Russland

Sechs Euro für eine Putin-Stimme

Am kommenden Sonntag (4. Dezember) wird in Russland ein neues Parlament gewählt. Umfragen zufolge sinkt die Zustimmung für die Putin-Partei „Einiges Russland“. Gerade in der russischen Provinz wächst die Skepsis. Gleichzeitig häufen sich Meldungen über Manipulationen und Stimmenkäufe. Auch in Woronesch, 500 Kilometer südlich von Moskau, berichtet die Wahlbeobachtungsorganisation „Golos“ von illegalen Versuchen, das Wahlergebnis aufzupolieren.

Woronesch (n-ost) – Je näher die Duma-Wahl kommt, desto öfter wird geflüstert. Iwan Kondratenko, oberster Wahlbeobachter in der russischen Stadt Woronesch, senkt konzentriert den Kopf, um kein Wort zu versäumen. Der Mann neben ihm hat Verbindungen bis zum Gouverneur. Bei diesem seien gestern Gesandte aus Moskau mit einer Botschaft gewesen, raunt der Kontaktmann nun. In der Hauptstadt sei man besorgt, die Umfragewerte für die Putin-Partei „Einiges Russland“ in der Region Woronesch seien zu niedrig. Da müsse etwas passieren. „Die ukrainische Methode“, sagt der Informant. Iwan Kondratenko von der einheimischen Wahlbeobachtungsorganisation „Golos“ („Stimme“) nickt und lächelt. Es sind nur noch wenige Tage bis zur Wahl. Der Endspurt um die letzten Stimmen hat begonnen.

Am 4. Dezember wählen die Russen ein neues Parlament. Und alle Prognosen sprechen dafür, dass „Einiges Russland“ – die so genannte „Partei der Macht“ – nach acht Jahren die Zwei-Drittel-Mehrheit in der Staatsduma verliert. Damit verliert sie auch das Recht, allein über Gesetze zu entscheiden. Die Wahlbeteiligung wird weiter schrumpfen. Die versprochene Modernisierung kommt nicht, die Korruption greift wie eh und je um sich. Die Wähler sind unzufrieden mit den Politikern. Die Politik erreicht die Wähler nicht.

Wie gut aber, dass beide Seiten wissen, was sie voneinander zu erwarten haben: Laut einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums erwarten 70 Prozent der Russen Wahlmanipulationen. „Einiges Russland“ sorgt für passende Schlagzeilen. Die Tageszeitung Wedomosti berichtete unlängst von einer Direktive des Kreml, wonach „Einiges Russland“ um „jeden Preis“ mehr als 60 Prozent der Stimmen gewinnen müsse. Die Partei hat dementiert, doch häufen sich Berichte über Stimmenkäufe. Das ist vor allem in den Regionen Russlands der Fall, wo keine internationalen Wahlbeobachter eingesetzt sind.

Und in Woronesch, etwa 500 Kilometer südlich von Moskau? Da gibt es die „ukrainische Methode“: 500 Busse werde die Partei im Gebiet Woronesch einsetzen, berichtet „Golos“. Offiziell, um die Wähler ins Wahlbüro zu transportieren. Tatsächlich, so der Verdacht, werden in dem rollenden Gefährt Stimmenkäufe vorgenommen. Das ist schwerer zu überprüfen, als wenn in einem Büro manipuliert würde, wo die Gefahr größer ist, beobachtet zu werden. Die Methode stammt angeblich von der letzten Präsidentschaftswahl in der Ukraine.

An Bord der Busse in Woronesch sollen hauptsächlich Studenten sein. Die besitzen für gewöhnlich ein Dokument, das ihnen erlaubt in ganz Russland, auch weit weg von ihrem Geburtsort, eine Wahlkabine aufzusuchen. Junge Studierende erzählten Iwan Kondratenko, die Universitätsleitung habe sie aufgefordert, dieses Dokument abzugeben. Sie würden dann vor die Entscheidung gestellt: Nicht wählen können oder „Einiges Russland“ wählen. 250 Rubel, umgerechnet sechs Euro, sei den Studenten für ihre Stimme angeboten worden, sagt Iwan Kondratenko. Erzählt haben ihm davon viele – an die Öffentlichkeit gehen wollte damit niemand.

Wenn Alexandra Gluchowa vor ihren Studenten steht und fragt: Wer geht wählen?, dann hebt fast keiner die Hand. „Sie halten das für eine Art des Protestes“, sagt Gluchowa, Leiterin des Lehrstuhls für Soziologie und Politik an der Staatlichen Universität von Woronesch.
Seit fast 40 Jahren beobachtet Alexandra Gluchowa die Politik ihres Heimatlandes. In Russland werde der politische Wettbewerb unterdrückt, sagt die Professorin. „Putin hat Angst.“ Angst davor, dass er den Volkswillen nicht mehr bändigen kann, wenn dieser erst einmal von der Leine gelassen wurde. Deshalb ginge Kontrolle über Freiheit. Nur sieben Parteien wurden überhaupt zur Wahl zugelassen. Voraussichtlich werden vier die Sieben-Prozent-Hürde überwinden. Außer der kommunistischen Partei verdient kaum eine den Namen Opposition. Doch nicht wählen, sagt Alexandra Gluchowa, sei auch keine Lösung. „Wenn wir zu Hause bleiben, interpretiert das die Macht als stille Zustimmung.“

Fast genauso intensiv wie der mögliche Wahlausgang, wird in Russland die Form des Protestwählens diskutiert. Das Oppositionsbündnis „Solidarnost“ plädiert dafür, wählen zu gehen, dann aber mit einem großen Kreuz den Wahlzettel ungültig zu machen. Alexandra Gluchowa wirbt für das „rationelle Wählen“. Protestwähler sollten für das kleinere Übel stimmen – eine beliebige andere Partei, außer „Einiges Russland“.

Die häufigste Frage, die man dieser Tage in Cafés, Omnibussen und Supermärkten, auch in Woronesch, hört, lautet: „Der Sieger steht doch sowieso schon fest. Wozu soll ich noch wählen gehen?“ Eine Reaktion erübrigt sich meistens. Die Fragesteller sind schon fortgegangen. Sie erwarten keine Antwort.

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