Russland

Die kleinen Soldaten des Kremls

Sie sind das Bollwerk gegen jedes Ansinnen von Andersdenkenden, genau dafür von der Staatsspitze ins Leben gerufen: die kremlnahen Jugendorganisationen. Auch nach den Duma-Wahlen am Sonntag traten sie wieder ihre Mission an. Mit Trommeln und Plüschbären ausgestattet bildeten sie einen menschlichen Wall gegen Junge und Alte, die nach den Parlamentswahlen ihren Unmut bekundeten. Ein Hintergrund über die kleinen Soldaten des Kremls.

Moskau (n-ost) – Eine schmale Straße trennt ihre Welten. Katja hier, Jura dort. Es ist wie ein Battle beim Rap: Man skandiert gegeneinander an, versucht, den anderen fertigzumachen. Katja schreit: „Russland. Putin. Medwedew“. Jura ruft: „Russland ohne Putin.“ Sie sind beide 20 Jahre alt und an ihnen wird deutlich, wie gespalten die russische Gesellschaft nach den Parlamentswahlen am Sonntag ist.

Es ist ein ungleicher Kampf. Tausende Regierungsanhänger marschierten auf gegen ein paar Hundert Regierungsgegner. Orchestriert von der russischen Spezialpolizei, die jeglichen Protest ersticken, die Nicht-Einverstandenen in die Knie zwingen soll. Mit mehr als 500 Festnahmen in weniger als zwei Stunden am Dienstag Abend, mehr als die Hälfte der Verhafteten saß nach Kremlangaben noch am Mittwoch im Gefängnis. Das ist die harte Antwort des Kremls auf den Unmut der Bevölkerung. Als Erfüllungsgehilfen eilen hörige Soldaten der Macht auf die Straße: Jugendliche von kremlnahen Organisationen.

Katja sagt, sie protestiere, um ihre Meinung zu äußern. Wie schön es sich in Russland lebe, wie gut der Präsident sei. Während der Demo reckte sie immer wieder einen braunen Plüschbären in die Höhe, und skandierte: „Medwedew. Russland“. Um ihren Hals hatte sie sich den weiß-blau-roten Schal gebunden – ihren Ausweis für die Mitgliedschaft bei der Jungen Garde, der Jugendorganisation der Kreml-Partei „Einiges Russland“. Mit ihnen marschierten auch andere Organisationen auf: Grüppchen in Rot von der Jugendbewegung „Naschi“ (Die Unseren), geschützt von Jugendlichen in Grün, den Aktivisten von „Mestnye“ (Die Örtlichen) aus dem Moskauer Umkreis.

„Es sieht nach Vielfalt aus, an sich aber ist es ein großes Ganzes, dem verschiedene Aufgaben zuteilwerden“, sagt Ilja Barabanow. Der 27-Jährige ist Chefredakteur der russischen Wochenzeitung „New Times“ und gilt als Kenner der Szene. „Naschi“ seien für das „massenhafte Befüllen von Plätzen“ verantwortlich, die „Junggardisten“ sollen als Trommler die Ausrufe von Andersdenkenden übertönen, Mestnye als körperliche „Schränke“ übernähmen die Sicherheit. Der Aufbau der Gruppen ist hierarchisch, auf absoluten Gehorsam gegenüber Höhergestellten ausgelegt, seien es Gruppenführer oder Polizisten.

Alle drei Organisationen entstanden im Jahr 2005 – aus Angst vor einem Umsturz des Regimes, kurz nach der Orangen Revolution in der Ukraine. Auf der Bildfläche tauchte damals ein gewisser Wassili Jakemenko auf, ein schneidiger Mittdreißiger, der Jahre zuvor unter dem heutigen Premier Wladimir Putin in der Präsidialverwaltung arbeitete. Er übernahm den Chefposten bei „Naschi“, wurde Oberkommissar. Heute sitzt er in der Regierung, ist Leiter des Staatskommitees für Jugendfragen – jenes Ausschusses, dem alle kremlnahen Organisationen angeschlossen sind.

Jakemenko gilt als Beispiel für eine glänzende Karriere beim Staat. „Gerade für Jugendliche aus der Provinz, die unbedingt von dort weg wollen, ist er eine Lichtgestalt“, sagt Barabanow. Die Hauptmotivation, bei „Naschi“, der „Jungen Garde“ oder den „Mestnye“ mitzumachen, sei genau das: ein besseres Leben weitab von der Provinz. Manche sitzen nach zwei Jahren bei der „Jungen Garde“ bereits in der Staatsduma. Zudem gäbe es Geld. Für die als Forum deklarierte Aktion vor, während und nach den Wahlen sollen die Jugendlichen 300 Rubel (umgerechnet 7,50 Euro) am Tag bekommen haben. Samt Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung in der Hauptstadt.

Etwa zehn Prozent des Jahresbudgets der Kreml-Jugend kommen aus dem Staatshaushalt. Den Rest spendet die Wirtschaft. Um wie viel es sich handelt, haben verschiedene Organisationen auszurechnen versucht, vergeblich. Barabanow spricht von Schwarzen Konten. Eine Protestaktion wie vor zwei Tagen koste die Organisationen umgerechnet zwischen 15.000 und 20.000 Euro, erzählen „Naschi“-Aktivisten.

Katja sieht für sich und für Russland eine „glänzende Zukunft“. „Sie hat längst begonnen“, sagt die Erzieherin noch, als vor ihr Dutzende Regierungsgegner in die Polizeibusse gepfercht werden. Vielleicht ist auch Jura darunter.

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