem Wahllokal soll das Siegel einer Urne über Nacht ausgetauscht worden sein.
Am Ort des tatsächlichen oder vermeintlichen Geschehens entwickelte sich ein hitziges Wortgefecht: Die Vertrauensleute Mechs wollen die Urne fotografieren, die Vorsitzende der Wahlkommission, eine untersetzte, rundliche Frau mit Dauerwelle, verweigerte ihnen dies lautstark und verdeckt die Urne mit ihrem Körper. Ihre Begründung: Vorher-Nachher-Fotos seien kein Beweismittel, da man am Computer mit Fotos alles Mögliche anstellen könne. Eigene Fotos hat die lokale Wahlkommission aber auch nicht gemacht.
Mitglieder der Wahlkommission in Brest versiegeln eine Wahlurne mit Plastilin / Marc Brüggemann, n-ost
Von einem sauberen Ablauf der Wahlen kann auch Leonid Gorovoi nicht sprechen. Er ist einer der lokalen Wahlbeobachter in Gorodok, einer Kleinstadt nahe Witebsk im Osten des Landes. Von seinem Platz im Wahllokal aus könne er nicht sehen, was sich am zehn Meter weit entfernten Tisch für die Identifizierung der Wähler und Ausgabe des Stimmzettels abspielt. Auch wie viele Menschen die durch einen roten Samtvorhang abgeschirmte Wahlkabine betreten, ist von seinem Platz aus nicht einsehbar. Seine Beschwerden hat er sorgfältig zusammengetragen und an die Wahlkommission geschickt. Eine Antwort hat diese ihm bislang nicht gegeben.50 Kilometer weiter in Witebsk will der Vorsitzende der Kreiswahlkommission von Irregularitäten beim Wahlablauf nichts wissen. „Wir haben keine Beanstandungen“, sagt Nikolai Redko. In Kreis Nummer 19, dem Eisenbahnbezirk, in dem etwa 61.000 Menschen zur Wahl aufgerufen sind, veranstaltet der Berufsschullehrer seit 20 Jahren die Wahlen. Jeder Wahlhelfer habe einen Spickzettel, ein kleines grünes Büchlein, in dem die Regeln zusammengefasst seien. Für Fragen stehe er jederzeit zur Verfügung.
Die Brüder Levinov in Witebsk / Anne Ackermann
Die Beschwerden des oppositionellen Kandidaten Andrej Levinovs haben den Schreibtisch des Kreiswahlleiters offenbar nicht erreicht. Dass die Gesetze nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, weiß dieser aus eigener Erfahrung. Am Tag vor dem Wahlsonntag stapelten sich in seiner Wohnung in einer grauen Witebsker Plattenbausiedlung noch seine Wahlplakate, von denen er vertrauensvoll herablächelt. Sie in der Stadt aufzuhängen, wurde ihm untersagt. Wo er es dennoch tat, waren sie binnen zwei Stunden wieder verschwunden. Levinov glaubt, dass seine Aussichten auf Erfolg ausgezeichnet wären, wenn die Wahl ehrlich verlaufen wäre. Nicht aber die Wähler bestimmten das Ergebnis, sondern diejenigen, welche die Stimmzettel auszählen, bemängelt der Jurist, der bis zu seiner Kandidatur als Jurist bei der Miliz arbeitete. Sein politisches Engagement hat auch ihn den Job gekostet. „Sie haben mich vor die Wahl gestellt.
Entweder ich lasse meine Kandidatur fallen oder ich verliere meinen Arbeitsplatz“. Levinov blieb bei seiner Kandidatur. Die fünfminütige Rede im Fernsehen, die jedem Kandidaten zusteht, sei teilweise tonlos ausgestrahlt worden. Eine Woche vor der Wahl sei er in seinem Treppenhaus tätlich angegriffen worden. All diese Hindernisse hätten aber ihn nicht abgeschreckt, sondern zusätzlich motiviert. Schließlich habe er in den Köpfen der Menschen vielleicht schon etwas bewegen können. Levinovs Bruder Pawel findet diesen Optimismus ehrenwert, kann ihn aber nicht nachvollziehen. Er selbst hatte kandidieren wollen, war während der Frist zur Registrierung aber ins Gefängnis gekommen, weil er angeblich Schimpfworte in der Öffentlichkeit gebraucht habe. Als er zehn Tage später wieder entlassen wurde, war die Frist zur Anmeldung verstrichen und der jüngere Bruder stand auf der Kandidatenliste. „Einen schlechten Tänzer stört immer etwas“, so bewertet Sergej Semaschko die Beschwerden seines Gegenkandidaten über unfaire Wahlkampfbedingungen. Sein Plakat hängt vor seinem Büro in einem Quartier der Witebsker Miliz. Seit sieben Jahren sitzt er für den Eisenbahnbezirk im Parlament. Obwohl die OSZE die vergangene Parlamentswahl als unfair betitelte, fühlt er sich als Volksvertreter legitimiert. Er ist stolz darauf, viele Wahlkampfveranstaltungen organisiert zu haben. Dass sein Gegenkandidat dazu keine Chance hatte, das hört er angeblich zum ersten Mal.
Amtierender Abgeordneter und Kandidat Sergej Semaschko in Witebsk / Anne Ackermann, n-ost
Semaschkos Werbezettel liegen auch am Wahlsonntag in einem Wahllokal des Bezirks aus. Die ausländischen Journalisten will man schnell wieder loswerden. „Nur Fragen stellen, nicht zugucken“, gibt eine Wahlhelferin zu verstehen. Ein Anruf entlarvt die ausgedachte Regel. Bald schon überragt der Stapel mit den Stimmzetteln für Semaschko die der Konkurrenten. Die Papierhaufen darf man sich gerne anschauen, den Zettel, auf dem die Zwischenergebnisse notiert werden, bleibt jedoch geheim. Von der erhofften Wende bleibt nach den Wahlen also nichts als eine vorgetäuschte Offenheit.