Russland

EM 2012 - DIE UNSICHEREN KANDIDATEN

(n-ost) - Ostap Protsyk steht auf einer Wiese am Stadtrand von Lemberg (Lwiw) und redet zuversichtlich von der Finanzierung des künftigen EM-Stadions. "Wo wir hier stehen, werden in vier Jahren Mannschaften aus ganz Europa spielen", sagt der Büroleiter des Lemberger Bürgermeisters. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau nährt dort, in der westlichen Ukraine, die Hoffnung auf dringend benötigtes Kapital für den Stadion-Bau - rund 100 Millionen Euro. Das Stadion soll von dem österreichischen Baukonzern gebaut werden, der auch in Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt für EM-taugliche Stadien gesorgt hat.Über Protsyks Kopf durchzieht ein Jet der ungarischen Billigflieger-Airline "Wizzair" den blauen Himmel. Bald sollen solche Flugzeuge das riesige Verkehrsproblem der Ukraine lösen. Davon träumt zumindest Oleksandr Sahrewa. Der Flughafendirektor steht auf dem sowjetischen Beton des Rollfeldes und redet über die Pläne für eine verlängerte Landebahn und ein zusätzliches Terminal. "Auf ihrer Reise haben die UEFA-Inspekteure auch unseren Flughafen besucht. Unser Programm zum Flughafenausbau genügte ihren Ansprüchen", erzählt Sahrewa. 200 Millionen Euro würde das kosten. Woher die kommen sollen, steht noch nicht fest. Es sind vor allem die Pläne und Ideen, die das Unternehmen EM 2012 in der Ukraine ausmachen.Weil Michel Platini, Präsident des europäischen Fußballverbandes, schon seit einiger Zeit an den Vorbereitungen in den beiden Austragungsländern zweifelt, flog er gleich im Anschluss an die erfolgreiche EM in Österreich und der Schweiz Anfang Juli nach Warschau. Und weiter nach Kiew, um sich einen Überblick über den Stand der Vorbereitungen zu verschaffen. Am Donnerstag und Freitag nun tagt das Exekutivkomitee der UEFA in Bordeaux, um unter anderem über das Problem der EM 2012 zu beraten. Neben den Stadien und dem Verkehr, sorgt sich der Verband um die Themen Korruption und Sicherheit. Beide Länder haben ein massives Hooliganproblem.Nach einem Lokalderby zwischen Polonia und Legia in Warschau vor drei Wochen verhaftete die Polizei 741 mutmaßliche Randalierer, die sich in der Altstadt eine wüste Straßenschlacht geliefert hatten. Fast alle sind wieder auf freiem Fuß -- ohne dass sie eine Bestrafung fürchten müssen. "Uns fehlen die Gesetze", heißt es im Justizministerium. Eine Hooligandatei nach westeuropäischem Vorbild, in der auffällige Fußballrowdys zentral erfasst werden, gibt es nicht. "Wir haben nur die Daten bereits verurteilter Gewalttäter."Im Hausflur des polnischen Fußballverbandes (PZPN) in der Ulica Miodowa blättert der Putz von den Wänden. Statt Farbe wünscht sich Präsident Michal Listkiewicz jedoch mehr Zeit. "Wenn die EM erst 2016 stattfinden würde, hätten wir überhaupt kein Problem", sagt er. Listkiewicz hatte -- wie sein ukrainischer Kollege Grigorij Surkis - Michel Platini bei dessen Wahl zum UEFA-Präsidenten im Januar des vergangenen Jahres unterstützt. Drei Monate später fiel die Entscheidung zu Gunsten Polens und der Ukraine für 2012.Bei der Bekanntgabe des Zuschlags im walisischen Cardiff tanzte Listkiewicz durch den Bankettsaal, umarmt von dem damaligen polnischen Sportminister Tomasz Lipiec. Der wurde kurz darauf wegen einer Korruptionsaffäre verhaftet. Er soll bei der Auftragsvergabe zum Bau von Sportstätten bestochen worden sein. Hinzu kommt der riesige Korruptionsskandal in den polnischen Ligen, in den mehrere Trainer, Schiedsrichter und Funktionäre verwickelt sind. Es geht um Dutzende verkaufte Spiele.Listkiewicz sucht die Schuldigen für die Probleme mit der EM 2012 aber lieber woanders. "In Danzig etwa gibt es beim Stadionbau Schwierigkeiten mit den Kleingärten", sagt er. Dort klagen im Stadtteil Letnica die Hobbygärtner auf Entschädigung. Witold Baginski ist einer von ihnen. Ihm kommen fast die Tränen, wenn er von den Wochenenden auf seiner Datscha erzählt, "schön mit Musik und Tänzchen" sei es hergegangen. Aber seit die Bagger kamen, und alles abgerissen haben, hat sich sein Leben geändert.Die EM 2012 ist dem Hobbygärtner egal, die "Baltic Arena", die auf dem Boden seines Kleingartens entstehen soll, sowieso. Er will nur noch sein Geld. Aber das fehlt auch dem Bürgermeister Pawel Adamowicz. Denn private Investoren gibt es für das Danziger Stadion bislang nicht. "Bis zum eigentlichen Stadionbau müssen wir noch Anleihen herausgeben, oder wir nehmen einen Kredit auf." Rund 230 Millionen Euro soll das gesamte Projekt "Baltic Arena" kosten."Das größte Problem aber ist der Verkehr", fährt Verbandspräsident Listkiewicz mit seinen Anschuldigungen fort. "Von Danzig nach Donezk sind es schließlich über 1500 Kilometer! Das ist nicht wie in Österreich und der Schweiz, wo alles beieinander liegt." Seit Platinis Kontrollfahrt ist Listkiewicz längst dazu übergegangen, sämtliche Probleme zuzugeben, statt sie zu dementieren. "Realistisch betrachtet werden wir bis 2012 keine guten Straßen haben", sagt er heute. Erst vor wenigen Tagen hat das Verkehrsministerium zugegeben, dass es bis zur EM wohl nichts werde mit dem Ausbau der A4 in Richtung Ukraine.Dort ist indes von Autobahnen erst gar nicht die Rede. Das Netz der Überlandstraßen ist marode. Die Fahrt von Lemberg in die 500 Kilometer entfernte Hauptstadt Kiew dauert einen ganzen Tag. Wegen der anhaltenden Regierungskrise ist die Verwaltung in der Ukraine seit Monaten gelähmt. Der ukrainische Intellektuelle Andrij Pavlyshyn, sonst für seine differenzierten Analysen bekannt, kennt nur eine Lösung: Ohne die volle Unterstützung der Oligarchen geht es nicht. Vom Staat sei schließlich keine Handlungsfähigkeit zu erwarten."Für die Oligarchen mit ihren Beziehungen ist hier vieles einfacher", sagt Pavlyshyn. "Und weil sich die Fußballfunktionäre zu Beginn weit aus dem Fenster gelehnt haben, ist das Gelingen der EM für die Funktionäre inzwischen keine politische Frage mehr, sondern eine Frage der Ehre." Die ukrainischen Oligarchen sind ohnehin eng mit dem Fußball verbandelt: Der ukrainische Verbandspräsident Grigorij Surkis gehört zu den Schwerreichen im Land. Der Oligarch Rinat Achmetow, dem wohl reichsten von allen, gehört der Champions League-Club Schachtjor Donezk, in dessen neuem Stadion ein EM-Halbfinale stattfinden soll.Dagegen hat sich in Lemberg der örtliche Potentat Piotr Deminski in den Schmollwinkel zurückgezogen. Der Oligarch Deminski ist Eigentümer des Erstligisten "Karpaty Lemberg" und wollte sich eigentlich für das EM-Stadion engagieren. Dafür hätte er gern ein paar attraktive städtische Grundstücke gehabt. Doch die Stadt verhandelt lieber mit einer Bank. Oleksandr Yefremov, Deminskis Fußballgeschäftsführer: "Die Stadt wollte die Bedingungen des Clubs nicht akzeptieren. Aber vielleicht ändert sie in den nächsten Monaten ihre Haltung."Angesichts dieser Verhältnisse kommen Michal Listkiewicz, dem polnischen Verbandspräsidenten, grundsätzliche Zweifel an dem EM-Partner. "Wir und die Ukraine sind eine Familie", sagt er über die Wahl des EM-Partners. "Aber wenn es jetzt nicht gut läuft, und die UEFA einen anderen Vorschlag hat, dann wäre es auch in Ordnung, wenn die UEFA eine andere Entscheidung trifft".ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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