Europa eint die serbische Führung
Erst zwei Wochen ist die neue serbische Regierung im Amt, und schon verhaftet sie einen der meistgesuchten Kriegsverbrecher. In Belgrad deutet man dies als Zeichen dafür, dass die Behörden schon lange wussten, wo Karadzic ist. Doch erst jetzt war der politische Wille vorhanden.
Es mag absurd erscheinen: Gerade erst sind die serbischen Sozialisten (SPS) des verstorbenen Kriegshetzers und früheren Staatspräsidenten Milosevic nach acht Jahren wieder an die Macht zurückgekehrt. Und schon wartet Radovan Karadzic hinter Belgrader Gittern darauf, ans das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal (ICTY) ausgeliefert zu werden – dorthin, wo sich auch Slobodan Milosevic für schwerste Kriegsverbrechen verantworten musste. Und ausgerechnet Milosevics Ziehsohn und SPS-Chef Ivica Dacic sitzt auf dem Stuhl des Innenministers und ist damit auch verantwortlich für die Polizei des Landes.
Kurz nach der Vereidigung der neuen Regierung hatte Dacic verlauten lassen, die Kooperation mit dem ICTY habe für ihn zwar keine Priorität, aber es handle sich um eine internationale Verpflichtung, die Serbien einhalten müsse. Damit ließ er sich sämtlichen Handlungsspielraum offen. Auch jetzt versuchte Dacic den Spagat, wohl um das Gesicht gegenüber jenem nicht kleinen Teil seiner Wählerschaft zu wahren, die Karadzic bis heute als serbischen Helden sehen. „Nicht ein einziger Polizist war an der Aufspürung und Festnahme von Karadzic beteiligt, das machte der Gemeindienst“, sagte Dacic gestern.
Dass vor vier Tagen der Chef des serbischen Geheimdienstes BIA ausgewechselt wurde, ist für viele Beobachter in Belgrad der Schlüssel für die jetzt erfolgte Verhaftung von Karadzic. Der neue BIA-Direktor Sasa Vukadinovic ist ein enger Vertrauter von Staatspräsident Tadic – während Vukadinovics Vorgänger Rade Bulatovic ein treuer Gefolgsmann des abgelösten Premierminister Vojislav Kostunica war. Ljiljana Smajlovic, Chefredakteurin der Belgrader Tageszeitung Politika, ist überzeugt, dass der BIA schon lange wusste, wo sich Karadzic aufhält und eine Verhaftung schon viel früher möglich gewesen wäre: „Aber es gab keinen Willen, dies zu tun. Jetzt gibt es diesen Willen – und es ist geschehen.“
Auch für Nenad Canak, dessen prowestliche Liga der Sozialdemokraten der Vojvodina die neue serbische Regierung mitträgt, ist klar, dass der Aufenthaltsort von Karadzic schon seit Jahren bekannt war: „Es kann nur jemand nicht verhaftet werden, wenn klar ist, wo er ist. Denn nur so weiß man, wo man nicht suchen soll“, merkte er mit zynischem Unterton an. In den Augen der Menschenrechtlerin Sonja Biserko, der Präsidentin des Helsinki-Komitees Serbien, gibt es denn auch keinen Zweifel, dass der ehemalige Premier Vojislav Kostunica die Verhaftung Karadzics zuvor verhindert hatte. Und torpedierte damit mit Erfolg die EU-Annäherung Serbiens.
Dass Innenminister Ivica Dacic die Festnahme Karadzics geschluckt hat, obwohl er vor seinem Amtsantritt als Minister dem ICTY nur Verachtung entgegengebracht hatte, ist wohl ein Hinweis auf Dacics Machtinstinkt, den er mit seinem verstorbenen Ziehvater Milosevic gemeinsam hat. Denn Dacic weiß genau, dass seine SPS nur mit einem klaren Pro-Europa-Kurs überleben kann. Ansonsten laufen ihr die Wähler davon und stimmen in Zukunft lieber für das nationalistische Original, nämlich die antieuropäische radikale Partei des als Kriegsverbrecher angeklagten Vojislav Seselj. Doch ohne eine Kooperation mit dem ICTY, und das weiß Dacic auch, ist Europa nicht zu haben.
Auf dieser Grundlage hat die von der Demokratischen Partei (DS) von Staatspräsident Tadic angeführte neue serbische Regierung gute Chancen auf weitere Erfolge – bei der Zusammenarbeit mit Den Haag und damit auf dem Weg nach Europa. Dass die Mehrheit der Serbinnen und Serben dorthin will, steht für Beobachter wie Ivan Vejvoda vom Balkan-Fond für Demokratie außer Zweifel: „Die Bürger haben dafür gestimmt!“ Daran können auch die kleinen Gruppen von Demonstranten nichts ändern, die gestern (22. Juli) im Zentrum von Belgrad zum Teil gewaltsam gegen die Verhaftung Karadzics protestierten.