Die Ungehorsamen: Musiker zwischen Protest und Verbot
Kasja Kamockaja ist spät dran. Sie hat verschlafen. Das passt zu ihrem Metier. Kamockaja ist Rockmusikerin. Rockmusiker trinken viel und schlafen lang. Doch hier enden die Klischees. Die Sängerin betritt das Büro einer belarussischen Hilfsorganisation und hängt ihren nassen Mantel an den Haken. Von schwarzer Rockerkluft keine Spur. Mit der weißen Strickweste und dem hochgesteckten Haar sieht Kamockaja eher aus wie eine Kindergärtnerin. Dort im Büro der Hilfsorganisation kann sie ungestört erzählen. Über Belarus und die Musik. Und über den Diktator.
Rocksängerin Kasja Kamockaja / Nicholas Brautlecht, n-ost
"Auch wenn du keine Politik machst, kommt die Politik zu dir." So beschreibt Kamockaja die Lage der Alternativkultur in Belarus. Die 45-jährige zählt seit zwei Jahrzehnten zu den wichtigsten Figuren der weißrussischen Musikszene und sie spielt Rock. Das allein gilt in diesem Land als Protest.
Aber Kamockaja geht noch weiter. Sie singt auf belarussisch, der von Präsident Lukaschenko so unterdrückten Sprache. Mit ihrem Lied "Maja Kraina" (Mein Land) hat sie eine der Hymnen der regimekritischen Jugend geschrieben.Auch wenn Weißrussisch neben dem Russischen offiziell Amtssprache ist, wird es an den Schulen so gut wie gar nicht gelehrt oder gesprochen. Doch gerade die Jugend begeistert sich zunehmend für die Muttersprache. Sie ist ein Zeichen der Ablehnung gegenüber Russland, der alten Sowjetmacht, und sie klinge poetischer und klangvoller als Russisch, finden sie.
Präsident Lukaschenko bevorzugt aber die Sprache des großen Bruders Russland.Als Lukaschenko durch eine Reform der Staatssymbole Mitte der Neunziger Jahre auch noch die rotgrüne Sowjetflagge aus dem Ruhestand holte und die traditionelle belarussische Fahne in Rotweiß verbot, platzte der Musikerin der Kragen. Kamockaja komponierte ein Lied mit den Worten "Präsident, geh heim!" Mit Folgen. "Aus irgendeinem Grund war Lukaschenko schwer beleidigt", sagt sie und lacht verschmitzt. Erst sei das Lied verboten worden, dann auch die meisten Auftritte der Band.
In den darauf folgenden Jahren tourte die Sängerin verstärkt durchs Ausland. Durch Polen und die Ukraine, Länder, die Kamockaja "solidarisch" nennt, solidarisch gegenüber Andersdenkenden. In der Heimat gab sie nur noch kleine Konzerte.Auch Andrej Apanowitsch spielt seine Musik im Ausland. Sein Sound ist zu ungewöhnlich, um in das von Lukaschenko vorgegebene Format zu passen. Der junge Musiker und seine Band Litvin Troll greifen nicht nur in die Gitarrenseiten, sie blasen auch in Dudelsäcke. Heraus kommt mit folkloristischen Klängen gewürztes Heavy Metal. In seinen Texten erzählt Andrej Märchen, brutale Märchen. Alles auf Weißrussisch versteht sich. "Manchmal haben Clubbetreiber wegen unseres Stils Bedenken, uns auftreten zu lassen. Dabei sind unsere Texte nicht politisch. Auch beteiligen wir uns nicht an regierungskritischen Protesten. Litvin Troll arbeitet lieber an der kulturellen Front, ohne einen auf die Mütze zu bekommen."
Anders als Kasja Kamockaja steht der 25-jährige Andrej noch am Anfang seiner Karriere. Er hat in Polen auf ein paar Festivals gespielt und nimmt gerade sein erstes Album auf. Doch beide Sänger machen gleichsam das Dilemma deutlich, in dem sich belarussische Musiker befinden. Auf der einen Seite stehen das Streben nach künstlerischer Authentizität und der Wunsch nach politischen Veränderungen. Andererseits wollen Musiker gehört werden: Sie wollen raus aus den kleinen Clubs und vor größerem Publikum auftreten. Die Radiosender sollen ihre Lieder spielen. Das macht Selbstzensur zu einem der größten Probleme. In dieser Hinsicht spiegelt die Musikszene auch die belarussische Gesellschaft wider: Über Lukaschenko herzuziehen, trauen sich nur wenige. Die meisten fürchten den Verlust ihres Job oder Studienplatzes. Für etwas wirtschaftliche Stabilität werden Unfreiheiten einfach in Kauf genommen -- wie zu Sowjetzeiten.
"DieMusikszene lässt sich in zwei Hälften teilen: Die Gehorsamen und die Ungehorsamen. Um Geld zu verdienen, musst Du einfach ins Format passen", sagt Andrej, der nebenbei in einem Verlag jobbt. Diese Unterteilung setzt sich in den staatlichen Massenmedien fort. Radiosendern werden von den Behörden "Vorschläge" unterbreitet, welche Bands gerade "angesagt" sind. Dass dazu eher der weißrussische Popsänger und Teilnehmer des Eurovision Song Contests Koldun zählt als die Namen Kamockaja oder Litvin Troll ist klar. Doch die Jugend lässt sich ihren Musikgeschmack nicht vorschreiben.
Dazu bietet das Internet genügend Alternativen, von Heavy Metal bis zur Elektronischen Musik. Auch fahren im Sommer viele auf Festivals nach Sankt Petersburg oder Moskau. Für Konzertbesuche in Polen und Litauen sind die Visa der EU zu teuer.Der Konzertsaal Minsk liegt im Südosten des Zentrums an der Lenin-Straße. Auf der Bühne stehen alle Zeichen auf Spaß. Das Schlagzeug ist in einer Art Strandhütte aus Bambus aufgestellt. Plastikbananen hängen von einer Wäscheleine. Eine Cocktailbar steht am Bühnenrand. Dann betritt das Sextett um Frontmann Ljawon Wolski die Bühne und gibt Gas. Gekonnt verbinden sie Ska-, Folk- und Rockmusik. Lebensfreude ist die Devise. Das spiegelt sich auch im Namen Krambambulja wider, der übersetzt so viel wie Kräuterschnaps heißt. Das regt an. Nach einigen Liedern lösen sich eine handvoll Zuschauer aus ihren Sitzen und tanzen zwischen den Reihen, zu zweit und alleine.
NRM-Sänger Ljawon Wolski (mit Hut) bei Konzert in Minsk / Nicolas Brautlecht, n-ost
Trotz ihres Auftritts vor hunderten von Fans gilt Krambambulja nicht als linientreu. Dazu ist ihr Sänger zu umstritten. Ljawon Wolski stand lange Zeit auf der Schwarzen Liste der staatlichen Behörden. Er war 2004 mit seiner anderen Band N.R.M. auf einem Festival aufgetreten, mit dem die Opposition gegen die zehnjährige Präsidentschaft Lukaschenkos protestierte. Zudem lieferte "Die unabhängige Republik der Träume" -- so lautet übersetzt der ausgeschriebene Name der Gruppe -- durch ein Konzert in Kiew 2005 einen Teil des Soundtracks der "Orangenen Revolution" im Nachbarland Ukraine. Die Behörden reagierten mit Schikanen und verhängten Auftrittsverbote.Doch vor gut einem halben Jahr geschah etwas, was kaum jemand für möglich gehalten hatte. Wolski und andere "ungehorsame" Musiker trafen mit Lukaschenkos Berater Oleg Proleskowski zusammen. Der Chef-Ideologe unterbreitete ihnen ein unmoralisches Angebot: Ihr könnt große Konzerte geben, daran soll euch in Zukunft niemand hindern, aber spielt nicht mehr auf den Kundgebungen der Opposition. Dass sich die Musiker darauf einließen, sorgte bei den Fans für große Enttäuschung. Die Bands verloren für viele ihre Glaubwürdigkeit. Auch Kasja Kamockaja übt Kritik: "Ich denke, man sollte die Nähe zur Staatsmacht nicht suchen. Da wollten sich Leute innerhalb des Systems legalisieren.
Das will ich nicht."Deshalb tritt die Sängerin in ihrer Heimat weiterhin nur selten auf. Stattdessen hat sie angefangen, Dokumentarfilme zu drehen. Zu ihren Themen zählen Tschernobyl und der Zweite Weltkrieg. Die gegenwärtige Politik in Weißrussland spielt eine Nebenrolle. In dieser Hinsicht sei ja eh alles klar, sagt Kamockaja. Und bittet dennoch: "Setzen Sie in Westeuropa Belarus nicht mit Lukaschenko gleich. Er ist nicht unser Land. Wir haben eine reiche Literatur und Geschichte."