WO DIE RUSSISCHE EISENBAHN IM NICHTS LANDET
(n-ost) – Im Schritttempo rattert ein Güterzug über die neue Brücke bei Dolinsk, einem kleinen Ort auf der Insel Sachalin im russischen Fernen Osten. Wjatscheslaw Steplejew nickt zufrieden. Die neue Brücke hält. Steplejew ist verantwortlich für die Modernisierung des 1.200 Kilometer langen Streckennetzes auf Sachalin.
Ein Mitarbeiter der Eisenbahn vermisst eine Strecke auf Sachalin. Foto: Ulrich Heyden
Das Streckennetz wird derzeit modernisiert und auf die Umstellung von der japanischen Schmalspur auf die russische Breitspur vorbereitet. Die Güterwaggons, die vom russischen Festland kommen, müssen nach ihrer Ankunft im Hafen von Cholmsk extra auf Schmalspur-Fahrgestelle umgeladen werden. Die Prozedur ist zeitaufwendig und soll durch die Umstellung auf die Breitspur überflüssig werden. Der Südteil von Sachalin gehört zwischen 1905 und 1945 zu Japan. Die russische Eisenbahn nutzt die Schmalspur bis heute.Sachalin war einst eine vergessene russische Armutsregion. Doch seit internationale Öl- und Gas-Konzerne wie Shell, Exxon Mobil und Mitsubishi auf der Insel Öl- und Gas fördern, wird die Modernisierung der veralteten Infrastruktur auf Sachalin zu einer dringenden Aufgabe. Alte Verkehrs-Großprojekte scheinen heute wieder realistisch. Im Öl- und Flüssiggas-Projekt „Sachalin 2“ stecken heute schon jetzt über 20 Milliarden Dollar Investitionen. Da erscheint der Bau einer Brücke zum russischen Festland für zehn Milliarden Dollar nicht mehr verwegen, zumal es auf Sachalin reiche Vorräte an Kohle und anderen Bodenschätzen gibt. Der Gouverneur von Sachalin, Aleksandr Choroschawin, träumt von einem neuen internationalen Transportkorridor, der Japan und Europa verbindet. Auch über den Bau einer Brücke zur japanischen Insel Hokkaido wird nachgedacht. Mit dem Bau der Brücke zum russischen Festland will der Gouverneur 2015 beginnen. Das Projekt wird von der russischen Regierung unterstützt.Für den Brückenbau und die Anschluss-Arbeiten für das Eisenbahnnetz will Gouverneur Choroschawin private Investoren mit dem Recht auf kostenlosen Holzabbau im Amur-Gebiet belohnen. Am Amur gebe es sieben Milliarden Kubikmeter Wald, „die heute auf dem internationalen Markt nachgefragt werden. Der Wald kann nicht abgebaut werden, weil es die Infrastruktur nicht gibt. Man kann dem Investor vorschlagen, dass er den Wald bekommt und im Gegenzug die Eisenbahnlinie baut.“ Es werde „nicht wenige Interessenten“ geben, ist sich der Gouverneur sicher. Die Bevölkerung von Sachalin begrüßt das Brücken-Projekt. „Unser größtes Problem ist, dass wir vom russischen Festland abgeschnitten sind“, sagt Roman, ein Schlosser, der bei der Eisenbahn arbeitet und im Monat 15.000 Rubel (405 Euro) verdient. Sogar Brot koste auf der Insel mehr als auf dem Festland.
Neue Eisenbahn-Trasse auf Sachalin. Foto: Russische Eisenbahn RZD
Die geplante Brücke nach Sachalin ist nicht das einzige Großprojekt im russischen Fernen Osten. 20.000 neue Streckenkilometer will die russische Staatsbahn bis 2030 bauen, davon einen Großteil im Fernen Osten. Eines der Projekte ist eine Verbindung der Stadt Jakutsk mit der Hafenstadt Magadan, die früher ein Zentrum des Arbeitslagersystems war. Die in den 1970er Jahren mit Hilfe von jugendlichen Freiwilligen gebaute Baikal-Amur-Magistrale – auch „BAM“ genannt –, sei schon jetzt „völlig ausgelastet“ und soll erweitert werden, sagt Sergej Scharapow, bei der russischen Staatsbahn RZD zuständig für neue Projekte. Im russischen Wirtschaftsministerium gibt es außerdem den Plan für den Bau eines 100 Kilometer langen Beringstraßen-Tunnels, der Russland mit Alaska verbinden soll. Scharapow glaubt jedoch, dass dieses Projekt erst in 50 Jahren realisiert wird. Die Finanzierung dieses internationalen Großprojekts sei nicht einfach. Der Tunnel soll inklusive der Streckenanbindung 65 Milliarden Dollar kosten.Auf Sachalin hat Japan gute Vorarbeit geleistet. Bis 1945 entstanden im Südteil der Insel Papierfabriken, Kohleschächte und ein gut ausgebautes Eisenbahnnetz mit 127 Haltestationen. Noch heute sind auf der Insel silbern glänzende japanische Züge im Einsatz. Im Eisenbahn-Depot von Juschno-Sachalinsk tut das alte japanische Dreh-Kreuz, mit dem die Loks auf ein anderes Gleis gebracht werden, immer noch seinen Dienst. Wenn Japaner, die früher auf Sachalin arbeiteten, die Anlagen der Eisenbahn besichtigen, werden sie ganz nostalgisch, berichtet Juri Prjosjolkow, der Leiter des Eisenbahn-Museums von Juschno-Sachalinsk. „Da war ein japanischer Lok-Führer, der das Dreh-Kreuz früher benutzt hat. Als er die Anlage sah, kamen ihm die Tränen. Zu seinen Zeiten wurde das Dreh-Kreuz noch mit der Hand betrieben, heute elektrisch.“Wie zu Zeiten der japanischen Herrschaft über Süd-Sachalin wird heute wieder Kohle nach Japan verschifft. Der Export läuft über Cholmsk. Die zweitgrößte Stadt der Insel liegt am West-Ufer der Insel. Die vierstöckigen Plattenbauten der Stadt schmiegen sich an dem Berghang, der fast bis ans Meer reicht. Im Hafen quietschen ein paar uralte Kräne. Täglich bringen drei Eisenbahn-Fähren Güter-Waggons mit Kohle, Fisch und Holz zum russischen Festland.
Von Sachalin fahren Fähren mit Güter-Waggons zum russischen Festland. Foto: Russische Eisenbahn RZD
Pro Jahr werden über die Eisenbahnfähren 1,8 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen, berichtet Fähren-Chef Nikolai Pak. Die in den 1970er Jahren gebaute Umladestation sei allerdings altersschwach und müsse „schnell modernisiert“ werden, sagt Pak. „Die Nachfrage in Japan, China und Süd-Korea nach Kohle steigt“, erklärt der Fähren-Chef, der selbst Angehöriger der koreanischen Minderheit ist. Seine Eltern wurden in Korea geboren und von den Japanern als Zwangsarbeiter auf die Insel gebracht. Jetzt konnten Paks Eltern im Rahmen eines japanischen Wiedergutmachungs-Programms nach Süd-Korea zurückkehren. Erste Ideen, Sachalin mit dem russischen Festland zu verbinden, gab es bereits vor 150 Jahren. Stalin ließ dann 1950 Gulag-Häftlinge einen Tunnel graben. Mit dem Tod des Diktators 1953 wurde das Tunnel-Projekt jedoch wieder eingestellt. Während der Traum von der Festland-Verbindung für Sachalin heute greifbar nahe scheint, ist die Brücke nach Japan noch nicht realistisch, glaubt der Eisenbahn-Experte, Sergej Scharapow. Japan habe eine der weltgrößten Handelsflotten und die Schiffs-Lobby sei in Japan „sehr stark“. Auch der Vertreter der Insel Hokkaido in Juschno-Sachalinsk, Urata Tetsuya, äußert sich zum Brücken-Plan zurückhaltend. Zunächst müsse man den Handel mit Schiffen verstärken, dann könne man weiter sehen. Viele Menschen auf der Insel Hokkaido hätten vor den Russen immer noch Angst, erzählt Tetsuya und lächelt dabei sehr freundlich.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0