Rumänien

DEUTSCHE TAGESZEITUNG VOR DEM AUS

(n-ost) – Der Schock der Leser sitzt tief. In einem schwarzumrandeten Kasten ließ das Team der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien (ADZ), der einzigen deutschsprachigen Tageszeitung in Südosteuropa, verlauten, dass ihre letzte Ausgabe am 31. Juli 2008 erscheinen wird. Man sei dabei, ein neues Konzept zu erarbeiten, um im Herbst wieder auf den Markt zu kommen. Dass das die Umwandlung des wichtigsten Mediums der deutschen Minderheit Rumäniens in eine Wochenzeitung bedeutet, ist ein offenes Geheimnis.Die Leserreaktionen reichen von enttäuscht über beleidigt bis zornig. Viele sehen in dem Einstellen der Tageszeitung eine schwere Niederlage, ein Symbol für den weiteren Niedergang der ohnehin gebeutelten rumäniendeutschen Minderheit. Das tägliche Erscheinen der ADZ, die mehrheitlich (zu 86 Prozent) vom Demokratischen Forum der Deutschen Rumäniens (DFDR), dem Minderheitenverband der Rumäniendeutschen, finanziert wird, ist ein wichtiger Existenznachweis einer schwindenden Kultur. „Der Abbruch der Kontinuität der ADZ ist eine ernst zu nehmende Krisensituation, deren Folgen heute noch gar nicht abzusehen sind“, sagt Leserin Dr. Carmen Puchianu. Dr. Werner Niederkorn aus Großsanktnikolaus kann sich „ein geistiges Leben der deutschen Minderheit ohne dieses gemeinsame Band nicht vorstellen“. Gernot Nussbächer, ehemaliger Mitarbeiter der ADZ und ihrer Vorgängerin, dem „Neuen Weg“, findet die Einstellung gar „unstatthaft und unverantwortlich der deutschen Bevölkerung unseres Landes gegenüber“. „Tief betroffen“, „eine Hiobsbotschaft“, ein „unzulässiger Sachverhalt“, „Erstaunen und Empörung“ – die Leserbriefe sind ein Fenster in die Seelen einer verängstigten Gemeinschaft.Um zu überleben, mussten die Rumäniendeutschen seit jeher kämpfen und eng zusammenhalten. Als die ersten deutschsprachigen Siedler im 12. Jahrhundert ins damals nur sehr spärlich besiedelte heutige Siebenbürgen kamen, mussten sie sich erst gegen Wölfe und harte Winter durchsetzen, später gegen die Mongolen und dann gegen die Ottomanen. Auch Jahrhunderte später unter dem kommunistischen Regime hieß es Zusammenhalten. Durch den Exodus nach der Wende sehen sich die Rumäniendeutschen jetzt in ihrer bloßen Existenz bedroht. In ganz Rumänien gibt es nur noch 60.000 Deutsche. 1930 waren es noch mehr als zehn Mal so viele. Jeder Rückkehrer wird frenetisch bejubelt, man richtet sich stolz an den politischen Erfolgen im Kreis Hermannstadt auf, wo es der Bürgermeister Klaus Johannis (der auch Vorsitzender des DFDR ist) zu einem europaweit anerkannten politischen Star mit Wählerzustimmung jenseits der 80 Prozent gebracht hat. Für viele rüttelt das Einstellen der Tageszeitung an den Grundfesten der rumäniendeutschen Existenz.Viele derer, die sich jetzt beklagen, sind gar nicht regelmäßige Leser geschweige denn Abonnenten der ADZ und geben offen zu, dass sie „vom Inhalt her die Zeitung eher mit gemischten Gefühlen“ lesen oder sich „oft über Nachrichten von gestern geärgert haben“, also „nicht zu den treuesten Lesern zählen“. Der Ehrenvorsitzende des DFDR, Dr. Paul Philippi, klärt auf: „Es geht um die rumäniendeutsche Identität. Für die Identität der Deutschen Rumäniens bedeutet der Verlust ihrer Tageszeitung den politischen Abstieg aus einer Art der Presse-Bundesliga in eine drittklassige Provinzliga.“So überraschend die Einstellung die Leser auch traf, für die Insider kam der Schritt alles andere als unerwartet. Seit Monaten schon hatte der junge Chefredakteur Dan Caramidariu, der erst vor eineinhalb Jahren das Ruder bei der ADZ übernommen hatte, das DFDR gewarnt, dass die ADZ wegen der steigenden Kosten, der Personalsorgen und den nicht enden wollenden Problemen beim Vertrieb direkt in die Katastrophe steuert. Bis auf die Lokalredaktion in Temeswar sind die Redaktionen mager besetzt und überaltert. Caramidarius Sekretärin ist gerade 83 Jahre alt geworden, der Verantwortliche für die Nachrichten auf Seite 1 und den Lokalteil ist schon tief in den Siebzigern angelangt. Jüngere Mitarbeiter können nicht mehr angeworben werden, weil das Geld fehlt. Die Gehaltsvorstellungen junger, qualifizierter und vor allem deutschsprachiger Redakteure kann die ADZ nicht erfüllen. Wer in Rumänien gut deutsch spricht, findet leicht einen weit überdurchschnittlich bezahlten Job in der Wirtschaft. Dazu sind die Druckkosten und die Mieten, vor allem in Bukarest, sprunghaft gestiegen. All das bewirkte einen schleichenden qualitativen Verfall der Zeitung und gleichzeitige das stetige Wachsen des Schuldenberges. Die Zahl der Abonnements hat allein zwischen März und Juni 2008 um etwa 12 Prozent abgenommen. Die Zahlen, die den Vorstandsmitgliedern des Forums vorgelegt wurden, zeigten, dass die ADZ derzeit jeden Monat 28.000 Lei (ca. 8.000 Euro) tiefer in die roten Zahlen rutscht.Um dem Trend entgegenzuwirken, ist ein Umzug der Zentralredaktion nach Temeswar, wo die Büromieten noch erschwinglich und der Nachwuchs solide ist, bereits beschlossene Sache. Doch die weiterführende Idee einer Umwandlung in eine Wochenzeitung stieß in der Vorstandssitzung des DFDR auf heftigen Widerstand. Die Befürworter für das Erhalten der Tageszeitung weisen darauf hin, dass es dieselben strukturellen Probleme schon immer gab, zumindest seit der Wende, dass sich die finanziellen Probleme mit Hilfe von Sponsoren aus der in Rumänien starken deutschen Wirtschaft lösen oder zumindest überbrücken ließen, dass sie auch eine Preiserhöhung, weniger Seiten und andere Qualitätseinbußen in Kauf nehmen würden. Die Leser beklagen sich bitterlich, dass viel zu spät eine öffentliche Diskussion über den schlimmen Stand der ADZ begonnen wurde. Da wird es dann auch schnell persönlich. Der Vorsitzende des Regionalforums Siebenbürgen, Dr. Paul Jürgen Porr, verdächtigt den gebürtigen Temeswarer Caramidariu nicht nur eines Komplotts mit dem Ziel, die ADZ der persönlichen Bequemlichkeit wegen in dessen Heimatstadt zu verlegen. Er möchte ihn auch gerne gleich verklagen für den Niedergang der ADZ.Es passt ins Bild, dass die wenigen positiven Reaktionen auf die Ankündigung der Umstellung von Nicht-Rumäniendeutschen kommen. Die langjährige Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bukarest, Elke Sabiel, freut sich auf das neue Format. „Die angedachte Umstrukturierung der ADZ ist eine Chance, die es zu nutzen gilt, auch um neue Leser und Abonnenten anzuziehen.“ Auch das Bukowina-Zentrum Leipzig verspricht, die Wochenzeitung zu abonnieren. „Wir freuen uns auf den Herbst“, schreiben sie vergnügt.Doch damit sind sie Außenseiter. Die Rumäniendeutschen wollen keine Rückschritte mehr hinnehmen. Erwin Hellmann aus Kronstadt beschwört dramatisch die glorreiche Vergangenheit: „Denkt an Kronstadt in der Zeit 1612-1613. Der führende Mann, Michael Weiß, ist in der Schlacht bei Marienburg gefallen. Das Aufgebot der Stadt aufgerieben. Aber die Überlebenden schlossen ihre Reihen fester, sperrten die Tore und hielten stand. Tun wir es ihnen doch nach!“ ruft er. Ob das realitätsfremder Starrsinn oder bewundernswerte Courage ist, liegt im Auge des Betrachters.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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