STURM UND DRANG AUF WEISSRUSSISCH
(n-ost) - Im Wahlkampf griff er wieder durch. Mit aller Härte. Etwa Tausend Menschen protestierten Ende März in Minsk gegen das Regime des Alexander Lukaschenko. Die Polizei kam und löste die Demonstration auf. Mit Gewalt. Zahlreiche Oppositionelle landeten hinter Gittern. Es sind solche Meldungen, die das Bild von Weißrussland und seinem Machthaber in Westeuropa prägen. Wer die Stimme gegen Lukaschenko erhebt, verliert seinen Job, wird exmatrikuliert oder muss ins Gefängnis.Die Jugend trifft sich abends am Ufer der Swislatsch in Minsk. Foto: Nicholas BrautlechtDoch ein erheblicher Teil der Weißrussen vertraut dem Mann mit dem Schnurrbart. Die Lukaschenko-Zeit brachte ihnen bescheidenen Wohlstand. Auch bewahrte der seit 14 Jahren amtierende Präsident das Land vor dem post-sozialistischen Chaos, mit dem der große Bruder Russland lange Zeit zu kämpfen hatte. Für viele bedeutet die Ära Lukaschenko daher Stabilität. Da werden Unfreiheiten wie zu Sowjetzeiten einfach akzeptiert. Zudem wahrt Lukaschenko den Schein einer Demokratie und unterdrückt subtil und unterschwellig.Sogar seine Kritiker müssen eingestehen, dass Lukaschenko auch bei einer freien Abstimmung eine Wiederwahl zum Präsidenten sicher wäre. Die mangelnde Pressefreiheit sorgt dafür, dass ein Großteil der Bevölkerung mit einseitigen Informationen gefüttert wird. Am 28. September soll in dem Land vor den Toren der EU ein neues Parlament gewählt werden. An Veränderungen glaubt so gut wie niemand. Drei junge Weißrussen - eine Journalistenschülerin, ein Rockmusiker und ein Softwareprogrammierer - erzählen von ihrem Leben in Lukaschenkos Reich und ihrer Suche nach Glück:
Lena*, Journalistenschülerin (20 Jahre):Die Journalistenschülerin Lena (NameGeändert). Foto: Nicholas Brautlecht"Ich studiere Journalismus an der Staatlichen Universität in Minsk. Vor kurzem habe ich einen relativ kritischen Beitrag über eine beliebte weißrussische Urlaubsregion geschrieben, den Bezirk Wizebsk. Darin ging es um die schlechten Chancen für Unternehmer, dort ins Tourismusgeschäft einzusteigen. In der Gegend stehen nur staatliche Hotels. Ich war mir nicht sicher, ob meine Zeitung den Text drucken würde. Aber mein Chef winkte ihn durch, ohne Einwände.Kurz nach der Veröffentlichung kam ein Anruf von der Präsidialverwaltung: Meine Berichterstattung sei zu negativ, sagte der Beamte am Telefon. Er forderte mich auf, mich mit Kritik in Zukunft zurückzuhalten. Meine Interviewpartner bekamen auch solche Anrufe.Als ich nach einiger Zeit wieder nach Wizebsk fuhr, sah ich Leute an Straßenecken stehen und Postkarten verkaufen. Das gab es vorher nicht. Zudem hörte ich, dass die Zentralregierung grünes Licht für den Bau neuer Hotels gegeben hatte. Kneipen soll es in Zukunft geben und Unterhaltung für Touristen. Ich bin mir sicher, dass mein Artikel zu diesem Wandel beigetragen hat. Mir hat es Mut gemacht, das zu sehen.Fälle wie dieser zeigen: Das größte Problem hier ist die Regierung. Viele haben Angst, ihren Mund zu weit auf zu machen. Deswegen sind 2006 auch viele nicht zu den Protesten gegen Lukaschenko auf den Oktoberplatz gekommen. Einige meiner Freunde gingen trotzdem hin -- die Polizei nahm sie fest und sperrte sie ein. Als sie wieder frei kamen, flogen sie von der Uni. Sie haben Weißrussland den Rücken gekehrt und studieren jetzt in Prag und Moskau. Ich habe immer noch Kontakt zu ihnen.Natürlich ist es hier schwierig, kritische Texte zu veröffentlichen, besonders bei den Staatszeitungen. Dort herrscht Zensur. Ich habe einen Freund, der seine Position als Politikredakteur bei einem Regierungsblatt nach drei Jahren kündigte, weil er sich wie gefesselt fühlte. Ich glaube aber auch, dass man in unserem Land immer einen Weg finden kann, um einen Artikel zu veröffentlichen. Wenn es bei den Zeitungen nicht klappt, gibt es ja noch das Internet."*Name von der Redaktion geändert
Andrej, Sänger und Mitgründer der Metal-Folk-Band Litvin Troll (25 Jahre):"Litvin Troll"-Gründer Andrej. Foto: Nicholas Brautlecht"Weißrusslands Musikszene lässt sich in zwei Hälften teilen: Die Gehorsamen und die Ungehorsamen. Das gleiche gilt für das Radio: Früher gab es einen Sender, der hat nur Rock gespielt. Dann führte der Staat eine Quote ein. Jetzt müssen drei Viertel der Rundfunkmusik weißrussischer Herkunft sein. Wer sich nicht daran hält, wird verboten. Jetzt spielt der Sender fast den ganzen Tag Pop, weil hier gar nicht so viel Rock produziert wird.Für mich ist Rockmusik eine Form von Protest: Unsere Band Litvin Troll spielt Heavy Metal und mischt ihn mit mittelalterlicher Musik. Der Name steht für Patriotismus und Mythologie: 'Litvin' ist eine alte Bezeichnung für Weißrusse. Der 'Troll' ist das Fabelwesen, das die Brutalität unserer Musik verkörpert. Patriotismus bedeutet für uns, dass wir auf weißrussisch und nicht auf russisch singen.Wir spielen auch nicht nur Gitarre und Schlagzeug, sondern traditionelle Instrumente wie den weißrussischen Dudelsack. Unsere Texte haben etwas schauerlich-märchenhaftes. Auf Live-Konzerten über menschenfressende Hexen und Trolle zu singen, ist aber Tabu. Das entspricht nicht den hiesigen Moralvorstellungen. Manchmal haben Clubbetreiber wegen unseres Musikstils auch Bedenken, uns auftreten zu lassen, obwohl wir keine politischen Texte schreiben. Wir beteiligen uns auch nicht an regierungskritischen Demonstrationen. Litvin Troll arbeitet lieber an der kulturellen Front, ohne eins auf die Mütze zu bekommen."
Alexander, Softwareprogrammierer (Mitte Zwanzig):Der Programmierer Alexander. Foto: Nicholas Brautlecht"Ich arbeite als Programmierer für ein US-Unternehmen. Wir sorgen hier in Minsk dafür, dass dort im US-Bundesstaat Massachusetts mit der Software alles glatt läuft. Das nennt sich Offshoring. Die Amerikaner lagern den Arbeitsbereich aus und sparen so Geld. Wir profitieren von höheren Gehältern: Wenn du als Programmierer für ein normales Ingenieurbüro in Minsk arbeitest, erhältst du zwischen 200 und 300 Euro im Monat. Im Offshore-Bereich sind die Löhne mindestens doppelt so hoch. Viel ist das trotzdem nicht. Die Mieten in Minsk sind teilweise so hoch wie in Berlin.Daher muss ich schauen, dass ich so schnell wie möglich einen neuen Job finde. Im Moment ist das schwierig. Weißrussische Studenten müssen nach der Uni erstmal zwei Jahre für staatliche Betriebe arbeiten. Du wirst einfach zugeteilt. Dafür ist die Uni kostenlos. Wenn du dich weigerst, den Job anzunehmen, kommen nachträglich hohe Studiengebühren auf dich zu. Meine zwei Jahre sind noch nicht ganz abgelaufen. Aber danach bin ich frei, mich woanders zu bewerben.In meiner Freizeit spiele ich Schlagzeug in einer Noise-Rock-Band. Um wirklich gute alternative Musik zu hören, fahren mein Kumpel Viktor und ich nach Russland. In St. Petersburg findet jährlich das "Skif" statt. Zu Konzerten nach Polen und Litauen fahren wir selten. Dazu sind die Visa der EU einfach zu teuer und zu schwierig zu bekommen. Vor einiger Zeit hat das Goethe Institut in Minsk ein Festival für zeitgenössische Musik veranstaltet. Das war super. Solche Initiativen sind äußerst wichtig.Gerade habe ich gehört, dass der Präsident entschieden hat, dass bei jedem Musikkonzert erstmal eine Genehmigung eingeholt werden muss. Unfrei oder etwa eingeschüchtert fühle ich mich deswegen aber nicht. Es gibt eine ganz einfache Regel: Leg Dich nicht mit dem Staat an, dann legt sich der Staat auch nicht mit dir an."ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0